Die Wahrheit: „Ich war’s! Und meine Frau auch!“
Unterwegs beim 1. Internationalen Bekenner-Video-Festival im Hamburger Hochbunker.
Wer damals eigentlich als Erster die Idee hatte, das wissen Volker Krahl und Rainer Norfeld gar nicht mehr. Aber die beiden Mittfünfziger, die sich aus ihrer Zeit an der Münchner Filmhochschule in den 80ern kennen, hatten schon früh das Gefühl, dass das Genre des Bekennervideos irgendwann als eigenständige Kunstform anerkannt sein würde.
Natürlich muss hier anfangs die heikle Frage gestellt werden: Bekennervideos? In Zeiten des Terrors? Beim Film würde jetzt vermutlich jemand „Schnitt!“ rufen. So bleibt die Frage zunächst etwas unschlüssig in der Luft hängen – schließlich murmelt Krahl etwas von „Bei YouTube doch sowieso …“.
Richtig viel können die beiden Cineasten aus Leidenschaft mit dem Realitätsbezug der Frage nicht anfangen. Ihnen scheint es tatsächlich um Kunst zu gehen. Immerhin dämmert Krahl und Norfeld jetzt, warum so lange niemand als Sponsor ihres Festivals in die Bütt wollte. Bis YouTube kam.
Mitten im Confess-Zentrum
Nächste Frage: Ist es Zufall, dass das Festival des Bekenntnisses erstmals im Lutherjahr stattfindet? Lautet das heimliche Motto „Hier drehe ich, ich kann nicht anders!“? Schmunzelnd stellen die beiden Veranstalter den religiösen Bezug in Abrede, erzählen aber gleichzeitig, dass der Eventort bei ihnen nur noch als „Confess-Zentrum“ bezeichnet werde.
Doch nun hinein ins Treiben, das in den Bunkerräumen des Musikclubs Uebel&Gefährlich stattfindet. Die Greybox-Atmo wird durch Underground-Musik unterstrichen; Fachleute und Fans fläzen sich in Beichtstühlen mit Internetanschluss. Ein wenig mulmig ist einem immer, wenn jemand mit seinem Smartphone filmt. Manche gucken dabei schon irgendwie ziemlich bekennerhaft.
Es ist der vierte von fünf Festival-Tagen – die ersten drei dienten ausschließlich dem bei Festivals üblichen Totengedenken. Im Hintergrund sichtete die von Kai Diekmann geleitete Jury, dessen T-Shirt unmissverständlich und pfeilförmig nach unten mitteilt: „Lüge ist für mich ein 30 cm langes Fremdwort“, aber bereits fleißig Videos. Und heute geht es endlich zur Sache.
Es beginnt gleich mit der Battle zwischen der RAF und der RAF. Über die miserablen Standbilder der 70er-Jahre-Terroristen können die englischen Luftkriegsveteranen nur herzlich lachen – sie haben bereits dreißig Jahre früher gestochen scharfe, farbige und bewegte Aufnahmen der zerbombten Städte produziert. Kindisch wird es allerdings, als man sich gegenseitig vorhält, den Hamburger Bunker nicht geknackt zu haben. Ansonsten: Klarer Sieg für die Briten.
Überhaupt, Terroristen
Überhaupt, die Terroristen. Sie landen allesamt auf den hintersten Plätzen. Drehbuch, Beleuchtung, Starfaktor – alles Fehlanzeige. Und Al Qaida wird direkt disqualifiziert, weil man dort lediglich CNN-Aufnahmen eingereicht hat.
Die mit Spannung erwartete Verleihung der Jurypreise in den einzelnen Kategorien moderiert Dagmar Berghoff mit der ihr innewohnenden Seriosität. Bitter allerdings, dass sie für ein Video der ARD-Aktuell-Redaktion, in dem sich die „Tagesschau“ zum Qualitätsjournalismus bekennt, den vorletzten Trostpreis übergeben muss. Na ja, Diekmann eben …
Ansonsten hagelt es in einem fort Preise, Überraschungen und Tränen. In der Kategorie „Gesellschaftliche Relevanz“ siegt ganz klar die Firma Grünenthal mit: „Contergan – Lügen haben kurze Arme!“ Kritiker tuscheln etwas von „Zynismus“, sie werden zügig aus dem Saal entfernt.
