taz-Serie Verschwindende Dinge (5): Flyer away
Einst funktionierte die Einladung zu Partys nur über Infoblättchen. Mit den lieblosen Flyern, die sich heute an jeder Ecke stapeln, hatte das nichts zu tun.
Weißt du heute schon, wo du morgen deine nächste Party feiern wirst? Auf diese Frage wird jeder Partywillige wahrscheinlich antworten: Klar, schon seit Wochen, habe dafür mal kurz ins Internet geschaut.
Im Berlin der neunziger Jahre, in einer Zeit vor Facebook und Co, lief das noch anders. Die Berliner Partyszene war Subkultur und noch nicht elementarer Bestandteil des Stadtmarketings, wie sie das heute ist. Man feierte in kleinen Läden im Ostteil Berlins, die es nächste Woche vielleicht schon gar nicht mehr gab Und man traf sich in bruchreifen Industriehallen, die scheinbar niemandem gehörten, stellte ein paar Kisten Bier in die Ecke und gab dem DJ einen Fuffi.
Berlin war ein Partydschungel, einigermaßen Orientierung verschaffte einem in diesem lediglich ein Stückchen Papier, der Flyer. Hatte man es erst einmal auf eine anständige Party geschafft, konnte es von jetzt an dank der Flyer immer weitergehen.
Irgendeine Gestalt im Kapuzenpulli drückte einem sicherlich einen Wisch in die Hand, auf dem dann stand: Nächste Woche Party im „Elektrokohle“. Oder: Morgen Super-Djs im „E-Werk“. Und landete man dann im „Elektrokohle“ oder im „E-Werk“, bekam man hoffentlich erneut Flyer zugesteckt: Ah, im „Silberstein“ läuft bald was, Oh, lasst uns doch hier hin ins „C-Base“ gehen.
Sie waren grell und bunt
Die Flyer gehörten irgendwann zur Berliner Technokultur wie Dr. Motte zur Berliner Loveparade. Sie waren meist grell bunt, hatten eine ungewöhnliche bis unleserliche Typografie, was irgendwie so avantgardistisch wie der dazugehörige Techno wirken sollte, und man nahm sie stets mit dem Gefühl mit nach Hause, eine wichtige, vielleicht lebensverändernde Information in der Hand zu halten.
Man heftete den Fetzen Papier dann an eine Pinnwand oder der WG-Mitbewohner warf ihn aus Versehen weg, was natürlich für Ärger sorgte. Eine Szenezeitschrift nannte sich irgendwann sogar „Flyer“, es gab in Berlin eine Ausstellung über dieses Kommunikationsmedium der Berliner Technokultur und nicht zuletzt einen Bildband.
Und heute? In Zeiten, in denen es keine Information gibt, die sich nicht auch irgendwo im Internet finden lässt? Gibt es erstaunlicherweise mehr Flyer denn je. Nur scheinen sie so allgegenwärtig und überpräsent zu sein, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. In jeder Wochenendausgabe einer Tageszeitung: Flyer. Im Briefkasten: Flyer. Im Theater- oder Kinofoyer: säckeweise Flyer.
Harry Haker, der in Berlin den Laden „Flyerpunk“ betreibt, wo man online Flyer bestellen kann, drückt das so aus: „Flyer sind heute einfach viel einfacher und billiger herzustellen als noch vor zehn Jahren. Auch wegen des Preiskampfes, den es unter den Flyer-Shops gibt.“ Und das habe nun dazu geführt, dass „jede Tante, die ein Nagelstudio betreibt, jetzt Flyer druckt“.
Mit Liebe gemacht
Daniel Goslar, Inhaber der Berliner Firma AKW, die Plakat- und Flyer-Werbung im Kulturbereich anbietet und auch Flyer verteilt, bestätigt: „Es werden immer mehr Flyer im Kulturbereich verteilt. In ländlicheren Gegenden nehmen Flyer ab, in Berlin jedoch zu. Weil es hier immer mehr Veranstaltungen für immer mehr Menschen gibt.“
Und so ist es ja tatsächlich: Kein Filmstart mehr ohne Flyer zum Film, keine Theaterpremiere ohne dazugehöriges Werbezettelchen. Schön anzusehen, mit Liebe gemacht, wie das noch beim Techno-Flyer der Fall war, sind da die wenigsten. „Von einigen kriegst du regelrecht Augenkrebs“, meint Harry Haker von „Flyerpunk“. Und Daniel Goslar sagt: „Optisch geht nicht viel bei den Flyern. Als David Bowie gestorben ist, hatten wir einen Flyer mit dessen Porträt als Motiv. Der war sofort weg und wurde 5.000.mal nachgedruckt. Aber das ist die absolute Ausnahme.“
Doch was ist nun aus dem guten, alten Partyflyer geworden, gibt es den auch noch? Daniel Goslar sagt: „Die Partykollektive in der Stadt bewerben ihre Events nur noch im Internet“, und Partyflyer spielen bei ihm so gut wie keine Rolle mehr. Auch die Möglichkeit, mithilfe eines Flyers die Partypeople von einem Club in den nächsten zu lotsen, sei überhaupt nicht mehr gegeben: „Die Clubs lassen gar keinen mehr rein, der einfach nur Flyer verteilen will. Das geschieht jetzt höchstens noch sozusagen illegal.“
Was im Partybereich an Flyern übrig geblieben ist, das sind die Monatsprogramme einzelner Clubs. Das Berghain etwa gibt ein solches heraus, das Watergate auch. Anruf bei Henrik Kandziora, Grafiker und Web-Koordinator des Watergate: Warum setzen Clubs überhaupt noch auf diese Monatsprogramm-Flyer, wo doch eh alles im Internet steht?
Kandziora glaubt, das liege an einem gewissen Gewohnheitseffekt. „Man hat in den Clubs früher Flyer gedruckt und man macht das eben einfach weiter. Schlichtweg, weil es auch nicht schadet.“ Und so könnte es vielleicht immer weitergehen mit den Club-Flyern. Tut es aber nicht. Henrik Kandziora sagt, gerade eben erst habe man sich dann doch mal so seine Gedanken zum Thema Flyer gemacht. Mit dem Ergebnis: Es lohnt sich nicht mehr. Der Monatsprogrammflyer des Watergate werde bald abgeschafft.
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