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Ralf Wohlleben im NSU-ProzessDer Hundertprozentige

Der NSU-Prozess wird noch mal auf die Probe gestellt. Der von Neonazis als Held gefeierte Ralf Wohlleben könnte den Gerichtssaal als Bühne nutzen.

Seine Bühne ist klein – aber Ralf Wohlleben nutzt sie mit allen Mitteln Foto: dpa

München taz | Erst vor wenigen Wochen saßen sie wieder im NSU-Prozess. Auf der Zuhörertribüne platzierten sich knapp ein Dutzend Neonazis provokativ zwischen die Journalisten, mit verschränkten Armen blickten sie runter in den Saal. Von dort nickte ein Angeklagter lächelnd nach oben: Ralf Wohlleben.

Seinetwegen waren die Rechts­extremen angereist. Unter ihnen auch ein bärtiger Enddreißiger, Thomas Gerlach, langjähriger Tonangeber der Szene in Thüringen. Ein „Zirkus“ sei der NSU-Prozess, schrieb Gerlach danach auf seiner Internetseite. „Ein Prozess der Schande“, mit „vorgefertigten Schuldsprüchen für die Bauernopfer“. Und eines der „Bauernopfer“, so sieht es Gerlach, ist Wohlleben.

Am Dienstag folgt Verhandlungstag 343. Seit bald vier Jahren wird im Münchner Oberlandesgericht über die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) verhandelt. Kurz vor Schluss jedoch wird der Prozess noch eimal auf die Probe gestellt. Denn Ralf Wohlleben verließ in letzter Zeit immer öfter die Deckung und ließ seine Anwälte offen Szeneparolen verbreiten. Droht dem Prozess, der bisher konzentriert die Anklage abarbeitete, doch noch von den Rechten instrumentalisiert zu werden?

Bis heute genießt keiner der fünf in München Angeklagten so große Unterstützung aus der rechtsextremen Szene wie Ralf Wohlleben. Beihilfe zum neunfachen Mord wirft ihm die Anklage vor. Der 41-Jährige soll die Waffe organisiert haben, mit der der NSU neun Migranten erschoss: die Česká Zbrojovka 83. Mehr noch, die Anklage sieht ihn als „Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“. Er habe Aufträge des untergetauchten Trios bearbeitet und Mittelsmänner koordiniert.

Nazis solidarisieren sich mit „Wolle“

Die rechtsextreme Szene schreckt das nicht. Sie widmet Wohlleben – anders als Beate Zschäpe – bis heute eine offene Solidaritätskampagne. „Freiheit für Wolle“, heißt deren Losung. Erst zum Jahreswechsel rief die Neonazi-Splitterpartei „Die Rechte“ auf, Wohlleben Briefe in die JVA zu schicken. „Staatlicher Schikane und Willkür“ sei dieser ausgesetzt. Im November, am fünften Jahrestag der Inhaftierung Wohllebens, hieß es in einem Szeneaufruf: „Wolle ist nach wie vor in unserer Mitte und er wird dort auch bleiben.“ Der Jahrestag sei ein „Tag der Wut“. „Wir wollen diese Wut bis zum Hass steigern!“

Zuvor schon hatten Neonazis T-Shirts für Wohlleben entworfen, ­Geburtstagsannoncen geschaltet, vor dem Gericht in München für ihn demonstriert. Eine Rechtsrockband widmete ihm ein eigenes Lied. „Man sperrt dich weg als Terrorist“, heißt es dort. „Wir stehn zu dir.“ Die Erlöse der dazugehörigen CD gingen nach eigenen Angaben „zu 100 %“ an Wohlleben.

Dieser weiß um die Anteilnahme und gab seinen Anhängern kürzlich etwas zurück. Ende Januar meldete sich sein Verteidiger Olaf Klemke im Prozess: Man beantrage, einen Demografie­experten zu laden. Dieser solle nachweisen, dass Deutschland ein „Volkstod“ drohe. Die Geburtenrate der Einheimischen sinke. Ein „massenhaftes Einwandern“ führe zum „allmählichen Verschwinden“ des „deutschen Volkes“. Es sind Slogans, die sich unter Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreuen.

