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Zukunft des JournalismusWir sind doch nicht im Zoo

In der „Zeit“ heißt es, Journalisten hätten die unteren Milieus aus dem Blick verloren und müssten wieder „das große Bild“ zeichnen. Eine Erwiderung.

Woher soll man denn wissen, was die Leute in Cottbus-Schmellwitz beschäftigt, wenn man sie nie getroffen hat? Foto: dpa

Seit Donald Trump die Wahl gewonnen hat, fragen sich Journalisten hier und jenseits des Atlantiks, was sie falsch gemacht haben. Warum haben Sie Trump nicht triumphieren sehen, sondern ihn stattdessen monatelang als Clown gezeichnet, der so lächerlich sei, dass er eh keine Chance auf einen Sieg habe? Warum haben sie nicht einschätzen können, dass es genug Leute gibt, die einen Rassisten, Frauen-, Homohasser und Lügner zum Präsidenten machen? Die Lösung, so liest es sich derzeit auf vielen Debatten- und Medienseiten heißt: Weil wir genau diese Menschen aus dem Blick verloren haben.

Das schreibt in der aktuellen Zeit auch Stephan Lebert, Redakteur der Wochenzeitung. Lebert ist 1961 geboren, hat beim Tagesspiegel, dem Spiegel und der SZ gearbeitet. Schon seine Eltern waren Journalisten, als Kind hat er gern den Freunden und Kollegen seiner Eltern zugehört, wenn sie von ihrem Job gesprochen haben.

Aber seit den 90ern beobachte er, dass Journalisten lieber auf den Geburtstagspartys der Mächtigen tanzen, als sie zu kontrollieren. Dabei haben sie die unteren Milieus aus dem Blick verloren, haben „die sogenannten Sozialreportagen“ abgeschafft, „die Geschichten, die soziale Missstände anprangern“.

In den 90ern bin ich eingeschult worden. Ich kann nicht einschätzen, ob Lebert recht hat, glaube ihm aber. Denn seine Analyse, dass Journalisten oft zu nah an den Mächtigen sind, teile ich, genauso wie die Beobachtung, dass heute oft genauer auf jedes Zwinkern von Merkel als auf die Hartz IV-Familie aus Cottbus-Schmellwitz geschaut wird. Dass das gefährlich ist, wissen wir nicht erst seit dem Brexit und seit Trump, sondern schon seit dem Aufkommen der „Lügenpresse“-Debatte.

Und damit meine ich nicht nur jene irrlichternden Pegida-, Querfront- und Nazianhänger, die den Medien nicht mehr vertrauen. Ich meine dieses diffuse Misstrauen, was einem als Journalistin heute immer wieder entgegen schlägt, sei es auf Familienfeiern, im Bekanntenkreis oder von Wildfremden: Ihr steckt doch alle mit den Mächtigen unter einer Decke.

Das Problem ist nicht das Zeichnen, sondern die Zeichner

Lebert schreibt, Journalisten müssen sich daranmachen, „das große Bild zu zeichnen“. Das stimmt. Was aber nicht stimmt, ist, dass das mit recherchieren und schreiben getan wäre, wie Lebert behauptet. Das Problem ist nicht, dass Journalisten nicht das große Bild zeichnen. Das Problem sind die Zeichner selbst.

2012 hat Klarissa Lueg, Doktorandin der TH Darmstadt, für ihre Dissertation untersucht, woher der journalistische Nachwuchs stammt. “Habitus, Herkunft und Positionierung: Die Logik des journalistischen Feldes“, heißt ihre Arbeit, für die sie Schüler dreier Journalistenschulen und deren Schulleiter befragt hat. Ihr Ergebnis: Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) stammen aus einem „hohen“ Herkunftsmilieu. Deren Eltern sind in der Regel Akademiker, deren Väter überdurchschnittlich oft promoviert oder habilitiert.

An Unis und Fachhochschulen kamen 2012 etwa 60 Prozent der Studierenden aus einem Akademikerhaushalt. Die Journalistenausbildung in Deutschland, zumindest die schulische, ist also noch elitärer als die Hochschulausbildung. Woher sollen die guten Sozialreportagen denn kommen?

In meiner Journalistenschulklasse hatten alle meine 14 MitschülerInnen studiert oder sie studieren jetzt. Ich war die einzige Ostdeutsche, zwei Mitschülerinnen hatten Migrationshintergrund.

Und der soziale Ausschluss funktioniert nicht nur über die Schulen, er beginnt schon bei den vielen unbezahlten Praktika und den schlechtbezahlten Volontariaten. Die kann sich oft nur leisten, wer Geld von Mama und Papa bekommt.

Recherchieren reicht nicht

Klar könnte man jetzt einwenden: Journalistisches Handwerk ist das Recherchieren. Wer sich in den unteren Milieus nicht auskennt, der muss dort eben eintauchen. Politikjournalisten sind ja auch keine Politiker, berichten aber über Politiker. Der Unterschied ist nur: Die Sozialreportagen, die Lebert zu recht fordert, müssen, damit sie gut sind, über die bloße Beobachtung hinausgehen.