Ähnlich brisant und auf Platz zwei dieser Wertung: Die Firma Carrera bekennt, dass ihre Autos seit den 50er-Jahren von Moskau ferngesteuert waren. Erheblichen Mut in der aktuellen Krise beweist Volkswagen: Der Konzern – Platz drei – gibt freimütig zu, „Riesenmist gebaut“ und einen defekten Rückspiegel geliefert zu haben.
Bekenntnis zur Zehn-Kind-Ehe
Erneute Unruhe kommt auf, als Eva Hermans Bekenntnis zur Zehn-Kind-Familie den Preis in der Kategorie „Werte“ erhält. Dafür applaudiert der ganze Saal, als Daniela Katzenberger die „Lauteste Klappe“ erhält. In ihrem Video bekennt sie sich zu ihrer Bekanntheit. Knapp hinter ihr kommt Gregor Gysi mit „Willkommen bei der Stysi – ich war dabei“ ins Ziel.
In der Kategorie „Bester Titelsong“ (Na Na Nananana Na Na Na Na!) siegt Darth Vader mit dem rührenden Filmporträt seiner Schlumpfsammlung.
Den Sonderpreis „Tierschutzfaktor 50“ erhalten die Tierschützer von „Dr. phil.“, die eine große Menge Eulen aus Athen befreit und diese mutige Aktion gefilmt haben. Den „Black&White-Award“ gewinnt unangefochten ein Video, in dem Farbe bekennt: „Ich bin eigentlich grau statt grün.“
Einen Eklat gibt es in der Kategorie „Traditional Games“: Ein von „Kreuz-Bube“ eingereichtes Video „Herzdamen steche ich am liebsten“ erweist sich als übler revenge porn und wird disqualifiziert. Ebenfalls eher in die Pornoecke gehört – zumindest nach Meinung der anwesenden Kirchenvertreter – das sehr emotionale (und in der Tat nicht ganz jugendfreie) Bekenntnis Jesu zu Maria Magdalena.
Nachwuchspreis für Frauke Petry
Apropos jugendfrei: Den „Nachwuchspreis“ (unter 10 J.) gewinnt Frauke Petry für „Wenn Onkel Marcus zu mir kommt“ – aus der Reihe „Lach- und Sachgeschichten“, die jeden Sonntagvormittag in der AFD läuft.
Und auch die Kirchenvertreter kommen nochmal dran: Den „Förderpreis der Ökumene“ bekommt rätselhafterweise die ARD für „Böse vor acht“. Hinter vorgehaltener Hand sprechen viele von der „offensichtlich intellektuell überforderten Jury“.
Die Publikumspreise räumen erwartungsgemäß populärere Themen ab: Frau Sommer bekennt sich zu Tchibo-Kaffee, Jörg Kachelmann zum Regenschauer bei Hildesheim am 22. Juni 1997 und Mick Jagger zu den Beatles.
Den „Preis des Feuilletons“ holt der haushohe Favorit Felix Krull mit seinem Bekenntnis zu Heinrich Mann („Mit Thomas bin ich fertig!“).
Und den „Guido-Knopp-Spezialpreis“ gewinnt G. Knopp (UFA-Wochenschau) mit einem sensationellen zeithistorischen Dokument: Der Führer bekennt sich! Der Film enthüllt, dass Eva Braun schon am 29. April 1945 durch eigene Hand starb und Hitler am 30. April Blondie ehelichte – und mit ihr gemeinsam in den Tod ging.
Bekennende Amateure
Es könnten noch viele weitere Preisträger genannt werden – etwa die der Kategorien „Professionelle Tatausführung“; „mit oder ohne Laserschwert“; „Special effects für High-end-Devices“ und „Gibt’s ne App?“ – aber die Gewinner kennt leider keine Sau. Sie profitieren vom Amateurbonus, der es einfachen Bekennern leichter machen sollte, sich zu beteiligen.
Den größten Lacher bei der abschließenden Pressekonferenz landet übrigens Vito Corleone für sein Bekenntnis, er würde niemals Spuren hinterlassen, indem er auch nur 30 Sekunden Filmaufnahmen von sich duldete.
Ach so, eines schulden wir Ihnen noch: das erfolgreichste Bekennervideo aller Zeiten. Hier dauerte eine erneute Nachzählung der Publikumsstimmen bei Redaktionsschluss noch an, weil „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl und „Furzkissen auf halb sechs!“ von Dennis auch nach drei Zählungen gleichauf lagen. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar