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Roman über den Rassismus der MitteWährend Deutschland entgleiste

In „Hotel Jasmin“ lässt die Autorin von „Soul Kitchen“, Jasmin Ramadan, die ProtagonistInnen ihren Rassismus selbst entlarven.

Dass sie über Alltagsrassismus schreiben will, wusste Jasmin Ramadan schon vor ihrem Roman „Hotel Jasmin“ Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Christiane Tarpenbek hat Angst vor Menschen. Richtig schlimme Angst. All ihre Energie wendet sie dafür auf, so unauffällig wie möglich durchs Leben zu gehen. Interessen hat sie nicht, eigentlich mag sie nur rauchen. Und Kaisersülze. Und ihren Sohn, der sie hasst.

Jasmin Ramadans vierter Roman „Hotel Jasmin“ handelt von der Suche nach der Protagonistin Christiane Tarpenbek, und von der Suche Tarpenbeks nach sich selbst. Ein Stück weit ist es auch die gemeinsame Reise der Autorin und ihrer Protagonistin zu einem Teil ihrer jeweils eigenen Identität, die sie nach Ägypten führt, wo Ramadans Vater herkommt.

Wie Ramadan auf den skurrilen Charakter ihrer Figur gekommen ist, weiß sie nicht mehr. „Sie hat sich in meinem Kopf so entwickelt“, sagt sie, während sie am Wohnzimmertisch ihrer Altbauwohnung in Hamburg Eimsbüttel sitzt und raucht. Überall in ihren Räumen ist Kunst: An den Wänden hängen Bilder, auf den Ablagen stehen Figuren, Gekauftes und selbst Gemachtes von ihrem Mann, der auch Künstler ist und eine Galerie im Gängeviertel hat, wo auch einige Szenen in Ramadans Roman spielen. An einer Wand in ihrer Wohnung hängt ein knallpinker Snoop Dogg wie Jesus am Kreuz, im Wohnzimmer eine Jesus-Merkel. An einem Kabel über dem Tisch baumelt eine Computermaus in einer Schlinge.

Christiane Tarpenbek ist Lehrerin in Hamburg und führt ein professionelles Schattendasein. Sie ist dürr, weil sie nichts isst. Die Haare trägt sie immer zum Zopf, die Bluse hochgeknöpft. Sie ist spießig und maximal steif. Zwar raucht sie Kette, meidet aber Alkohol und andere Drogen und konsumiert Schokolade, Kaffee und Tee nur in Maßen.

Tarpenbek hat Angst, mit irgendwas in Berührung zu kommen oder an irgendwas schuld zu sein, was andere betreffen könnte. Zwar mag sie keine Gesellschaft und verscherzt es sich durch ihre schroffe Art mit den meisten Menschen sofort. Aber allein und ohne Beschäftigung will sie auch nicht sein. Die Sommerferien sind der Horror für sie.

Als ihr Leben nach einem rassistischen Vorfall aus den Fugen gerät, reist sie, die niemals reisen mochte, weil sie alles Unbekannte hasst, nach Kairo. Dort checkt sie ins Hotel Jasmin ein, einem rätselhaften und märchenhaften Ort, in dem Wirklichkeit und Traum auch für die LeserInnen verschwimmen. Im Hotel trifft die Protagonistin den Vater der Autorin: Kamal Ramadan, eine geheimnisvolle und liebevolle Figur, die sich immer im Hotel aufhält, weil es so heißt wie seine Tochter, die in Deutschland lebt. Herr Ramadan, der auch in Wirklichkeit in Kairo lebt, wird für drei Tage zum Begleiter Christiane Tarpenbeks, der notorischen Einzelgängerin.

Der Vater als Romanfigur

Viele Menschen sind einfach bösartig

Jasmin Ramadan

„Mein Vater war schon immer mehr eine Romanfigur für mich“, sagt Ramadan, die mit ihrer Mutter und ihrer Oma aufgewachsen ist. Ihr Vater kam nur sporadisch zu Besuch. Trotz der Überschneidungen, die es zwischen dem wahren Leben der Autorin und dem fiktiven ihrer Protagonistin gibt, könnten Jasmin Ramadan und Christiane Tarpenbek kaum unterschiedlicher sein.

Die 42-jährige Schriftstellerin sagt direkt, was sie gut und was sie doof findet. In ihrem Blick liegt immer eine Spur Trotz. „Wenn jemand sagt: ‚Ist mir doch egal, wenn Flüchtlinge im Meer ertrinken.‘ – Was soll ich so einem Menschen denn noch erzählen?“ Sie zuckt die Schultern. „Ganz ehrlich: Da ist es doch vorbei. Viele Menschen sind einfach bösartig.“

In Hotel Jasmin geht es um die Angst von dem anderen, die Feindseligkeit gegenüber Fremden, um Alltagsrassismus. Obwohl es das zentrale Thema des Romans ist, wird es wie beiläufig behandelt, weil im Vordergrund die Personen stehen, die ihren Rassismus selbst gar nicht bemerken. Geradeheraus plappern sie in ein Ton-Aufnahmegerät, das bei der Suche nach der verschwundenen Frau Tarpenbek helfen soll. Dabei sind sie ehrlich und direkt, manchmal auch unsicher und unbeholfen.

