Kolumne Press-Schlag: Abschied vom Fahrensmann
Immer mehr Fußballclubs vertrauen in der Krise auf Berufsanfänger. Mit Risikofreude hat das aber nichts zu tun.
D as Wort gibt es noch nicht lange. Sein Geburtsdatum ist nicht wirklich zu ermitteln. Aber das Wort dürfte noch nicht über das Kindergartenalter hinausgekommen sein. Von Trainertalenten spricht man erst seit geraumer Zeit. Julian Nagelsmann, der Coach von Hoffenheim, wurde zuletzt gewiss am häufigsten mit dieser Bezeichnung bedacht. In dieser Saison sind wieder einige neu dazugekommen. In schweren Krisenzeiten vertrauten Werder Bremen, der FC Augsburg und der Zweitligist VfB Stuttgart auf die Anfänger Alexander Nouri (37), Manuel Baum (37) und Hannes Wolf (35).
Das Besondere war, dass sie anders als bisher branchenüblich keine Meriten als aktive Fußballer vorweisen konnten. Torsten Frings (37), der diesen Samstag als Profitrainer bei Darmstadt 98 debütiert, erfüllt zwar als ehemaliger Nationalspieler das offenbar überholte Anforderungsprofil, aber anders als früher musste auch er erst einmal Ausbildungsstufen nehmen, bevor er eingestellt wurde. Als Co-Trainer bei Werder Bremen, sowohl in der zweiten als auch in der ersten Mannschaft, hat er, so hofft man in Darmstadt, ein gewisses Talent entwickeln können.
Doch warum vertrauen die Vereine in Zeiten großer Nöte nicht mehr auf ihre alten Fahrensmänner? Über welche Vorteile verfügt Berufsanfänger Frings im Vergleich zu Bruno Labbadia, der schon reichlich Erfahrungen im Abstiegskampf gesammelt hat? Und was ist mit Mirko Slomka (49), Armin Veh (55) oder Michael Frontzeck (52)?
Im Eifer der ligaweiten Trainertalentsuche scheint eine ganze Trainergeneration ins Abseits gedrängt zu werden. Ist dies ein Zeichen für eine neue Risiko- und Experimentierfreude im deutschen Profifußball?
Das Gegenteil ist richtig. Die Entwicklung ist dem Umstand geschuldet, dass der Glauben an die Planbarkeit des Erfolgs nie größer war. Seitdem zur Jahrtausendwende der deutsche Fußball den Anschluss an die Spitze zu verlieren drohte, installierte der DFB ein viel bewundertes, ausgeklügeltes Überwachungs- und Ausbildungssystem, das ihm eine Vielzahl an Weltklassespielern und wieder eine erfolgreiche Nationalmannschaft bescherte.
Die professionalisierte Ausbildung
Dass zur Ausbildung begnadeter Fußballer auch die Trainerausbildung systematisiert und professionalisiert wurde, ging in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach unter. Die Nachwuchsakademien stellten reichlich Vollzeittrainer ein, die unter Profibedingungen Jugendmannschaften betreuten und groß machten. Sie wurden während ihrer praktischen Tätigkeit laufend fortgebildet und konnten konzeptionell langfristig arbeiten, weil sie nicht fürchten mussten, nach drei, vier Niederlagen entlassen zu werden.
Tablets im Klassenzimmer, aber marode Klos. Die Deutschen, Hygieneweltmeister und Erfinder aller Sekundärtugenden, lassen die Toiletten ihrer Kinder verrotten. Was Schüler, Eltern, Urologen, Putzfrauen dazu sagen: der große Schulklo-Report in der taz.am wochenende vom 21./22. Januar 2016. Außerdem: Ein Besuch bei den Nazijägern in der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. Und: Eine Nachbetrachtung der Urwahl bei den Grünen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Das sind Erfahrungswerte, die Julian Nagelsmann nicht nur Stefan Effenberg voraushat, der nach seinem Scheitern in Paderborn zuletzt öffentlich verzweifelt um eine zweite Chance bettelte. Auch Frontzeck oder Veh konnten so nie arbeiten.
Frontzeck oder auch Thomas Schaaf (55) profitierten einst davon, dass sie den richtigen Stallgeruch mitbrachten und man ihnen ein gutes Gespür für die richtigen Entscheidungen zusprach. Reichlich spät ist im deutschen Fußball die Einsicht gereift, dass der Trainerberuf auch ein Ausbildungsberuf ist.
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