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AU-Sekretär über Migration nach Europa„Eine Brutstätte für Extremisten“

Afrikanische Staaten fühlen sich beim EU-Afrika-Gipfel benachteiligt. Olawale Maiyegun, Sekretär der Afrikanischen Union, über eine schwierige Partnerschaft.

Im Mittelmeer vor Libyen gerettet: ein Mann aus Mali Foto: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Maiyegun, vor einem Jahr haben die EU und Afrika sich auf gemeinsame Maßnahmen gegen irreguläre Migration und das Sterben im Mittelmeer verständigt. Seitdem sind die Todeszahlen immer weiter gestiegen. Warum?

Olawale Maiyegun: Es wurde tatsächlich nicht viel erreicht in diesem einen Jahr. Man muss allerdings realistisch sein: Der Prozess geht gerade erst los. Wenn es eine Flüchtlingskrise gibt und 12 Monate später laufen die Projekte langsam an, die die Ursachen der Flucht bekämpfen sollen, dann kann man sich leicht ausrechnen, dass es sie noch keine Wirkung haben. Es gibt für dieses Problem keine schnelle Lösung. Wie man das den Wählern erklärt, ist dann eine andere Frage.

Auf dem Gipfel von 60 afrikanischen und europäischen Staaten am 8. und 9. Februar in Valletta haben Sie sich darüber beklagt, dass es kein partnerschaftliches Verhältnis gibt. Weshalb?

Es fehlt eine angemessene Beteiligung der Afrikaner. Es werden Entscheidungen ohne uns getroffen. Verträge werden an Institutionen und NGOs aus Europa vergeben, die sagen, sie kennen sich mit Afrika aus. Tatsächlich tun sie das oft nicht. Das ist ein sicherer Weg, um zu scheitern. Wir als Afrikanische Union sind bei der Verteilung der Mittel aus dem EU-Nothilfefonds für Afrika nicht dabei. Die AU-Kommission sollte Teil des Leitungsgremiums sein. Wir vertreten die Interessen des ganzen Kontinents. Deshalb sollte unsere Stimme Gewicht haben. Außerdem fehlen in dem Prozess 20 Staaten. Das ist kein legitimes Verfahren. Angola etwa wird sagen: Hey, wir gehören nicht dazu. Die Europäer haben sich einfach die herausgepickt, die ihnen wichtig erschienen. Aber wer sagt, dass die Lösungen, die wir brauchen, nicht den gesamten Kontinent umfassen müssten?

Wenn Sie mehr mitreden könnten – was wären Ihre Anliegen?

Zu Beginn des Valletta-Prozesses, Ende 2015, hieß es, dass es eine Partnerschaft ohne Bedingungen sein sollte. Dann kamen aber nach und nach alle Bedingungen wieder ins Spiel. Zum Beispiel der Gebrauch der Laissez-Passers, das sind Abschiebepapiere, die die EU einfach selbst ausstellt, wenn es keinen Pass gibt. Das ist für uns inakzeptabel und es verstößt gegen internationales Recht. Bislang ist die EU damit nicht durchgekommen, aber sie macht dies zur Bedingung für Diskussionen über Wege zu legaler Migration für Menschen aus Afrika nach Europa.

Was sollte die EU tun, um in Afrika Fluchtursachen zu bekämpfen?

Die USA haben Europa seinerzeit mit dem einem Marshallplan geholfen. Sie haben geholfen, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen und Europas Exporten Zugang zum amerikanischen Markt gewährt. Heute betreibt die EU uns gegenüber Protektionismus. Sie will Handelsabkommen abschließen, die für uns tödlich sind. Wenn die EU wirklich etwas für uns wollte, dann müsste sie uns helfen, unseren gemeinsamen Binnenmarkt aufzubauen und Afrika Zugang zu Europas Märkten gewähren.

Im Interview: Olawale Maiyegun

ist Sekretär der Afrikanischen Union für Migration und soziale Fragen.

