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Kommentar Berichterstattung zu BerlinDas Mediendilemma

Amna Franzke
Kommentar von Amna Franzke

Aus dem Zwiespalt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, aber trotzdem Fragen zu stellen, kommt keiner heraus. Doch frühere Medienkritik hat gefruchtet.

Kerzen vor der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin Foto: ap

N atürlich stand das Wort sofort im Raum. Ein Lkw rast in einen Weihnachtsmarkt. Wer hat da nicht sofort an Terror gedacht? Nach Paris, wo auch feiernde Unschuldige angegriffen wurden. Nach Nizza, wo ein Einzelkämpfer ein Nutzfahrzeug als Waffe nutzte.

Die Assoziationsketten sind kurz – zum Glück funktioniert Journalismus aber nicht so. Die Berichterstattung zum Attentat vom Breitscheidplatz zeigt, dass die öffentliche Medienkritik nach den Attentaten in Frankreich, dem Putschversuch in der Türkei und dem Amoklauf in München Früchte getragen hat.

Mit großer Vorsicht wurde am Montagabend in den ersten Nachrichtensendungen und Eilmeldungen das Wort „Anschlag“ verwendet. Immer wieder wurde betont, dass es sich auch um einen Unfall handeln könne.

Auf Facebook und Twitter wurden Falschmeldungen nicht nur geteilt, sondern auch als solche entlarvt. Und erstaunlich viele Privatpersonen warnten davor, ungeprüft Informationen zu verbreiten.

Trotzdem bewegen sich Medien, die vor allem möglichst schnell und live arbeiten müssen, in solchen Situationen in einem Dilemma. Wie füllt man eine Sondersendung, wenn es keine Bilder gibt und die Expert*innen auch nicht mehr wissen als die Moderation?

In der „Tagesthemen extra“-Ausgabe am Montagabend war Terrorexperte Georg Mascolo zu Gast im Studio. Die Hintergründe des Ereignisses waren zu diesem Zeitpunkt vollkommen unklar, was der Moderator Ingo Zamperoni zwar betonte – trotzdem wurde mehrfach ein Einspieler zu vergangenen Terroranschlägen gezeigt und damit die Deutung des Ereignisses doch in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Aus dem Zwiespalt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und trotzdem alle drängenden Fragen zu stellen, kam auch an diesem Abend niemand heraus. Doch insgesamt lief die Berichterstattung rund. Debatte hilft also doch.

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Amna Franzke
taz2
Jahrgang 1993, hat die Deutsche Journalistenschule in München absolviert und studiert in Berlin Philosophie und Musikwissenschaft. Seit 2016 arbeitet sie bei der taz im Ressort für Gesellschaft und Medien.
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8 Kommentare

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  • Ihren Optimismus würde ich gerne teilen und halte ihn für mehr als wünschenswert!

    Umso überraschter ist man, wenn man beispielsweise von dem in Funk und Fernsehen so „liberal auftretenden Pressevertreter“ Herrn Schwennicke als Chefredakteur im Cicero (verantwortlich) Artikel zu Berlin lesen kann, die weit von Sachlichkeit und Anstand entfernt. http://cicero.de/berliner-republik/reaktion-auf-berliner-anschlag-einschlaefern-als-krisenbewaeltigung#comment-33967 21.12.16

    Schlagzeile: „Einschläfern als Krisenbewältigung“ … „Angela Merkel wirkt nach dem Anschlag in Berlin wie eine Pastorin, nicht aber wie eine Regierungschefin. Obwohl jeder Bürger nach Orientierung, Selbstvergewisserung und Zuversicht sucht, bietet die Kanzlerin statt Antworten nur Floskeln.“… http://cicero.de/berliner-republik/attacke-in-berlin-offene-grenzen-bewirken-das-gegenteil-von-offenheit 20.12.16

    „Flüchtlingspolitik war politisches Versagen“ … „Wenn die sogenannte Flüchtlingspolitik, die in Wahrheit das politische Versagen im Umgang mit Massenmigration war, eine Art Schocktherapie gewesen sein soll, dann hat sie jedenfalls desaströs versagt“

     

    Ihr Artikel „Mediendilemma“ sollte zur Pflichtlektüre gemacht werden!

    • @D-h. Beckmann:

      Danke für diesen Hinweis, @D.-H- Beckmann.Ich habe den "Cicero" bisher ignoriert, weil mir der Chefredakteur Schwennicke bei seinen Auftritten z.B. im ARD-Presseclub von Mal zu Mal unsympathischer wurde. Nach Lektüre der beiden von Ihnen verlinkten Artikel kann ich Ihr Urteil bestätigen.

