EU-Pläne für Abschiebungen nach Libyen: Flüchtlinge sollen zurück ins Chaos
Die EU will in Libyen „Legalitätsinseln“ schaffen, um dort Lager einzurichten. Die Linke spricht von einer Aufkündigung des Flüchtlingsrechts.
BERLIN taz | Die EU hält an ihren Plänen fest, Flüchtlinge nach Libyen zurückzuschicken. Dazu will sie in dem zerfallenden Bürgerkriegsland „Legalitätsinseln“ schaffen, in denen „die Polizei gut ausgestattet werde und die für Rückführungen genutzt werden können“. Das geht aus dem internen Protokoll des letzten EU-Innen- und Justizministertreffens in Brüssel hervor, das der taz vorliegt.
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat demnach ihre Border Assistance Mission (EUBAM Libya) weiter aufgestockt. Das zur Polizeiausbildung angelegte, in Tunis ansässige Projekt sucht offenbar schon seit Längerem nach Orten, an denen die EU in Libyen Flüchtlingslager einrichten kann. Der der EU-Außenkommissarin Federica Mogherini unterstellte Europäische Auswärtige Dienst will für die „Eindämmung des Zustroms über das Mittelmeer […]erhebliche finanzielle Mittel“ bereit stellen, heißt es in dem Protokoll. Anfang Mai soll die erste Tranche von 90 Millionen Euro für „verbessertes Migrationsmanagement“ nach Libyen fließen.
Entsprechende Pläne hatte die EU bei einem Gipfel im Februar in Malta ventiliert. Kurz darauf wurde ein Bericht bekannt, in dem deutsche Diplomaten die Lage in den von Milizen betriebenen Internierungslagern für Flüchtlinge in Libyen „KZ-ähnlich“ nannten. Die EU rechnet damit, dass 2017 wieder rund 200.000 Menschen aus Libyen nach Italien kommen.
„Unfassbar“ nannte die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke die Pläne der EU. Diese wolle gerettete Schutzsuchende ins Chaos nach Libyen zurückschicken, „in gut bewachte, isolierte Lager. Das ist zynisch und eine Aufkündigung des internationalen Flüchtlingsrechts, wofür de Maizière mit seinen Forderungen nach Auffanglagern in Nordafrika einen Gutteil der Verantwortung trägt“, so Jelpke.
EU-Mitgliedsstaaten wollen Italien nicht helfen
Probleme hat die EU mit der Reform der Dublin-Verordnung. Die Mitgliedsstaaten lehnen einen von der Kommission vorgeschlagenen Mechanismus ab, der Staaten wie Italien entlasten soll. Nach dem Willen der Kommission müssten die anderen Staaten automatisch Flüchtlinge abnehmen, wenn die Außengrenzenstaaten überproportional belastet sind.
Dies soll greifen, wenn die Flüchtlingsankünfte bei ihnen um über die Hälfte höher liegen, als sie ihrem Anteil an der EU-Bevölkerung gemäß aufnehmen müssten. Springen die anderen Staaten nicht bei, will die Kommission Strafen von 250.000 Euro je nicht abgenommenem Flüchtling verhängen.
Leser*innenkommentare
Illoinen
Das muss man sich einmal vorstellen. Der Westen mit seinen illegalen Kriegen, Drohnen, Bomben und Wirtschaftsterror ist dafür als der Hauptverantwortlich zu nennen. Statt aber die Opfer der westlichen imperialen und aggressiven Außenpolitik zu helfen und Schadensersatz zu zahlen, werden die Opfer dieser westlichen illegalen Kriegspolitik dahin zurück geschickt, wo der Westen alles zerstört hat und täglich weiter zerstört? Warum werden die westlichen Länder mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung, welche den Rest der Welt ins Chaos stürzt, nicht als Schurkenstaaten bezeichnet? Der Westen ein Imperium der Schande, wie es Jean Ziegler in seinem Buch sehr treffend beschreibt.
Mitch Miller
Noch "besser" sind ja die Pläne, die lybische Küstenwache mit dem Abfangen der Flüchtlingsboote zu bauftragen, "weil das ja in lybischen Gewässern stattfindet". Es sollen die bösen Schlepper dingfest gemacht werden - von den Flüchtlingen, die dann unkontrollierbar in die Hände des Lybischen Militärs gelangen, redet niemand. Auch eine Methode, das Flüchtlingsrecht zum hohlen Wort werden zu lassen, wenn man dafür sorgt, dass sie gar nicht mehr durchkommen können. Äusserst zynisch.
Allerdings hat Libyen ja gar kein Interesse, die abzufangen - Libyen ist ja froh, wenn die weiter sind. Sonst gibt es einen gigantischen Stau, den keiner bewältigen kann. Alternativen gibt es ja kaum.
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Gast
Christ- und Sozial-Demokraten finden das gut...
Reinhold Schramm
Flüchtlinge müssen zurück ins Chaos?
Es liegt gewiss nicht im Interesse der Administration der Europäischen Union, die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern nachhaltig im Interesse der dortigen Menschen zu verändern, bzw. diese Bestrebungen zu unterstützen. Handelt es sich doch vor allem auch um rohstoffreiche Regionen, an deren billigen Ausbeute und an deren Zugang, gegebenenfalls auch mit militärischer Gewalt, die europäischen Wirtschafts- und Monopolverbände und deren Regierungen interessiert sind. Und diese dabei aktiv von Lobbyisten in bürgerlichen Parteien, Parlamenten, Regierungen und Kriegs- bzw. Verteidigungs- und Wirtschaftsministerien unterstützt werden.
Zugleich, bei allem Verständnis für die gesellschaftspolitischen und parlamentarischen Gutmenschen, insbesondere aus der Sozialdemokratie der Linkspartei und Bündnisgrünen, es kann aber eine Lösung der Probleme in den Herkunftsländern nicht in einer liberalen Aufnahmepolitik gesucht bzw. Gefunden werden.
Es bedarf in den Herkunftsregionen der Fluchtbewegung eine ökonomische und soziale Umwälzung. Gegebenenfalls einer national- und sozialrevolutionären Befreiungsbewegung. Einer sozioökonomischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich sowohl gegen die einheimische ökonomische und politische Oligarchie richtet, als auch gegen die militärische Anwesenheit ausländischer Truppen. Ebenso muss der Befreiungskampf um die nationale Rückgewinnung und Verfügungsgewalt über die nationalen und regionalen Reichtümer: Bodenschätze und pflanzliche Rohstoffe, geführt werden.
An diesem hier nur skizzierten Kampf müssen sich auch die heutigen Flüchtlinge -zusammen mit den Zurückgelassenen- aktiv einbringen und beteiligen. Davonlaufen -ins vermeintliche westliche und europäische Konsumparadies- ist keine nachhaltige Lösung.
[- unvollständig.]