taz-Serie Gut vorankommen: In vier Minuten von Asien nach Europa
Lange galt Istanbul als Verkehrsmoloch mit Dunstglocke. Bis die Stadt konsequent auf den Ausbau des Schienenverkehrs setzte.
Wer heute am Flughafen Atatürk landet, muss nicht mehr stundenlang mit dem Bus oder Taxi auf der Stadtautobahn im Stau stehen, um ins Zentrum zu kommen. Man setzt sich einfach in die Metro und fährt in einer knappen halben Stunde bis zum neuen Istanbuler Umsteigebahnhof Yenikapı. Von dort führt nicht nur die Marmaray-Linie auf die asiatische Seite Istanbuls; auch die Metrolinie 2 startet hier, die das europäische Zentrum in Richtung Schwarzes Meer durchquert.
Mit der Fertigstellung dieses Umsteigebahnhofs, der nun die drei zentralen Schienenstränge der Stadt verbindet, hat Istanbul 2013 einen riesigen Fortschritt im öffentlichen Nahverkehr erlebt. Die Stadt galt zuvor zu Recht als schlimmer Verkehrsmoloch.
Das rasante Bevölkerungswachstum seit Mitte der 60er Jahre von 1,5 Millionen auf 15 Millionen bis 2005 hatte dazu geführt, dass die Verkehrsinfrastruktur den Bedürfnissen der Stadt katastrophal hinterherhinkte. Während die Politik zunächst ausschließlich auf den Ausbau von Straßen und auf Busse für den öffentlichen Nahverkehr setzte, hat mit Beginn des neuen Jahrtausends endlich ein konsequentes Umdenken eingesetzt. Stadtverwaltung und die Regierung in Ankara gaben sich ein ehrgeiziges Ziel: Der Anteil der Schiene am öffentlichen Nahverkehr sollte von damals 3 Prozent in den nächsten Jahren kontinuierlich bis auf 30 Prozent gesteigert werden.
Milliardeninvestitionen im Eiltempo
Tatsächlich haben die AKP-Regierung von Recep Tayyip Erdoğan und ihre Istanbuler Ableger an der Spitze der Stadtverwaltung Wort gehalten. Milliarden wurden investiert, der Verkehr in Istanbul wurde damit revolutioniert. Von den angepeilten 30 Prozent sind innerhalb von nur 15 Jahren bereits rund die Hälfte geschafft.
Die Metropolen wachsen rasant und ersticken im zunehmenden Verkehr. Lärm und Abgase machen den Menschen zu schaffen. Zudem ist der Verkehrssektor einer der größten Klimakiller. Wie Städte diese Probleme in den Griff kriegen wollen, untersucht die taz in ihrer neuen Serie. Vergangene Folge: Istanbul.
Bestehende Versatzstücke von S-Bahn, Straßenbahn und Metro wurden miteinander verknüpft und zu einem integrierten System vereinheitlicht. Mit einer sogenannten Istanbul Cip-Karte, auf die man bequem Geld aufladen kann, sind alle öffentlichen Verkehrsmittel leicht zu nutzen. Überdies sind sie verhältnismäßig preiswert: Für kaum 2 Euro kann man heute vom Flughafen ganz im Westen der Stadt fast 100 Kilometer mit der Metro bis ganz in den Osten, auf der asiatischen Seite der Stadt, fahren.
Jedes Jahr kommen neue Strecken dazu. Dabei ist der Bau von U-Bahnen in Istanbul aufgrund von Topografie und Geschichte extrem schwierig. Nicht nur musste der Bosporus durchquert werden, die steilen Hügel zum Meer hinab zwingen zu extrem tiefen Schächten, um das Gefälle ausgleichen zu können.
Hinzu kommen die Schätze im Untergrund. Als der Umsteigebahnhof Yenikapı gebaut wurde, stieß man auf den ehemals größten, lange verschollenen Theodosianischen Hafen, der im Laufe der Jahrhunderte verlandet war. 37 im Lehm sensationell gut erhaltene Holzschiffe aus dem 4. Jahrhundert wurden von Archäologen aus dem Erdreich geholt, zwei Jahre lang verzögerten sich die Bauarbeiten. Auch die Unterquerung der historischen Altstadt brachten manche Überraschung aus früher griechischer und römischer Bebauung aus der Zeit von vor 2.000 Jahren. Sogar über 8.000 Jahre alte Gräber wurden gefunden.
Und trotzdem: Der Metro-Ausbau geht zügig voran. Mit einer für Deutschland unvorstellbaren Geschwindigkeit werden neue Strecken eröffnet. Der öffentliche Schienennahverkehr hat die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt gerettet und außerdem entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Dunstglocke über Istanbul erfreulich aufgehellt hat.
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