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Racial Profiling auf St. PauliIn der Zelle erhängt

Eine Initiative erinnert an Jaja Diabi, der sich vor einem Jahr in U-Haft das Leben nahm. Er sei Opfer rassistischer Strukturen von Justiz und Polizei geworden

Nationalismus stinkt, Racial Profiling nervt und Rassismus tötet, meinen AktivistInnen Foto: dpa

Hamburg taz | An diesem Wochenende jährt sich der Tod Jaja Diabis zum ersten Mal. „Sagt seinen Namen und denkt daran zu handeln“, fordern AktivistInnen, Verwandte und FreundInnen des Guinea-Bissauers, der sich mit 21 Jahren in der Untersuchungshaftanstalt Hahnöfersand das Leben genommen hatte. Für Samstag hat die Gedenkinitiative Jaja Diabi eine ganztägige Erinnerungskonferenz organisiert, am Sonntag soll eine Kundgebung gegen rassistische Polizeigewalt stattfinden.

Der 21-Jährige hatte sich in der Nacht zum 19. Februar 2016 in seiner Zelle erhängt, nachdem er mit 1,65 Gramm Marihuana auf St. Pauli festgenommen und einen Monat eingesperrt worden war. Eine so geringe Menge gilt normalerweise als Eigenbedarf. Bei Diabi aber ging der Haftrichter wegen seiner Fluchtgeschichte und weil er bereits vorher mit Marihuana erwischt worden war, von Fluchtgefahr aus.

Für die AktivistInnen zeigt sich hier der Rassismus der Justiz: Fluchtgefahr besteht nach Einschätzung der Behörden, wenn die beschuldigte Person Familie oder andere Verbindungen ins Ausland hat – bei Geflüchteten ist das naturgemäß der Fall. Auch der Hamburger Strafverteidiger Benjamin Tachau hatte gegenüber der taz kritisiert, dass die Haftbegründung der Fluchtgefahr exzessiv auf Ausländer angewendet werde. Zudem drohten Geflüchteten zum Teil hohe Strafen, wenn sie mit einer geringen Menge Drogen erwischt würden. Da sie meistens keine Arbeitserlaubnis hätten, ginge die Staatsanwaltschaft auch bei geringen Mengen von gewerbsmäßigem Handel aus.

Laut der AnwohnerInnenini­tiative Balduintreppe, die sich mit Racial Profiling auf St. Pauli beschäftigt, ist das „Feindbild Dealer“ ein grundlegendes Problem in der Debatte um Drogenkriminalität auf St. Pauli. Man müsse sich verdeutlichen, worum es eigentlich gehe, sagte deren Sprecher Hermann W.: „Für die Menschen, die auf der Straße Marihuana verkaufen, geht es um Arbeit und Geld.“ Auch für die Polizei und die Justiz könne es nicht wirklich um Drogen gehen, denn jedem müsse klar sein, dass die Verfolgung der Kleindealer dem Drogenhandel nichts anhaben könne.

Das bestätigen die Zahlen, die aus regelmäßigen Senatsanfragen der Linkspartei hervorgehen: Vom 1. bis zum 30. November 2016 führte die Task Force Drogen allein auf St. Pauli 40 Schwerpunkteinsätze durch. Gegen dreizehn Personen wurden Haftbefehle ausgesprochen. Die Menge der beschlagnahmten Drogen ist offenbar so gering, dass die Polizei sie nicht einmal dokumentiert.

Für die AktivistInnen ist klar, dass es bei der Repression gegen die mutmaßlichen Kleindealer nicht um die Bekämpfung der Drogenkriminalität geht, sondern um Rassismus. Die rassistische Struktur der Gesellschaft und ihrer Institutionen habe letztlich zum Tod Diabis geführt, der in einer Reihe stehe mit Laya Condé, Achidi John, Oury Jalloh und anderen schwarzen Menschen, die in den letzten Jahren in Polizeigewahrsam starben. „Sie sind Opfer einer verfehlten Drogenpolitik, die auf der Stelle tritt und über Leichen geht“, sagte der Initiativen-Sprecher.

Die Debatte über rassistische Polizeigewalt war hochgekocht, nachdem ein Polizist Anfang Februar in St. Georg einen Ghanaer angeschossen hatte. Die Polizei sprach von Notwehr, der Abgeordnete der Linksfraktion Martin Dolzer bezweifelte das und berief sich auf Augenzeugen, die den Vorfall als „rassistisch motivierten Hinrichtungsversuch“ einstuften. Der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer zeigte Dolzer daraufhin wegen übler Nachrede an.

Sie sind Opfer einer verfehlten Drogenpolitik, die über Leichen geht

Hermann W., Anwohnerinitiative

Am Donnerstag stand der Vorfall auf der Tagesordnung des Innenausschusses, der die Debatte aber vertagte. Vergangene Woche hatten 180 Menschen in St. Georg gegen rassistische Polizeigewalt demons­triert. Am Dienstag gingen erneut 100 Menschen nach der Festnahme eines Somaliers in St. Georg auf die Straße, der in einem Wettbüro für Ärger gesorgt haben soll.

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3 Kommentare

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  • @Katharina Schipkowski (Autorin)

    ...kritisch unabhängige Berichterstattung sollte sich vor blindem Behördengehorsam hüten und eben nicht die in Staatsräson formulierten Tatzuschreibungen gegen die Opfer durch gedankenlose Wiederholung öffentlich festschreiben!

    Es wird BEHAUPTET, Jaja Diabi HÄTTE sich selbst erhängt...das taugt natürlich bestens als Schutzbehauptung für die Verantwortlichen für Leben und Gesundheit bei Freiheitsentzug.

    Das hier in der Zeitung ohne Konjunktiv zu reproduzieren, heißt die Deutungshoheit potentieller Täter über das Recht des Opfers auf unabhängige Berichterstattung zu stellen - dann könnten Sie auch hier schreiben, dass sich Oury Jalloh selbst angezündet hat, weil das die Verantwortlichen seit 12 Jahren so behaupten...

    Das sollte eigentlich Grundsatz in der Berichterstattung ganz generell sein, wenn man nicht zur Staatspresse gehören will - oder?

  • Laut taz vom 7.2. hat Herr Dolzer selbst von einem Hinrichtungsversuch gesprochen. Hier sind es angebliche Augenzeugen .... watt denn nu?

    • @Nikolausi:

      ...die öffentliche Formulierung ist von Dolzer - bezüglich des so bezeichneten Vorgangs beruft er sich auf Beobachtungen von Augenzeugen...

      Ob er dabei die Formulierung ggf. von Augenzeugen übernommen hat, ist unerheblich - er hat sie öffentlich ausgesprochen...datt is!