Den Freunden aus Jugendtagen zugrinsen

Noch während Klemke vorträgt, verlässt rund ein Dutzend Anwälte der NSU-Opfer empört den Saal. Von einer „Verhöhnung der Opfer“ ist die Rede. Es ist ein Protestakt, wie es ihn in den gesamten vier Prozessjahren noch nicht gab. Ralf Wohlleben dagegen, so wollen Beobachter gesehen haben, grinst.

Außer Zschäpe sitzt nur er noch bis heute in U-Haft. Früh setzte Wohlleben ein klares Zeichen: Anders als die Hauptangeklagte holte er sich Szeneanwälte an seine Seite, darunter den letzten Anführer der 1994 verbotenen rechtsextremen Wiking-Jugend, Wolfram Nahrath. Und die Verteidiger versicherten der Szene später in einer Erklärung: „Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben.“

Das spätere NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kannte Wohlleben schon aus Jugendtagen. Wie sie wächst er in Jena auf, zwischen Plattenbauten im Stadtteil Lobeda. Nach der Schule schlägt sich Wohlleben mit kleinen Jobs durch, immer wieder ist er arbeitslos. Er wird straffällig, mit Körperverletzungen oder dem Verwenden von NS-Symbolen.

Schon früh schließt sich Wohlleben der rechtsextremen Szene an. Mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bildet er die „Kameradschaft Jena“ und ist Teil des „Thüringer Heimatschutzes“. Auch nachdem die drei untergetaucht sind, hat er zu ihnen Kontakt. Wohlleben zieht ins „Braune Haus“, eine Neonazi-Wohngemeinschaft in Jena, wird Landesvize der NPD, organisiert rechte Konzerte wie das „Fest der Völker“. Am 29. November 2011 wird er festgenommen – als mutmaßlicher Terrorhelfer.

Minutenlang verliest er einen alten Aufruf

Noch vor dem Prozessauftakt wird Wohlleben von der Thüringer JVA Tonna in die JVA München-Stadelheim verlegt, weil der Verdacht besteht, er ziehe weiter Strippen in der Szene. Aus „ideologischer Verbundenheit“ habe er die NSU-Mordwaffe besorgt, sind die Ankläger überzeugt. Wohlleben schweigt zu den Vorwürfen eisern.

Erst im Dezember 2015, als Beate Zschäpe im NSU-Prozess erstmals ihr Schweigen bricht, spricht eine Woche später auch Wohlleben. Auch damals verfolgen Neonazis auf der Tribüne den Auftritt von Wohlleben. In grauem Streifenpullover, neben sich seine angereiste Frau Jaqueline, sagt er, dass nicht er der NSU-Waffenbeschaffer gewesen sei, sondern ein Mitangeklagter: Carsten S. Er selbst habe dem untergetauchten Trio nur kleinere Freundschaftsdienste geleistet. Von den Morden und Anschlägen habe er nie etwas gewusst.

Schon diesen Auftritt nutzt Wohlleben für Propaganda. Er habe etwas gegen „eine Politik, die massenhaft Zuzug nach Deutschland fördert“, sagt er. Als Beweis dafür, dass er dennoch nicht rassistisch sei, führt der Ex-NPDler ausgerechnet das rechtsextreme „Fest der Völker“ an. Minutenlang verliest er einen alten Aufruf. Man achte jede Kultur – aber eben an ihrem „angestammten Platz“. Und: „Wir leben in einer Zeit der Auflösung“, einer Zeit der „Zerstörung ethnischer Eigenarten“.

In der rechtsextremen Szene kommen die Worte an. „Hochachtung“ gelte Wohlleben, schrieb der Thüringer Neonazi Thomas Gerlach im Anschluss. „Aus Feigheit“ würden sich andere Angeklagte im NSU-Prozess „abducken“. Wohlleben aber halte an seinen „Idealen“ fest. Die Szene stehe dafür „weiterhin hinter, vor und neben ihm“.

