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Deutsche Kolonialgeschichte vor GerichtMilliarden für Völkermord

Nach den Herero und Nama, die den kolonialen Genozid überlebten, will nun auch Namibias Regierung Entschädigungen aus Deutschland.

In den USA lebende Herero vor dem Gericht in New York, dass die Entschädigungsklage verhandelt Foto: dpa

Berlin taz | Die Herero und Nama, die den deutschen Völkermord im heutigen Namibia überlebt haben, bekommen gewichtige Unterstützung bei ihrem Versuch, von Deutschland eine Entschädigung zu erstreiten. Wie Namibias führende Tageszeitung The Namibian am Freitag berichtete, bereitet Namibias Regierung selbst eine Klage gegen Deutschland vor.

Die Regierung in Windhuk habe Anwaltsteams engagiert, um Deutschland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf 30 Milliarden US-Dollar (28 Milliarden Euro) Entschädigung zu verklagen, heißt es in dem Bericht unter dem Titel „Regierung vollzieht Kehrtwende zu Völkermord“.

Man tue dies, „um als Regierung nicht beschuldigt zu werden, nicht alles in unserer Macht Stehende getan zu haben, um die Leiden der brutal Getöteten und der darauffolgenden Generationen vorzubringen“, zitiert die Zeitung Namibias Generalstaatsanwalt Sacky Shanghala. Er hoffe, „dass das Gewissen des deutschen Volkes seine Regierung zu einer Lösung hinführt, die uns allen einen würdigen Abschluss dieser Sache bietet“.

Im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika hatten deutsche Truppen zwischen 1904 und 1909 zwecks Niederschlagung eines Aufstands den Großteil der Angehörigen der Volksgruppen der Herero und Nama umgebracht oder gezielt in die Wüste getrieben, wo sie starben. Dass dies ein Völkermord war, hat die deutsche Politik erst in den letzten Jahren überhaupt anerkannt. Eine offizielle Erklärung und Entschuldigung von höchster Stelle gibt es aber bis heute ebenso wenig wie Entschädigungszahlungen an die Nachfahren der Überlebenden. Die Bundesregierung verweist stattdessen auf die deutsche Entwicklungshilfe für Namibia.

Verhandlung ohne deutsche Vertreter

Nachdem Herero- und Nama-Politiker bei Gesprächen in Berlin abgeblitzt waren, reichten sie im Januar vor einem US-Gericht Klage gegen Deutschland ein. Bei einer ersten Voranhörung am Donnerstag wurde die Klage nicht abgewiesen, wie manche befürchtet hatten: Richterin Laura Taylor Swain am Southern District Court in New York setzte eine weitere Anhörung für den 21. Juli an. „Das ist unser größter Erfolg und ein Zeichen, dass wir die Sieger sind“, freute sich die Nama-Vertreterin und namibische Parlamentarierin Ida Hofmann.

15 Herero- und Nama-Vertreter waren zu der Anhörung angereist, die lediglich zehn Minuten dauerte. Die Richterin äußerte Verwunderung darüber, dass kein offizieller deutscher Vertreter erschienen war.

Ich hoffe, dass das Gewissen des deutschen Volkes seine Regierung zu einer Lösung hinführt

Namibias Generalstaatsanwalt

Indem nun auch Namibias Regierung eine Klage vorbereitet, was ihrer bisherigen Linie widerspricht, gewinnt die Forderung nach Reparationen für die Opfer des deutschen Völkermords neues Gewicht und kann von der Bundesregierung nicht länger ignoriert werden. Andererseits könnte es die ursprünglichen Kläger schwächen. Namibias Regierung will dem Zeitungsbericht zufolge, dass die Herero und Nama sich der staatlichen Klage anschließen. Mögliche Reparationen würden dann an die Regierung fließen, nicht an die Herero und Nama direkt.

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10 Kommentare

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  • Warum eigentlich ist ein US-Gericht für so eine Klage zuständig? Warum nicht ein australisches oder japanisches Gericht?

     

    Wenn ein amerikanischer Ureinwohner (früher "Indianer" genannt) die USA vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz wegen des Genozids an den native Americans verklagen würde, würden die USA das Urteil dieses deutschen Gerichts akzeptieren und ggf. Milliarden von Dollar Schadensersatz an die diversen betroffenen Stämme zahlen?

  • Toller Eingangssatz!

    Sehen gar nicht so hundertjährig aus auf dem Bild die.

  • 3G
    38397 (Profil gelöscht)

    Für Völkermord zahlen? Ja sollen die Mörder denn pleite gehen?

  • Bin auf jeden mal auf die Folgeklagen gespannt wenn die Nachfahren der Südostasiaten - Frankreich, der Inkas - Spanien, der amerikanischen Ureinwohner - die USA und die halbe Welt England verklagt...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    „Ich hoffe, dass das Gewissen des deutschen Volkes seine Regierung zu einer Lösung hinführt“

     

    Den Mann sollte man (frau) durch die Welt schicken um im Weißen Haus und in Erdogans Palast etwas Diplomatieunterricht zu geben.

  • "Er hoffe, „dass das Gewissen des deutschen Volkes ..."

     

    Wovon redet er? Welches "Volk"? Das ist nationalistischer Unsinn. Es gibt nur Menschen, die zufällig zur selben Zeit an irgendeinem Ort leben. Manche sind schon länger dort, andere noch nicht so lange. Das war's. No borders, no nations.

     

    Was die Personen, dir grade in einem mitteleuropäischen Vorgebirge leben, mit den Menschen zu tun haben sollen, die vor 70 oder 100 Jahren diesen Ort bewohnten, erschließt sich niemandem.

    • @KruegerParc:

      Dies ist in der Tat ein großer Widerspruch bei vielen Linken.

      Einerseits wird gefordert, daß es so etwas wie Volk, Nation und Grenzen gar nicht geben soll aber wenn es darum geht Verbrechen "dummer weißer Männer" zu sühnen wird größten Wert darauf gelegt.

      Trotzdem sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und die Völkermorde offiziell anerkennen, sich entschuldigen und Entschädigungen zahlen.

      Ich würde mir außerdem wünschen, daß auch andere Nationen Denkmäler ihrer Schande in die Herzen ihrer Hauptstädte pflanzen würden.

    • @KruegerParc:

      Nennt sich Vorfahren. Das sind jene, die vom Kolonialismus profitierten, wovon heute indirekt auch Sie profitieren.

  • "Mögliche Reparationen würden dann an die Regierung fließen, nicht an die Herero und Nama direkt."

    Honi soit qui mal y pense.

    • @sart:

      Ja, das ist tatsächlich ein großes Problem.

       

      Die Vertreibungen und der Bevölkerungsverlust durch den Genozid hat die Herero damals auch ihre politische Vormachtstellung in der Region gekostet. Deshalb bestimmen die zahlenmäßig überlegenen Ovambo die Politik im heutigen Staat Namibia.

      Es macht daher einen entscheidenden Unterschied, ob mögliche Kompensationsgelder direkt an Hererovertreter fließen (wie die das Geld dann einsetzen und mit welchen Motiven an welche Personen verteilen würden, ist nochmal eine ganz andere Frage), oder an die Staatsregierung, die zunächst überhaupt kein Interesse hat, exklusiv Herero und Nama zu unterstützen.