: Salafist dringend gesucht
Fahndung Die Behörden suchen nun nach einem Tunesier. Er soll zum Umfeld eines Predigers gehören, der als einer der wichtigsten Unterstützer des IS in Deutschland gilt
von Sabine am Orde und Plutonia Plarre
Bei dem Mann soll es sich, wie die taz aus Sicherheitskreisen erfuhr, um Anis A. handeln, der aber auch unter anderen Namen in Deutschland unterwegs war. Mal gab er sein Alter mit 23, mal mit 26 Jahren an. Laut Ralf Jäger (SPD), dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen, soll A. seit 2015 mal in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, ab Februar 2016 in Berlin gelebt haben.
Er war den Behörden als radikaler Salafist bekannt und stand zumindest in seiner Zeit in Nordrhein-Westfalen als „Gefährder“ unter Beobachtung der Behörden. Zuletzt sei im November im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum über ihn gesprochen worden. Laut Jäger ermittelte der Berliner Generalstaatsanwalt wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat gegen Anis A.
Im Juni 2016 wurde sein Asylverfahren abgelehnt, danach sollte er abgeschoben werden. Er saß sogar einen Tag lang in Abschiebehaft, wie CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer nach der Innenausschusssitzung berichtete. Da Asis A. laut Jäger aber keine Ausweispapiere hatte, war eine Abschiebung nicht möglich. Tunesien habe sich lange geweigert, einen Passersatz auszustellen. „Heute sind sie eingetroffen“, sagte Jäger am Mittwochnachmittag in Düsseldorf. Zwei Tage nach dem Anschlag.
Bundesinnenminister Thomas de MaiziÈre
Asis A. soll, wie die taz aus Sicherheitskreisen erfuhr, zum Umfeld des Salafistenpredigers Abu Walaa gehören. Diesen hatte die Polizei Anfang November festgenommen, er sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Laut Bundesanwaltschaft sollen Abu Walaa und vier andere Männer ein salafistisch-dschihadistisches Netzwerk bilden. Ihr Ziel: vor allem junge Menschen zu radikalisieren und zum „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien zu vermitteln.
Abu Walaa, der offiziell Ahmad Abdulaziz A. heißt, gilt als einer der wichtigsten IS-Unterstützer in Deutschland. Laut Bundesanwaltschaft soll sich Abu Walaa offen zum IS bekennen und Ausreisen organisiert haben. Er stand bislang nicht in Verdacht, Anschläge geplant zu haben.
Der Fund der Ausweisdokumente erinnert an den Fall des Attentäters Saïd Kouachi. Das war einer der beiden Brüder, die am 7. Januar 2015 in Paris den Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo verübten. Dabei waren 12 Menschen getötet und 11 zum Teil schwer verletzt worden. Auf der Flucht wechselten die Brüder das Auto. In dem schwarzen Citroën, den sie zuerst benutzt hatten, ließen sie eine Reihe von Gegenständen zurück, darunter einen Ausweis. So kamen die Ermittler auf ihre Spur.
Bisher ist der jetzige Fund des Ausweispapiers der einzige Hinweis darauf, dass Anis S. der gesuchte Täter ist, der den Sattelschlepper in den Weihnachtsmarkt steuerte. „Es könnte auch eine gelegte Spur sein“, sagte Frank Tempel, der Innenpolitiker der Linken, nach der Ausschusssitzung im Bundestag.
Am Dienstagabend hatte sich die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu der Tat bekannt. Die Echtheit der Nachricht ließ sich zunächst nicht überprüfen. Sie entspricht der Form nach aber früheren Bekenntnissen und wurde auch auf den üblichen Kanälen im Internet verbreitet.
Claudia Dantschke
Die kurze Erklärung enthält allerdings keinerlei Täterwissen. Auch ein Bekennervideo oder Bilder des Täters wurden bislang nicht veröffentlicht. Das könnte darauf hindeuten, dass der Anschlag nicht vom IS im Irak oder Syrien geplant wurde. Eine ähnlich allgemeine Erklärung hatte der IS auch nach dem Mord an einem 16-Jährigen an der Hamburger Alster im Oktober veröffentlicht. „Dass sich der IS zu dem Anschlag bekennt, ist kein Beweis dafür, dass der Täter oder sein Tatmotiv einen Bezug zum IS hat“, sagt die Berliner Islamismusexpertin Claudia Dantschke. „Es ist lediglich ein Selbstbekenntnis des IS, nicht mehr.“
Generalbundesanwalt Peter Frank hatte schon am Dienstagnachmittag darauf hingewiesen, dass vieles für einen Anschlag mit islamistischem Hintergrund spreche. Der IS hatte zuletzt im November in seinem Magazin Rumiyah genaue Anweisungen für Anschläge von Einzeltätern geliefert. Dabei wurde der Angriff mit einem Lastwagen in Nizza als Vorbild gepriesen, bei dem im Juli über 80 Menschen getötet wurden.
Ein Fahrzeug sei für einen Angriff gut geeignet, weil es einfach zu beschaffen, aber nicht verdächtig sei, so der IS. „Es ist eine der sichersten und einfachsten Waffen, die man gegen die Kuffar (Ungläubigen) einsetzen kann“, heißt es in dem Artikel. Wichtig sei es, große und schwere Fahrzeuge mit ausreichender Geschwindigkeit auszuwählen.
Bei dem Anschlag am Montag waren 12 Menschen getötet und fast 50 teils lebensbedrohlich verletzt worden. Medienberichten zufolge soll der Pole, der den Lkw ursprünglich gefahren hatte, zum Zeitpunkt des Anschlags noch gelebt haben. Das habe die Obduktion ergeben. Er soll erst nach dem Eintreffen der Feuerwehr an den Folgen einer Schussverletzung gestorben sein.
Ein zunächst festgenommener Pakistaner wurde bereits am Dienstag wieder freigelassen. Gegen den Mann, einen Flüchtling aus Pakistan, gebe es keinen dringenden Tatverdacht, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Er hatte bei der Polizei umfangreich ausgesagt, aber eine Tatbeteiligung bestritten. Ein Zeuge, der den Mann verfolgt hatte, hatte ihn zwischendurch aus den Augen verloren. Da die Polizei nur eine schlechte Personenbeschreibung hatte, nahmen die Beamten anscheinend den Falschen fest (siehe unten). Auch hätten die kriminaltechnischen Untersuchungen keinen Beleg dafür ergeben, dass der Pakistaner im Lkw gewesen sei.
Die am Tag nach dem Anschlag geschlossenen Weihnachtsmärkte in Berlin haben seit Mittwoch wieder geöffnet. Die Polizeipräsenz sei an „entsprechenden Punkten“ deutlich erhöht worden, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).
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