Die unteren Milieus – Arbeitslose, Arme, Abgehängte – sind kein Zoo, in dem wir als Journalisten uns mal an einem Sonntagnachmittag umschauen und darüber berichten. Mir zumindest fallen nur wenige Texte ein über Menschen am Rande der Gesellschaft, die einfühlsam und so berichten, dass ich deren Lebenswelt verstehe. Die meisten Berichte über solche Leute waren, vor allem im Vorfeld der Trump-Wahl, eine Mischung aus Freak-Show und Abkanzeln unbekannter Lebensstile.

Dazu kommt: Wer nie in Cottbus-Schmellwitz von Hartz-IV gelebt hat, weiß nicht, wo er anfangen soll zu recherchieren. Wenn man die unteren Milieus nur aus der U-Bahn kennt, woher soll man wissen, was die Themen dieser Leute sind?

Geschichten, die fehlen

Vor knapp drei Jahren erschien in der Zeit der Text “Ich Arbeiterkind“ von Marco Maurer. Maurer, Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers schreibt darin, wie schwer sein Aufstieg zum Journalisten war – gerade weil er Arbeiterkind ist. Der Text wurde viel diskutiert, Maurer hat für ihn Preise gewonnen, hat daraus ein Radiofeature gemacht und ein Buch geschrieben. Warum? Weil solche Geschichten fehlen.

Nein, Recherche reicht nicht, den Blickwinkel der Berichterstatter wieder zu weiten. Der Journalismus verändert sich erst, wenn sich seine MacherInnen verändern. Dazu braucht es heterogenere Journalistenschulklassen – nicht nur, was die soziale Herkunft betrifft. In den Redaktionen müssen mehr Leute mit Migrationshintergrund sitzen, schreiben und berichten, mehr Behinderte, mehr Menschen mit verzweigten Biographien.

Wie das klappen soll? Zum Beispiel mit Recherche – wo erreichen wir als Redaktion die Nichtakademiker-Kinder? – und positiver Diskriminierung. Genauso, wie es auf Stellenausschreibungen manchmal heißt, Frauen würden „bei gleicher Qualifikation bevorzugt“, ließe sich diese Formulierung weiter denken. Das wäre kein ungerechtes Identitäts-Klein-Klein, sondern die einzige Möglichkeit, den Journalismus zu dem zu machen, was er sein sollte: ein Abbild der Gesellschaft.

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7 Kommentare

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  • Volle Zustimmung, Frau Kollegin. Besonders was die Lösungsvorschläge anbelangt. Aber wer setzt das um? Denn dass sich was ändern muss, das wissen die Verlage und Unternehmen schon seit langem. Und dennoch verweigern sie sich kontinuierlich. Sie warten alle auf ein Wunder. Eher nach dem Motto: Die Gesellschaft muss sich ändern, aber nicht wir.

     

    Ich bin schon seit Jahren in Redaktionen unterwegs, gleiches gilt für Fernsehsender, aber Diversität ist da bisher Fehlanzeige. Warum? Weil die meisten leitenden Redakteure und Personaler selbst mit ihren eigenen Vorurteilen zu kämpfen haben. Darüber redet aber keiner gern. Wir wollen ja lieber cool und hip sein. Da sollte sich jeder selbst mal an die Nase packen. Vielleicht brauchen wir wirklich Gesetze, damit sich da was ändert...

  • Ein wichtiger Aspekt sollte nicht vergessen werden: Angefangen mit der 'Basta Politik' von Rot Grün und der danach CDU dominierten FDP und GROKO Bundesregierung predigten die sogenannten 'Leitmedien' das neoliberale Karma: "Es gibt keine Alternative!" Gerade die ZEIT, in deren Redaktion jetzt nach dem Brexit und Trumps Sieg der Katzenjammer ausgebrochen ist, folgte man dieser Vorgabe. Nun entdecken die Journalisten die gesellschaftliche Realtität - da reicht das Abschreiben von dpa Meldungen (hallo Taz ;-) nicht mehr aus. Viele Journalisten, vor allem in der Hauptstadt, haben sich seit 2000 die neoliberale Poltik zu eigen gemacht. Und am Beispiel Italien oder Frankreich wird das immer noch betrieben, da werden endlich 'Reformen am Arbeitsmarkt' eingefordert - de facto: Niedriglohn und working poor - das Brot bleibt ihnen, die Wurst landet bei den Edelfedern und ihren LeserInnen. Journalisten sind sooo anfällig für Streicheleinheiten der Mächtigen. Was folgt: Jetzt wird ein bisschen rumgejammert - keiner liebt uns - und dann schön weitergemacht...

  • Arme und Ungebildete (sog. "Abgehängte) lesen schon lange eh keine linke Presse mehr und wählen auch nicht mehr links.