2014 haben wir beschlossen, auf dem gesamten Kontinent ab 2018 Freizügigkeit zu schaffen. Ein Deutscher hat es mit seinem Pass heute leichter, innerhalb Afrikas umherzureisen, als ein Afrikaner. Wir können Hilfe gut brauchen, um die die Institutionen aufzubauen, die Mobilität innerhalb Afrikas ermöglichen. Das wäre eine viel bessere Hilfe, als klassische Entwicklungsprojekte.

Warum?

Entwicklungszusammenarbeit gibt es jetzt seit 70 Jahren, ich arbeite seit 30 Jahren in dem Bereich. Gibt es ein Land, dass mit Entwicklungshilfe entwickelt wurde? Ich wüsste keines. Afrika hat enormes Potenzial, vor allem durch seine Jugend. Deren Fähigkeiten müssen besser entwickelt werden. Dazu gehört, dass sie sich frei innerhalb Afrikas bewegen und fortbilden kann. Wenn uns das gelingt, dann werden in 10, 15 Jahren die Europäer kommen, um bei uns Arbeitskräfte zu rekrutieren.

Sie sind gegen Pläne, in Lagern in Afrika europäische Asylverfahren durchzuführen. Weshalb?

Jeder weiß, was heute in Libyen geschieht. Was sollen Flüchtlinge tun, deren Anträge in solchen Zentren abgelehnt werden? Wer schützt ihre Rechte? Solche Zentren wären de facto Internierungslager. Sie wären eine Brutstätte für Extremismus und organisierte Kriminalität. Aber unsere europäischen Partner kommen immer wieder mit dieser Idee, sie geben ihr nur jedes Mal andere Namen.

Die EU betont die Partnerschaft mit Afrika. Gibt es gemeinsame Interessen?

Im Valletta-Prozess haben Afrika und Europa zu Beginn gemeinsam vier Ziele festgelegt: Hilfen für Wirtschaft, Resilienz, Migrationsmanagement und gute Regierungsführung. Die müssten nun gleichberechtigt verfolgt werden. Das geschieht aber nicht. Unsere europäischen Partner legen den Schwerpunkt klar auf das Migrationsmanagement. Worüber nicht geredet wird, ist, dass es 2016 über 100.000 freiwillige Rückkehrer aus Europa nach Afrika gab. Freiwillige Rückkehrer, keine Abschiebungen. Über 90 Prozent der Migrationsbewegungen von Afrikanern spielen sich innerhalb Afrikas ab. Die beste Abschreckung sind nicht Abschiebungen, sondern Bedingungen, dass die Menschen nicht den Kontinent verlassen müssen. Sie werden davon abgehalten, wenn sie bei uns Arbeit und Perspektive finden. Das ist der einzige Weg.

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5 Kommentare

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  • Es ist ein Armutszeugnis für die afrikanischen Politiker, dass das Sterben ihrer Leute im Mittelmeer sie ja irgendwie gar nicht interessiert. Seit vielen Jahren sterben Afrikaner im Mittelmeer, aber erst seit einem Jahr gibt es Projekte?

     

    Dass die Europäer sich die Partner suchen, die ihnen wichtig erscheinen, dürfte nur natürlich. Je weniger Partner, desto leichter ist die Abstimmung zwischen ihnen.

    Wenn die AU eine Lösung für notwendig hält, die den gesamten Kontinent enthält, dann sollte der Sekretär der AU auch aktiv werden.

     

    Der Artikel offenbart das Problem Afrikas. Fehlende gesellschaftliche Solidarität, die in einer korrupten Elite ihren Gipfel findet.

     

    Die Hilslosigkeit der afrikanischen Politiker, die der Artikel wiederspiegelt, erschreckt mich. Sie drückt sich auch in der Akzeptanz aus, dass sich ganze Volkswirtschaften zu einem erheblichen Teil durch Transferzahlungen ihrer Staatsangehörigen im Ausland finanzieren.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Das ist typisch "weiß", die Afrikaner sind selbst schuld, aufgrund mangelnder Solidarität.

