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Rot-Rot-Grün in Berlin vor der Klausur„Startschuss für den Aufbruch“

Die Koalition stellt ihr 100-Tage-Programm vor. Die grünen Fraktionschefinnen Silke Gebel und Antje Kapek über dessen Inhalt, den Fall Holm und Panzerfaust-Radler.

„Große Worte gehören zum politischen Spiel“: Die grünen Fraktionschefinnen Silke Gebel und Antje Kapek Foto: Karsten Thielker

taz: Frau Gebel, Frau Kapek, am heutigen Montag sitzt der Senat samt Fraktionschefs in Klausur zusammen. Was soll diese Sitzung bringen?

Antje Kapek: Sie soll der Öffentlichkeit das 100-Tage-Programm des Senats vorstellen.

Das Programm selbst steht schon?

Silke Gebel: Dieses Programm ist quasi das Destillat des Koalitionsvertrags. Es ist der Startschuss für den Aufbruch, den wir als rot-rot-grüne Koalition für diese Stadt erreichen wollen.

Stehen da nur Dinge drin, die in 100 Tagen erledigt werden? Oder auch welche, die der Senat bloß anschieben will?

Kapek: Das ist unterschiedlich. Die Idee von 100 Tagen ist schon, dass man da Dinge in Gang bringt, die auch in 100 Tagen zu schaffen sind – vielleicht sind es auch mal 120 Tage. Da bitten wir um Kulanz.

Wie würden Sie das Klima in der Koalition nach dem ersten Monat beschreiben?

Wir waren jetzt alle im Urlaub und sind wieder entspannter

Antje Kapek

Kapek: Wir waren jetzt alle im Urlaub und sind wieder entspannter …

was ja auch nötig war. „Koalition auf Messers Schneide“, titelte eine Zeitung nach dem Krisentreffen Mitte Dezember wegen des Streits über den Stasi-belasten Staatssekretär Andrej Holm.

Antje Kapek

40, geboren in Kreuzberg, ist seit 2011 Mitglied des Abgeordnetenhauses und seit 2012 Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Inhaltlich kümmert sie sich um das Thema Stadtentwicklung.

Kapek: Dass wir Urlaub brauchten, lag nicht an der Koalition, sondern daran, dass wir alle ein sehr hartes Jahr hinter uns hatten mit Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen und dann dem Anschlag.

Sie klangen aber ziemlich verärgert, als Sie sich darüber äußerten, dass viele Interna aus einer streng vertraulichen Sitzung der Koalition nach außen drangen.

Kapek: Das stimmt. Ich glaube, dass interne Sitzungen auch vertraulich sein müssen. Wir werden da mit Sicherheit noch mal drüber sprechen.

War das jetzt das letzte Durchstechen von Infos?

Silke Gebel

33, geboren im baden-württembergischen Ostfildern-Ruit, ist seit Januar 2013 Mitglied des Abgeordnetenhauses. Mitte Dezember wurde sie zur Ko-Vorsitzenden der Fraktion gewählt.

Kapek: Ich kann das nur hoffen.

Kann sich die Koalition denn auf Inhalte konzentrieren, solange die Causa Holm nicht geklärt ist?

Kapek: Sie ist ja so weit erst mal geklärt.

Das wäre uns neu – ob Holm Staatssekretär bleibt, ist völlig offen.

Kapek: Ich verstehe das mediale Interesse, weil es ja gar nicht so sehr um ihn als Menschen und um das geht, was er getan oder nicht getan hat, sondern weil es symbolisch um zwei große gesellschaftliche Themen geht.

Welche denn?

Kapek: Zum einen die mieten- und wohnungspolitische Debatte in dieser Stadt. Sie hat in den letzten zehn Jahren an Brisanz gewonnen und spiegelt sich in Holm als Gentrifizierungskritiker. In dieser Rolle wird er zu Recht unterstützt – mit der Hoffnung, dass künftig nicht die Immobilienwirtschaft den Ton angibt, sondern dass wir zu einer nachhaltigen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik kommen.

Und das zweite Thema?

Kapek: Offensichtlich gibt es noch einen großen gesellschaftlichen Bedarf, über unsere deutsch-deutsche Vergangenheit zu sprechen – was sich auch in dieser Koalition zeigt. Es ist darum nicht nur wichtig, dass wir uns mit der Stasi-Vergangenheit auseinandersetzen – da erwarte ich vom Kultursenator, dass er die entsprechenden Schritte in die Wege leitet –, sondern auch mit der Frage: Brauchen wir einen Aussöhnungsprozess?

