Kommentar Berichterstattung zu Berlin: Das Mediendilemma
Aus dem Zwiespalt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, aber trotzdem Fragen zu stellen, kommt keiner heraus. Doch frühere Medienkritik hat gefruchtet.
N atürlich stand das Wort sofort im Raum. Ein Lkw rast in einen Weihnachtsmarkt. Wer hat da nicht sofort an Terror gedacht? Nach Paris, wo auch feiernde Unschuldige angegriffen wurden. Nach Nizza, wo ein Einzelkämpfer ein Nutzfahrzeug als Waffe nutzte.
Die Assoziationsketten sind kurz – zum Glück funktioniert Journalismus aber nicht so. Die Berichterstattung zum Attentat vom Breitscheidplatz zeigt, dass die öffentliche Medienkritik nach den Attentaten in Frankreich, dem Putschversuch in der Türkei und dem Amoklauf in München Früchte getragen hat.
Mit großer Vorsicht wurde am Montagabend in den ersten Nachrichtensendungen und Eilmeldungen das Wort „Anschlag“ verwendet. Immer wieder wurde betont, dass es sich auch um einen Unfall handeln könne.
Auf Facebook und Twitter wurden Falschmeldungen nicht nur geteilt, sondern auch als solche entlarvt. Und erstaunlich viele Privatpersonen warnten davor, ungeprüft Informationen zu verbreiten.
Trotzdem bewegen sich Medien, die vor allem möglichst schnell und live arbeiten müssen, in solchen Situationen in einem Dilemma. Wie füllt man eine Sondersendung, wenn es keine Bilder gibt und die Expert*innen auch nicht mehr wissen als die Moderation?
In der „Tagesthemen extra“-Ausgabe am Montagabend war Terrorexperte Georg Mascolo zu Gast im Studio. Die Hintergründe des Ereignisses waren zu diesem Zeitpunkt vollkommen unklar, was der Moderator Ingo Zamperoni zwar betonte – trotzdem wurde mehrfach ein Einspieler zu vergangenen Terroranschlägen gezeigt und damit die Deutung des Ereignisses doch in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Aus dem Zwiespalt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und trotzdem alle drängenden Fragen zu stellen, kam auch an diesem Abend niemand heraus. Doch insgesamt lief die Berichterstattung rund. Debatte hilft also doch.
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