Eklat im NSU-Prozess: „Eine Verhöhnung der Opfer“
Im NSU-Prozess sprechen Verteidiger eines Angeklagten über einen drohenden „Volkstod“. Opferanwälte verlassen das erste Mal aus Protest den Saal.
Herr Narin, im NSU-Prozess haben heute mehrere Opferanwälte aus Protest den Saal verlassen. Das gab es in der dreieinhalbjährigen Verhandlung noch nie. Sie gehörten zu den Protestierenden. Was war los?
Yavuz Narin: Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben wollten einen Beweisantrag stellen. Was aber folgte, war Neonazi-Propaganda wie wir sie in diesem Prozess noch nicht erlebt haben. Die Anwälte wollten einen Sachverständigen für Demografie laden, der feststellen sollte, dass dem deutschen Volk ein angeblicher Volkstod drohe. Dass die Zuwanderung dafür ursächlich sei, dass die Zahl der zeugungsfähigen deutschen Männer abnehme, und so weiter. Es war unerträglich.
Sie sind darauf gegangen.
Es war eine Verhöhnung der Opfer und Hinterbliebenen der NSU-Morde. Ihre Würde und auch die Würde des Gerichts wurde gezielt angegriffen. Der NSU mordete aus rassistischen Motiven, nach eigener Auskunft im Sinne eines Erhalts der deutschen Nation. Daran knüpft dieser Antrag nun an. Was die Wohlleben-Verteidigung heute gemacht hat, hat sie endgültig entlarvt.
Ralf Wohlleben ist als Waffenbeschaffer des NSU angeklagt. Was wollen seine Verteidiger bezwecken?
Die Beweislast gegen Ralf Wohlleben ist inzwischen so erdrückend, dass die Verteidiger scheinbar von seriöser anwaltlicher Tätigkeit Abstand nehmen und den Prozess zumindest noch für Neonazi-Propaganda missbrauchen möchten. Es war ja auch nicht das erste Mal.
der Anwalt vertritt im NSU-Prozess die Familie des 2005 von den Rechtsterroristen in München erschossenen Theodoros Boulgarides.
Sie meinen einen früheren Antrag der Verteidiger, den Tod des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess aufzuklären?
Genau. Ermittler hatten bei Wohlleben Aufkleber gefunden, auf denen stand, dass Hess ermordet wurde. Ein beliebter Slogan in der rechtsextremen Szene. Die Verteidiger nun wollten Zeugen laden, die nachweisen, dass Hess' Freitod in Wirklichkeit ein Mord war. Schon das war eine unverhohlene Provokation. Aber helfen werden diese Aktionen Wohlleben nicht, im Gegenteil: Sie unterstreichen nur die Gesinnung, die er und seine Verteidiger teilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken