piwik no script img

Kommentar Mindestlohn für FlüchtlingeMissbrauch garantiert

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Ausnahmen vom Mindestlohn darf es nicht geben. Auch nicht für Migranten, die noch Zusatzqualifikationen brauchen. Es gibt eine einfache Lösung.

Ein Teilnehmer eines Qualifizierungsprojekts für Flüchtlinge in Miesbach (Bayern) Foto: dpa

D as Problem klingt plausibel: Krankenschwestern werden dringend gesucht, sodass Pflegekräfte aus Syrien beste Chancen hätten – wenn denn gesichert wäre, dass ihre Erfahrungen den hiesigen Erwartungen entsprechen. Um die eventuellen Wissenslücken zu schließen, würde sich also ein längeres Praktikum anbieten.

Bleibt nur eine Frage: Wie viel Geld sollte die Pflegekraft in dieser Zeit verdienen, denn als Praktikantin ist sie ja noch keine vollwertige Arbeitskraft?

Die Bundesregierung denkt jetzt über eine Lösung nach, die fatal enden könnte: Ein Arbeitspapier sieht vor, dass der Mindestlohn nicht gelten soll, wenn sich Migranten in einem Praktikum qualifizieren. Da ist Missbrauch zu erwarten: Ausländische Arbeitskräfte würden als „Langzeitpraktikanten“ deklariert, um sie zu Hungerlöhnen auszubeuten.

Schon jetzt ist der Zoll katastrophal unterbesetzt und personell nicht in der Lage, alle Betriebe zu kontrollieren, ob sie den Mindestlohn zahlen. Würde der Staat auch noch Ausnahmen zulassen, wären die Fahnder gänzlich überfordert: Wie sollen sie im Einzelfall nachweisen, dass das Praktikum nicht rechtens war?

Es darf keine Ausnahmen vom Mindestlohn geben. Gleichzeitig ist aber zu verstehen, dass Arbeitgeber nicht 8,84 Euro pro Stunde ausgeben wollen, wenn sie eine Arbeitskraft noch weiterbilden müssen. Für dieses Dilemma gäbe es eine einfache Lösung: das Antragsverfahren. Arbeitgeber müssten den Mindestlohn immer zahlen – aber sie könnten einen Zuschuss bei den Jobcentern beantragen, wenn sie Praktikanten fortbilden. Die Kontrolle wäre gesichert und Missbrauch ausgeschlossen.

Zudem wäre eine wissenschaftliche Begleitung möglich. Man wüsste hinterher, wie viele Praktikanten es tatsächlich gab und was aus ihnen geworden ist. Statt hitzig zu spekulieren, wäre allseits bekannt, ob sich die Ausnahmen vom Mindestlohn gelohnt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Alle Ausnahmen beim Mindestlohn höhlen die Wirkung des Mindestlohn ein gutes Stück aus.

     

    Diese hier würde Flüchtlinge als minderwertige Arbeitskräfte deklariert und Missbrauch wäre garantiert die Folge. Es würde allerdings zu CDU/CSU und SPD passen - schließlich ist der ganze Mindestlohn mit €8,50 bzw. €8,85 viel zu niedrig angesetzt - davon nach Unten auszubrechen, ist eine kontraproduktive Idee.

     

    Viele Flüchtlinge sind traumatisiert, kämpfen mit ihrem neuen Leben hier in Deutschland und verstehen unser Bildungssystem nicht gut - dann richten wir sie konsequent nach Unten aus und produzieren Armut und Abhängigkeit - ohne Not.

     

    Warum sollen Unternehmer subventionierte Billigarbeiter erhalten, wenn sie mit €8,85 pro Stunde schon Arbeit so extrem billig haben können?

     

    Der Rest heißt Ausbildung und der kann sich langfristig sehr lohnen, aber darauf kommen bestimmte Politiker wohl nicht. Die Discounter-Idee scheint da verlockender: Mach Arbeit billig und schaffe dafür Nachfrage, jemand kann dann schnell zugreiffen. Die Nebenwirkungen sind wohl egal, wie so oft.

  • Ich befürchte, dass eins Missbrauch der Regelung dazu führen wird, dass es erneut eine Abwärtsspirale in der Lohnpolitik gibt - zu weiterem Lohndumping - ähnlich, wie wir das zuvor mit dem Missbrauch bei Praktika gesehen haben. Der Verdrängungswettbewerb, den so viele Politiker immer wieder ausgeschlossen haben, findet dann doch statt - genauso, wie auf dem Wohnungsmarkt übrigens auch. Wer nicht achtsam steuert/gegensteuert, der hat nachher zu Recht große Probleme an der Backe - Hoffnung besteht wenig, weil die Steuerleute von dem Verdrängungswettbewerb nicht betroffen sind.

  • Ich stimme dem Artikel zu, dass es eine hohe Missbrauchswahrscheinlichkeit gibt und er Lösungsansatz scheint mir auch vernünftig zu sein. Gleichzeitig ist bei vielen Arbeiten der Mindestlohn schon deutlich unter dem Lohn, den ausländische Facharbeiter später einmal bekommen, so dass es keine weitere Unterschreitung geben sollte. Z.B. eine Pflegekraft, die Vollzeit ein Praktikum macht - das ist eine fast vollwertige Arbeitskraft - man kann sicher sein, dass diese Menschen so eingesetzt werden, dass sie viel arbeiten müssen, auch während der Praktikumszeit - das weiß jeder Insider! Wie kann man diese Arbeit mit weniger als dem Mindestlohn vergüten - das ist eigentlich eine Frechheit.

  • Der Staat lässt keine zusätzlichen Ausnahmen zu sondern weißt lediglich auf bestehende gesetzliche Ausnahmeregelungen hin. Es gab von Anfang an Ausnahmen beim Mindestlohn. Der Artikel suggeriert, dass für Flüchtlinge eine neue zusätzliche Ausnahmeregelung geschaffen worden ist.

  • Sofern die Zuzahlung, die sonst bei Arbeitslosigkeit anfallenden Kosten nicht übersteigt ist das eine gute Idee.