       

      Was ist mit der fehlenden Solidarität der Europäer, die auf erpresserische Weise den ganzen Prozess einer Entwicklungszusammenarbeit blockieren und in eine falsche Richtung lenken?

      Die mit einer dogmatischen Freihandelspolitik und einer subventionierten Wirtschaft den afrikanischen Kontinent weiter ausbeuten, als sei er eine europäische Kolonie?

      Deren Banken die internationale Geldwäsche und die (Währungs-)spekulation mit betreiben und deren Institutionen wie die FIFA (mit schweizer Vereinsrecht und UEFA-Dominanz) Korruption fördern?

       

      Die gesellschaftliche "Mitte" in Deutschland schafft es ja noch nicht einmal, Solidarität mit den eigenen Armen oder den europäischen Nachbarn zu zeigen.

      In den USA wurde gerade ein Faschist an die Macht gewählt.

       

      Die Behauptung, fehlende Solidarität sei das Problem, ist schon richtig. Mit dem Finger gen Afrika zu zeigen ist aber einfach nur bigott.

       

      Auch interessant ist die "Entwicklungspolitik" der Weltbank und der Währungsfonds: https://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnisse_eines_Economic_Hit_Man

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Es geht nicht um Schuld. Wenn man eine Situation ändern will, bringt die Schuldfrage nicht weiter. Das ist in Familien- und Paarbeziehungen nicht anders als in der Gesellschaft.

         

        Wenn es "weiß" ist, Afrikanern auf Augenhöhe zu begegnen, dann bin ich gern "weiß", denn diese paternalistische Haltung, die die armen Afrikaner nur als unschuldige, etwas infantile Opfer der Europäer sieht, ist in meinen Augen genauso rassistisch wie der Kolonialismus. Es ist quasi Kolonialismus mit schlechtem Gewissen.

         

        Die wichtigste Solidarität ist die innerhalb der Gesellschaften der jeweiligen afrikanischen Staaten. Wenn die nicht vorhanden ist, nützt die stärkste europäische Solidarität nichts. Von außen kann man Gesellschaften nicht verändern, sonst wäre aus Ländern wie dem Irak Vorzeigedemokratien geworden.

         

        Die afrikanischen Staaten sind nicht gezwungen, Gelder als Entwicklungshilfe anzunehmen. Erpressung ist was anderes.

         

        Die afrikanische Elite nimmt aber das Geld gern, weil sie sich so bereichern oder zumindest ihren Status erhöhen kann. Um ihre Leute kümmern sie sich weniger. Statt dessen warten sie auf den Messias aus Europa. Wenn die einfachen Leute es angesichts ihrer Eliten tun, kann ich es verstehen. Dass selbst der Sekretär der AU es tut - und das wird in dem Artikel an mehreren Stellen deutlich - , dann macht es mich sprachlos. Der Messias wird nicht kommen.

         

        Wie sehr man die Gesellschaft in Deutschland und Europa kritisieren mag, zwischen der Solidarität europäischer Gesellschaft und der afrikanischer liegen Welten. Und das ist nicht bigott, sondern die Realität, die Sie in jedem Boot, das sich von Libyen aufmacht, finden. Die meisten Afrikaner hätten gern einen Staat, der so unsolidarisch ist wie unserer.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Nichts ist falsch was Sie schreiben.

      Aber man kann nicht mit Vorhaltungen anfangen, wenn was in Gang kommen soll.

      Diplomatie, gerade auch hier, ist allerhöchste Kunst.

      Und unabdingbar ist die (ständig aktualisierte) Vision des Machbaren.

      Kennen Sie jemand in unserer Regierung, der es versteht in den Ländern Afrikas aufzutreten und sinnvolle Gespräche zu führen?

      Ich nicht.

      Wer erinnert sich noch an die Nord-Süd-Kommission?

  • "Die beste Abschreckung sind nicht Abschiebungen, sondern Bedingungen, dass die Menschen nicht den Kontinent verlassen müssen. Sie werden davon abgehalten, wenn sie bei uns Arbeit und Perspektive finden. Das ist der einzige Weg."

     

    Genau. Schade, dass niemand danach handelt.