Ramadan ist in Hamburg Eimsbüttel aufgewachsen. Mit 16 hat sie die Schule geschmissen, mit 19 wieder aufgenommen, dazwischen „viel schönen Unsinn gemacht“, wie sie sagt. Abitur machte sie, als sie 23 war, dann studiert sie 16 Semester Germanistik und Philosophie. Wissenschaftliches Arbeiten liegt ihr nicht, dafür sei sie zu versponnen, sagt sie. Geschichten hingegen schreibt sie, seit sie schreiben kann. Mit Ende 20 hatte sie ihren ersten Roman in der Schublade.

Ein langjähriger Freund von Ramadan ist der Filmemacher Fatih Akin. „Soul Kitchen“ war ihr gemeinsames Projekt, Ramadans erster Roman und ein Kinoerfolg. Danach schrieb sie „Das Schwein unter den Fischen“ und „Kapitalismus und andere Hautkrankheiten“ und einige Kurzgeschichten.

Wenn es jemanden gibt, der sie zum Charakter von Christiane Tarpenbek inspiriert hat, dann ihre Oma, überlegt Ramadan. „Die war jedenfalls auch typisch deutsch.“ Auch – wie Tarpenbek. Nicht, wie Ramadan, die wegen ihres Namens nie als so richtig deutsche Schriftstellerin gilt. „Obwohl ich kein Arabisch spreche und keine Ahnung vom Islam habe“, sagt sie.

Typisch deutsch

An der Wohnzimmerwand in Eimsbüttel hängt zwischen den Bildern ein Foto von Ramadans Großmutter, als sie noch jung war. Ein hellhaariges Mädchen, das lächelt und nett aussieht – also nicht gerade so, wie man sich Christiane Tarpenbek vorstellt. Tarpenbek, die strenge Soziophobikerin, soll also typisch deutsch sein? „Sie ist sehr gehemmt“, erklärt Ramadan, „und das ist schon deutsch. Und es stecken auch viele andere Klischees in ihr.“

Jeder habe Klischees über andere im Kopf, sagt die Autorin. Deutsche pflegen Klischees über heiße Araber mit dunklen Locken und langen Wimpern. Konservative hegen Abneigung gegen KünstlerInnen und Alternative, die einen unangepassten Lebensstil pflegen. ÄgypterInnen haben Vorurteile gegenüber Deutschen, die alles immer genauso machen wollen, wie sie es gestern schon gemacht haben, auch wenn das gar nicht möglich ist. All diese Klischees spielen in Hotel Jasmin eine Rolle.

Dass Ramadan über Alltagsrassismus schreiben wollte, wusste sie schon, bevor sie mit ihrem Roman anfing. „Und während ich schrieb, ist Deutschland entgleist“, sagt sie. Die Wahlerfolge der AfD, tausende TeilnehmerInnen bei Pegida, zuvor schon die Morde des NSU, ständige Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte. Ramadan geht es um den Rassismus der Mitte.

Rassist sein will niemand

Im Zentrum der Handlung von Hotel Jasmin steht ein rassistischer Vorfall, in den Christiane Tarpenbek verwickelt wird, der sie ihren Job als Lehrerin kostet und sie in der Öffentlichkeit als Monster stigmatisiert. Aber Christiane Tarpenbek ist eigentlich keine Rassistin, jedenfalls nicht mehr als der oder die Durchschnittsdeutsche. Ebenso wenig wollen die anderen AkteurInnen RassistInnen sein, die in dem Roman zu Wort kommen. Ihnen allen – außer einem – ist es wichtig, zu betonen, dass sie für Rassismus nichts übrig haben. Aber alle Figuren entlarven sich schließlich selbst durch ihre unreflektierte Sprache und ihre rassistischen Klischees.

Auch Christiane Tarpenbek wird selbst Opfer der Ereignisse, ohne dass sie etwas dagegen tun kann. Sie ist schuld und gleichzeitig auch nicht schuld, aber sie ist unfähig, den Vorfall richtig zu stellen. Sie kämpft nie für sich, denn sie will ja nicht anecken. Ein Beispiel dafür ist der Name ihres Sohnes: Er sollte eigentlich Ronald heißen, aber der Standesbeamte trägt versehentlich Roland als Namen ein. Sie korrigiert ihn nicht.

Obwohl Roland immer noch besser ist als Ronald, möchte man Christiane Tarpenbek weder als Mutter noch als Freundin haben. Und doch bekommt man als Leserin gegen Ende des Romans das traurige Gefühl, man werde sie vermissen. Dass Christiane Tarbenbek jedoch nicht am Leben hängt und niemanden vermissen wird, ist längst klar. Die Vorstellung, dass Figuren immer wieder neu aufleben, sobald ein Roman wieder gelesen wird, ist ihr persönlicher Horror. Aber den sollte man ihr, bei aller literarischen Liebe, nicht ersparen.

Lesung zum Roman „Hotel Jasmin“: 19. Januar, 19 Uhr, Universität Hamburg, Café Knallhart, Von-Melle-Park 9, Hamburg

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