     

    Diese Unterschichtthemen sind für die Leser der taz (und ähnlicher Zeitungen) gänzlich uninteressant.

  • Kuck, jetzt sitzts.

    Kuck, und jetzt niests.

  • JournalistInnen müssen nicht das große Bild zeichnen, sondern dem Leser eine Informationsbasis zur Verfügung stellen, um selbstständig eine Haltung entwickeln zu können. Dafür müssen JournalisInnen, im Falle des Sozialjournalismus, nicht zu Milieuverstehern werden, sondern einfach mal den Schreibtisch verlassen und dorthin gehen, wo es wehtut. Vor die Jobcenter und Werkstore, zu den ALGII Beratungsstellen, Betriebsräten, Sozialstationen, Jobbörsen, Mieterschutzvereinen, Essensausageben etc. An Geschichten mangelt es der Realität wahrlich nicht.

     

    Leider ist Sozialjournalismus nicht sonderlich sexy, was auch der Autorin aufgefallen zu sein scheint. Ihr Vorschlag, man müsse die Habenichtse in die Redaktionsstuben lotsen, damit diese dann über sich selbst schreiben können, ist nicht sonderlich genial. Die Grenze zwischen Unten und Oben wird auf diese Weise in den Journalismus überführt, möglicherweise gar etabliert. Die klangvollen Themen bleiben den Kindern mit den klangvollen Nachnamen vorbehalten, alles darunter bearbeiten dann jene von Unten, weil sie es ja eh besser verstehen. Das ist der falsche Weg.

     

    Es sind die Medien selbst, die sich zu Sozialjournalismus (und bitte auch mehr Europajournalismus) verpflichten müssten, doch dies geschieht nicht, weil die Armen und Ungebildeten selten für Journalismus zahlen und viele derjenigen, die sich Abonnements leisten (können), andere Themen bevorzugen. Wer möchte schon täglich lesen, dass der eigene Wohlstand auf der Ausbeutung der Ärmsten und Schwächsten fußt. Dann doch lieber ein Portrait eines Faschisten auf der Titelseite der Wochenendausgabe, ein bisschen Gruseln hier, ein bisschen Fremdschämen dort, mehr braucht das linke Gewissen oft nicht, um ruhig schlafend im Recht zu sein.

  • Die Selbstkritik hat viel für sich, gesetzt den Fall ich tad´le mich, so hab´ich erstens den Gewinn, daß ich so hübsch bescheiden bin,.... und zum Schluß kommt dann heraus, daß ich ein ganz famoses Haus.

    Nein, Spaß beiseite. Schon mal gut, daß auch Journalisten nicht verordnete Selbstkritik üben. Ich als Leser, Medienkonsument und Leserbriefschreiber habe das immer stärker werdende Gefühl, daß die Medien, die früher ganz sicher auf meiner Seite waren, mittlerweile langsam aber sicher ins andere Lager gewechselt sind. Sie vertreten nicht mehr mich, den kleinen Durchschnittsbürger, sondern irgendwelche für mich abstrakten Ideen oder gleich ganz die Regierung. Früher hatte ich sogar Spiegel und Stern im Abo und freute mich auf eine der großen Sonntagszeitungen für´s Wochenende. Heute werfen die Medien für mich gefühlt ihre Meldungen einfach ab wie weiland Rosinenbomber Päckchen. Da ist echt kein Verstehen mehr. Bei manchen kann man nicht mal mehr kommentieren. Und auch das hilft immer weniger, denn kritik wird nur in homöopathischen Dosen akzeptiert. Wenn man nur ein bischen schärfer wird oder gar gallig oder auch bissig wird, ist Schluß: Keine Veröffentlichung, keine Antwort, niente. Oder, was gerade stark zunimmt: Man wird "gehiltlert", also in in rechte Ecken geschoben. Nee, da macht das auch keinen Spaß mehr. Ich soll rechts ein ? Ich bin konservativ, man behandelt mich aber, als würde ich dazu auffordern, kleine Kinder zu fressen. Warum soll ich für ein Produkt bezahlen, daß mich mies bis mäßig informiert und mich dann auch noch auffordert, es toll zu finden ? Günther Wallraff war in meiner Kindheit mein Jugendheld und Vorbild. Prima seine Verkleidungsgeschichten. Heute mutieren Pressesitzungen zu Ergebenheitsadressen gegenüber der Regierung. Nee Leute, ich bin enttäuscht von euch.

  • Volle Zustimmung!

     

    Die gesellschaftliche Klasse und Herkunft spielen eine wichtige Rolle. Auch im politischen Spektrum ist links-grünes Denken der Wohlhabenden etwas anderes als Linkes Denken der Mittellosen.

     

    Jetzt bin ich auf die journalistischen Konsequenzen gespannt, schliesslich ging es bei Frauenförderung und Gendern doch auch ...