Vor allem auf Szenekonzerten wird bis heute für Wohl­leben getrommelt – mit Spendensammlungen. Als sich im August 2016 Neonazis im Thüringer Kirchheim zum „Rock gegen Überfremdung“ versammeln, spannen sie ein Banner mit Wohlleben-Konterfei über die ganze Bühne. In Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern werden einen Monat später schwarze Wohlleben-Hemden verkauft, zwei Bands spielen laut einem Szenebericht „Freiheit für Wolle“-Lieder. „Getroffen hat es Wolle“, wird ein ­Redner zitiert. „Meinen tut der Staat uns alle.“

Der größte Coup der Szene erfolgt im Oktober in der Schweiz. Rund 5.000 Neonazis versammeln sich dort im kleinen Unterwasser zu einem Konzert – dem europaweit größten seit Jahren. Angemeldet war es als Auftritt von Schweizer Nachwuchsbands. Tatsächlich aber sind die Organisatoren Rechtsextreme aus Thüringen. Und die nutzen das Großevent auch zu Spendensammlungen für ihr Idol: Ralf Wohlleben.

Von einer „ungebrochenen Unterstützung der rechts­ex­tre­men Szene für Wohlleben“ spricht Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer. Der Angeklagte genieße eine „Sonderstellung“ in der Szene. Auch die Linken-Landespolitiker Katharina König betont: „Eine derart kontinuierliche und offene Kampagne wird nur den Großen der Szene zuteil.“ Die Szene positioniere sich damit auch klar zu den NSU-Morden. „Eine Distanzierung gibt es nicht. Die Taten werden ideologisch unterstützt.“

Und Wohlleben bot seinen Unterstützern zuletzt noch mehr. Schon vor dem „Volkstod“-Antrag ließ er seine Anwälte im NSU-Prozess fordern, den Tod des früheren Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß untersuchen zu lassen – eines Helden der Neonaziszene. Dieser erhängte sich 1987 in Haft. Die Verteidiger sahen das anders: „Es drängt sich der Schluss auf, dass Rudolf Heß ermordet wurde.“

NSU-Opfer leiden unter seiner Frechheit

Die Verteidiger begründeten den Antrag mit einem bei Wohlleben gefundenen Aufkleber, der im Prozess Thema war: Darauf hieß es, Hess sei ermordet worden. Auch der „Volkstod“-Antrag bezog sich auf ein Feuerzeug mit entsprechender Parole. Für die Opferanwälte im NSU-Prozess waren das nur Vorwände, die Anträge unverhohlene „Neonazi-Propaganda“. Zumal die Wohlleben-Anwälte später noch einmal nachlegten und forderten, ein Historiker solle zu Rudolf Heß im Prozess aussagen: Olaf Rose. Der sitzt im NPD-Bundesvorstand.

„Für die Opfer sind diese Anträge eine kaum erträgliche Frechheit“, sagt Rechtsanwalt ­Yavuz Narin. Er vertritt die Familie des 2005 in München erschossenen Theodoros Boulgarides. Auch Narin verließ nach dem „Volkstod“-Antrag den Saal. In der kommenden Woche will er nun kontern: mit Anträgen, durch die nachgewiesen werden soll, dass Wohlleben – anders als von ihm behauptet – schon früher offen Gewalt befürwortete.

Den Prozessbeteiligten aber schwant weiteres Ungemach. Demnächst sollen im Prozess die Plädoyers beginnen. Wohlleben könnte diese Schlussworte für seine Agitation nutzen – neuer Aufruhr wäre vorprogrammiert. „Ich erwarte für die Plädoyers von Wohlleben nichts Gutes“, sagt Anwalt Narin.

Viel zu verlieren hat Wohlleben nicht mehr. Das Gericht und der Bundesgerichtshof lehnten wiederholt seine Haftentlassung ab: Der Verdacht gegen ihn sei keineswegs entkräftet. Vielmehr drohe Wohlleben eine Strafe, die seine bisherige U-Haft „nicht nur unwesentlich“ übersteige.

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11 Kommentare

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  • Wohlleben muss eine harte Strafe und eine Sicherheitverwahrung erhalten. Alles andere wäre supergefährlich. Offenkundig stand Wohlleben immer in Kontakt mit dem Trio und bisher hat er im Prozess ja auch nicht an der Aufarbeiterung der Morde mitgearbeitet, im Gegenteil er steht eigentlich genau zu dem, was hier angeklagt wird: Kriminalität von ganz Rechts gegen unschuldige Menschen und das auch gleich in mehrfacher Hinsicht.