Sie würden das mit Ja beantworten?

Kapek: Ich bin Westberlinerin, Jahrgang 1976. Meine Eltern wurden von beiden Seiten beobachtet – aber ich selbst bin kein Opfer. Nach den Reaktionen, die ich jetzt bekommen habe, habe ich allerdings das Gefühl, dass wir einen solchen Dialogprozess brauchen.

Frau Gebel, Sie sind keine Westberlinerin.

Die Senatsklausur

Bereits am Tag der Einigung über den Koalitionsvertrag im November hatte die Linke ein 100-Tage-Programm angekündigt. „Progressive Reformpolitik“ versprach der damalige Parteichef Klaus Lederer.

Einen Monat nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters sollen heute nach einer Koalitionsklausur die Inhalte des Programms vorgestellt werden, das deswegen eigentlich ein 130-Tage-Programm ist – mindestens. (taz)

Gebel: Ich bin Westdeutsche.

Und das lässt Sie die Sache wie sehen?

Gebel: Mein Wahlkreis ist in Alt-Mitte. Ich bin deshalb viel im Ostteil der Stadt unterwegs, auch durch mein Bürgerbüro in Lichtenberg, einem Bezirk, der mit diesem Thema besonders viel zu tun hat …

weil dort die Stasi-Zentrale und ihr Gefängnis waren.

Gebel: 27 Jahre nach dem Mauerfall muss man sich aber fragen: Sind unsere Herangehensweisen noch die richtigen? Das kann man aber nicht anhand eines Menschen diskutieren, sondern muss das abstrakt machen und es dann wieder auf den konkreten Fall runterbrechen. Dafür muss die Politik Regelungen schaffen, die nicht für den Einzelfall gelten, sondern Allgemeingültigkeit haben.

Ich glaube, dass interne Sitzungen auch vertraulich sein müssen. Wir werden da mit Sicherheit noch mal drüber sprechen.

Im Fokus der Causa Holm steht allerdings längst nicht mehr, was ein 19-Jähriger ein paar Monate bei der Stasi gemacht hat, sondern wie ein 35-Jähriger 2005 an der Humboldt-Universität seinen Lebenslauf geschönt hat und deshalb überhaupt im öffentlichen Dienst noch tragbar ist.

Kapek: Da gibt es ein klares Verfahren.

Und wie sieht das aus?

Kapek: Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass Holm Staatssekretär bleibt und die inhaltliche Arbeit aufnimmt. Er ist wie fast jeder neue Staatssekretär auf Probe benannt und nach einem Jahr wird der Senat eruieren, ob er Beamter auf Lebenszeit wird. Es ist klar, dass es ein Untersuchungsverfahren an der HU gibt. Und nicht nur ich habe schon öffentlich gesagt, dass, wenn die HU zu dem Schluss kommt, dass Holm nicht tragbar ist, die Senatorin die entsprechenden Konsequenzen ziehen würde.

Sie meinen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei?

Kapek: Sie ist die Einzige, die das entscheiden kann. Darum liegt die politische Verantwortung bei ihr, auch wenn wir uns zusammen entschieden haben, diesen nicht einfachen Weg zu gehen.

Uns kommt es eher so vor, als mache es sich die Linkspartei, aber auch der Senat in Gänze ziemlich einfach. Sie überlassen es schlicht und ergreifend der HU, den Daumen zu senken oder zu heben.

Kapek: Es wird nicht bloß abgewartet, wie die HU entscheidet. Es gibt auch eine Prüfung durch die Stasi-Unterlagenbehörde und andere Verfahren formaler Natur in der Hoheit von Frau Lompscher. Darüber müssen Sie mit ihr sprechen.

Lassen Sie uns über den Volksentscheid Fahrrad reden, Verkehr ist ja zentrales Thema der Grünen. Am Freitag haben sich die Initiative und die neue grüne Verkehrssenatorin erstmals an einen Tisch gesetzt. Was können Sie der Initiative bieten, damit die nicht mit dem Volksentscheid drohen muss?