       

      Richtig erschreckend war allerdings das Überfliegen der Leserkommentare zu den Artikeln: Alle aus der gleichen Richtung, keinerlei kontroverse Diskussion, alle wie auf einem PEGIDA-"Spaziergang" eingesammelt. Scheint das Kampfblatt der AfD zu sein.

  • Ich kann Ihre Schlussfolgerung, liebe @Amna Franzke,

     

    "Doch insgesamt lief die Berichterstattung rund. Debatte hilft also doch.",

     

    leider nicht teilen. Wohl wahr: Alle Qualitäts-Online-Medien, die ich mir angeschaut habe, sowie das ör Fernsehen, haben zur Besonnenheit, zum Abwarten, zum Verzicht auf Spekulation aufgerufen. Das hat aber die meisten nicht gehindert, über das Ereignis in einer Breite (z.T. mehr als 10 Artikel in derselben Ausgabe) und Übersteigerung zu berichten, als hätte jeder einzelne Bundesbürger in den nächsten Stunden mit einem Messer an seinem Hals oder einer Bombe im Vorgarten zu rechnen.

     

    "ANGST!" ist das Wort der Stunde - als ich zufällig bei Illner (ZDF) hineinzappte, prangte es in Riesenlettern hinter der Diskussionsrunde. Und (fast) alle überbieten sich im Bemühen, harmlosen Passanten eine Aussage zu entlocken, wie sie denn mit ihren Ängsten umgehen.

     

    Ich weigere mich zu glauben, dass die Deutschen zu einem Volk von Hosenscheißern verkommen sind, auch wenn interessierte Kreise uns das immer wieder suggerieren wollen. Schauen wir mal z.B. nach Aleppo - oder auch ins "sichere" Afghanistan, in das neuerdings problemlos abgeschoben werden darf: Dort leben Menschen, die Angst haben dürfen. Und die trotzdem bei unseren "Besorgten" noch gewaltigere Ängste auslösen, nur durch ihr "fremdartiges" Aussehen.

    • 3G
      32795 (Profil gelöscht)
      @Bitbändiger:

      Ich habe mir eines dieser Videos angesehen. Die Szenerie am Ort des Geschehens war kurz nach den Ereignissen nicht von Hosenscheißern geprägt.

       

      Die Leute machten auf mich einen sehr gefassten Eindruck. Sie versuchten den Verletzten zu helfen und auf dem Video war nichts von panikartigen Reaktionen zu sehen. Eher das Gegenteil war der Fall.

       

      Angst und Panik wurde in den Redaktionsstuben einfach mal "angenommen". Und wenn sie mich fragen, dann ging dort die Angst um das könnte "den Falschen" helfen. Darauf aufbauen befleisigte man sich in Albernheiten die wohl mit der Gemütslage der ganz großen Mehrheit der Menschen nichts zu tun hatte.

       

      Es wurde eine "Angst" herbeigeredet die ich so nicht gesehen habe und die ich so in der Öffentlichkeit auch nicht zu verspüren glaube.

       

      Wut ist das bessere Wort. Und die alberne Berichterstattung über die "Angst" der kleinen Hosenscheißer hat diese Wut wieder ein klein wenig genärt.

       

      Die Redaktionen projezierten ihre Ängste auf die Gesellschaft und produzierten daraufhin nur noch Bullshit. Viel abgekoppelter kann man wohlnicht mehr sein...

    • @Bitbändiger:

      BITBÄNDIGER, ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Frau Franzke ist naiv und offenbar blind für die weiterhin ungezügelte Sensationsgier auch der angeblich "seriösen" Medien, die aktiv daran mitarbeiten, eine allgemeine Stimmung der Panik und Wut zu verbreiten.

  • "Mit großer Vorsicht wurde am Montagabend in den ersten Nachrichtensendungen und Eilmeldungen das Wort „Anschlag“ verwendet. Immer wieder wurde betont, dass es sich auch um einen Unfall handeln könne."

     

    Zeitgleich brachte die Washington Post die Meldung, dass der IS sich zur Tat bekannt hat. Das Gegenteil trifft zu: Nichts aus Köln gelernt!

    • @Jens Frisch:

      Nach Köln soll jetzt also wild drauf los gemutmaßt werden, wenn eine Tat zu tun hat mit... ja was denn eigentlich? Geflüchteten? Terror? Aber für sie vermutlich auch kein großer Unterschied.