  • Vielleicht weiß Ralf Wohlleben auch etwas darüber, auf welche Weise sein Terroristenkollege Tino Brandt Anfang der 90er Jahre von Thüringen nach Bayern gelangte, wer ihn dort finanzierte und wie es anging, dass Brandt in Regensburg im Lehrlingsheim des Kolpingwerkes unterkam http://www.regensburg-digital.de/schlusselfigur-bei-nazi-mordserie-erst-nicht-behelligt-jetzt-daten-geloscht/11012012/ Ob es wohl "geschäftliche" Verbindungen waren, die ihn in die Bischofsstadt führten? Brandt wird den im Bereich des Kinderhandels üblichen "Karriereweg" genommen haben. Und mag schon als er noch der gewesen sein könnte, der seinen Körper zur Verfügung stellen musste, mit einer ganz speziellen Spezies Mann aus der Oberpfalz in Kontakt gekommen sein. Von dort ist es nicht weit bis Thüringen.

     

    Das Bistum Regensburg hat im Hinblick auf seine Missbrauchshistorie noch nicht einmal mit der Aufarbeitung begonnen. Alles, was bis jetzt unternommen wurde, diente letztlich nur den Interessen der Diözesanfunktionäre und ihrer Assoziierten. Deshalb besteht Hoffnung, dass die Aufarbeitung an Fahrt aufnimmt, wenn die Hintergründe vor Gericht behandelt werden http://www.regensburg-digital.de/die-akte-regensburger-domspatzen/30122014/

  • Wenn Ralf Wohlleben auch in Jena-Lobeda aufgewachsen ist, könnte er ja darüber Auskunft geben, auf welche Weise Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und weitere Kumpane in ihren Kinder- und Jugendtagen ins pädokriminelle Milieu geraten sind. Ich kann mir das schon denken, denn solche Wege sind für Menschen, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen und nie den notwendigen Halt fanden typisch.

    Die Verquickung neofaschistischer Gruppierungen mit denen organisierter Missbrauchskriminalität ergibt sich aus vielen Gemeinsamkeiten.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • Frechheit gepaart mit Dummheit war schon immer eine Nazieigenart und ganz besonders in den Anfängen.Hitler sagte mal sinngemäß,dass er am Anfang nur Leute brauchen konnte,die prügeln konnten.

    Dass solches Dreckspack sich nochmal auf anderen, als den Anklagebänken, in deutschen Gerichtssälen breit machen kann, ist schockierend.

  • Einerseits ist es natürlich beschämend und erschreckend, die sich in aller Öffentlichkeit und vor den Angehörigen der Mordopfer brüstende rechte Szene in Gerichtssaal und Umfeld des Prozesses zu erleben, andererseits mag diese im Grunde erstaunliche Offenheit zu einem angemessenen Strafmaß beitragen.

     

    Zum Hintergrund des "Volkstod"-Schwachsinns im Wohlleben-Prozess gibt es einen aufschlussreichen Artikel in der FR: http://www.fr-online.de/politik/rechtsradikalismus-die-maer-vom--volkstod-,1472596,35117358.html

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wolle will die Höchststrafe ? Gern. Und die liebe Beate kriegt sie auch.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @60440 (Profil gelöscht):

      Wenn ich Nazi wäre, würde ich Herrn Wohlleben "Wolle" nennen und die Frau Zschäpe als "liebe Beate" bezeichnen. Als Ironiker würde ich es lassen.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Wann wird sie die Höchststrafe kriegen ? Wann ?

  • Immer wieder muss man sich fragen, warum setzte der derzeitige Innen Herrn Dr.Frank als Generalbundesanwalt ein ? Immer wieder frage ich mich das.

    • @Pink:

      Wenn sich bei Ihnen daraus eine ganze (Verschwörungs-)Theorie ersponnen hat, seien Sie so gut und amüsieren Sie die Leserschaft.

      • @Hanksson:

        Meine Empfehlung für heute am Sonntag: amüsieren Sie sich über den AfD-Weihnachtskalender.

        Ja ja. Die Glatzenmatraze wird gut geschützt ...