Kapek: Wir haben uns ganz klar im Koalitionsvertrag dazu bekannt, nicht nur ein Radgesetz, sondern – viel weitergehender – ein Mobilitätsgesetz auf den Weg bringen zu wollen, das Regeln zum Rad-, aber auch zum Fuß- und Nahverkehr beinhaltet. Und ganz ehrlich: Ich verstehe die Debatte der vergangenen Tage nicht …

Sie meinen die am Dienstag von der Initiative geäußerten Zweifel und die Kritik am Koalitionsvertrag …

Kapek: … und ich verstehe auch die Initiative nicht, wenn sie die eigenen Erfolge, die wir längst politisch zugesichert haben, wieder in Frage stellt. Ich finde es wenig kreativ, wenn immer wieder die gleiche Kritik kommt. Wir sind kurz davor, ein Fahrradbündnis auf den Weg zu bringen. Und die Grünen-Fraktion hält am Zeitplan fest: Im März wird das Gesetz verabschiedet! Meine Bitte: Die Initiatoren sollten sich mal nicht mit der Panzerfaust, sondern mit der Planungszelle äußern und Vorschläge machen, was über ihren Entwurf hinausgehend umgesetzt werden sollte.

Haben Sie Ideen?

Kapek: Ich kann mir vorstellen, auch das Thema Leihfahrradsystem noch ins Gesetz mit aufzunehmen; das könnte man sogar in das Tarifsystem des VBB einpassen.

Die Initiative hat Angst vor einem „Papiertiger“, ihre – wie Sie sagen – „Panzerfaust“ versucht halt, Druck zu machen.

27 Jahre nach dem Mauerfall muss man sich fragen: Sind unsere Herangehensweisen noch die richtigen?
„ich verstehe die Initiative nicht, wenn sie die eigenen Erfolge, die wir längst politisch zugesichert haben, wieder in Frage stellt“: Kapek mit Radentscheidaktivistin Foto: dpa

Gebel: Große Worte gehören zum politischen Spiel. Ich glaube, dass in der Stadt angekommen ist, dass mit einer grünen Verkehrssenatorin die Verkehrswende eingeleitet wird. Da gibt es einen Vertrauensvorschuss an uns Grüne, auch aus dem Umfeld der Initiative. Wir haben immer gesagt, eine andere Mobilitätspolitik hat für uns hohe Priorität; das wird sich politisch niederschlagen und da werden sich die Forderungen der Initiative wiederfinden.

Die Initiative fordert immer wieder eine Verlässlichkeit, also das Festschreiben konkreter Ziele.

Kapek: Wir haben doch sogar schon die Finanzierung vereinbart. Eine festere Zusage, als das Geld im Haushaltsplan festzuschreiben, gibt es doch gar nicht bei Politikern! Das Mobilitätsgesetz wird auch, so viel kann ich verraten, im 100-Tage-Programm der Koalition stehen.

Frau Gebel, Sie sind neu als Fraktionschefin. Haben Sie eine Aufgabenteilung mit Frau Kapek?

Gebel: Werden wir haben. Wie die aussieht, ist noch offen. Bisher sind ja noch nicht mal die Ausschüsse im Abgeordnetenhaus konstituiert.

Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?

Gebel: Wir waren als Grüne mit kurzen Ausnahmen in Berlin immer in der Opposition. Jetzt betreten wir ganz neues Terrain, als Regierungsfraktion, in einer historischen Koalition, auf die viele aufmerksam blicken. Das als Vorsitzende mitzugestalten, Geschlossenheit einzuhalten, gemeinsam was hinzubekommen, bessere Politik für Berlin zu machen und auch einen grünen Regierungserfolg aufzuzeigen – das finde ich spannend und dafür werde ich hart arbeiten.

Wird es schwierig werden, die grüne Fraktion zusammenzuhalten?

Kapek: (schüttelt den Kopf)

Gebel: Wir Grüne wollen alle gut regieren und dazu gehört Teamgeist. Das ist Teil einer neuen politischen Kultur, die wir als Rot-Rot-Grün in die Stadt tragen wollen – und da fangen wir bei uns an. Es wurde ja immer gesagt: Wir sind zum Erfolg verdammt. Es gibt Leute in der Stadt, die wollen, dass wir scheitern. Und denen möchte ich keinen Grund zur Freude geben.

Was erwarten Sie von der Opposition aus CDU, AfD und FDP? Das ist ja ein starker konservativer Block, auch die Richtung ist erkennbar.

Kapek: Ich glaube nicht, dass der Block homogen ist. Es gibt da eine unterschiedliche Haltung und Reflektiertheit in der Wahrnehmung der Berliner Landespolitik. Und ich hoffe, dass sich da noch einige finden werden, um eine konstruktive und auch verantwortungsvolle Oppositionsarbeit zu machen.

Sie meinen die CDU?

Kapek: Ja. Es ist verständlich, dass man sich nach so einem Wahlergebnis auch erst mal finden muss …

die Union bekam nur 17,8 Prozent bei der Wahl im September.

Kapek: Man darf der Union deswegen auch innerparteiliche Streitigkeiten nicht anlasten. Das ist nicht ungewöhnlich, das kennt jede Partei aus eigener Geschichte. Aber sie sollte aufpassen, dass sie nicht in den reinen Populismus abrutscht.

Sie spielen auf die Reaktionen nach dem Anschlag am Breitscheidplatz an.

Kapek: Wir haben am Anfang alle mit der gleichen Betroffenheit darauf reagiert. Dann haben sich die Wege geteilt bei der Frage: Wie gehen wir jetzt damit politisch um? Wie erreichen wir tatsächlich mehr Sicherheit für Berlin? Da hat Innensenator Andreas Geisel eine gute und verantwortungsbewusste Rolle gespielt, früh alle Fraktionsvorsitzende eingeladen und den Informationsstand weitergegeben, den sie brauchen, um einer solchen Situation gerecht zu werden – und nicht Dinge zu behaupten, die sich so nicht bestätigt haben. Am kommenden Donnerstag wird es sicher eine interessanten Schlagabtausch im Parlament geben nach der Regierungserklärung von Michael Müller – und da wird sich zeigen, wie verantwortungsbewusst die Opposition mit dem Thema umgeht.

Die CDU hat angekündigt, bei Anträgen im Parlament nicht zu schauen, wer sie stellt, sondern was drinsteht. Was machen die Grünen, wenn die AfD noch 100 Kilometer mehr Radwege fordern?

Kapek: Wir werden das Problem nicht haben: Zwischen unseren Positionen und denen der AfD gibt es so gut wie keine Schnittpunkte. Bei der CDU war das Wahlprogramm zu 75 Prozent deckungsgleich mit dem der AfD. Die Union steht da unter ganz anderem Zugzwang. Was ein Grund mehr ist, nicht populistisch zu agieren, sondern eine starke Sachpolitik zu machen. Sonst schwächen sie sich immer weiter.

Wie schätzen Sie die AfD ein?

Kapek: Die AfD wird, wenn man sie nur machen lässt, sich von ganz alleine entzaubern.

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1 Kommentar

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  • "Zum einen die mieten- und wohnungspolitische Debatte in dieser Stadt. Sie hat in den letzten zehn Jahren an Brisanz gewonnen und spiegelt sich in Holm als Gentrifizierungskritiker."

     

    Mit Mietänderungsgesetz 2013 und Modernisierungsgesetz ist in Berlin eine neue imaginäre Mauer entstanden. Die ist zu "durchbrechen"! Das aktuelle Mietrecht bevorzugt unfairerweise Vermieter gegenüber Mietern und zwar entgegen dem Grundgesetz.

     

    Bei einer Debatte um Ferienwohnungen sagte zwar Herr Müller, das Vermieter auch Rechte haben etc. Wir müssen jedenfalls berücksichtigen, dass die Rechte der Mieter und Vermieter oft falsch verglichen werden. Ein Beispiel, wie es richtig wäre. Es ist zumutbar (nach Grundgesetz und nach Ansicht des Verfassers), dass ein Vermieter auf Zusatzgewinne in Folge von Sanierung oder Modernisierung verzichtet. Und es ist nicht zumutbar (nach Grundgesetz und nach Ansicht des Verfassers), dass ein Vermieter eine Zwangsräumung bekommt, nur weil er die Mietsteigerung nicht tragen kann, die nach der Modernisierung oder Sanierung auf ihn zukam.

     

    Bei dieser Gerechtigkeitsfrage über Rechte von Mietern und Vermietern vergessen wir allzu oft, dass bei Vermietern es um Gewinnsteigerung geht, die mit seiner Existenz nichts zu tun hat, also zum Überleben nicht erforderlich ist. Und bei Mietern geht es oft um existenzielle Fragen, um das Überleben und um nicht auf der Straße zu leben!

     

    Das müssen alle Politiker immer vor Augen haben!