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Neue Regeln für ökologische LebensmittelBiosiegel-Reform vorerst gescheitert

Knapp drei Jahre verhandelten die EU-Institutionen darüber, wie künftig Ökolebensmittel produziert werden sollen. Nun sind die Gespräche am Ende.

Biomöhren. Von normalen Möhren anhand ihres glücklichen Lachens unterscheidbar Foto: dpa

Berlin taz | Nach fast drei Jahren Streit über neue Regeln für Bio-Lebensmittel hat die EU das Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben. „Die Verhandlungen sind vorläufig abgebrochen und auf einen nicht näher vorhandenen Termin vertagt – wenn überhaupt“, sagte der Vertreter des Europäischen Parlaments, Martin Häusling (Grüne), am Donnerstag der taz.

Weder er noch der Rat der Mitgliedstaaten hätten einem Vorschlag der Kommission zustimmen können, für Biolebensmittel einen eigenen Pestizidgrenzwert einzuführen. Kreise des Rats und der Kommission bestätigten Häuslings Angaben. Jetzt gelten die alten Vorschriften weiter.

In den Gesprächen ging es um einen Entwurf vom März 2014, mit der die Kommission die EU-Ökoverordnung umstrukturieren wollte. Die reformierten Regeln für das gesetzliche Biosiegel sollten die Konsequenz aus Betrugsskandalen sein. Denn es hatte immer wieder Negativschlagzeilen gegeben, etwa als über Italien billige konventionelle Ware für Millionen Euro als Bioprodukte nach Deutschland verkauft wurde.

Solchen Skandalen setzte die Kommission vor allem den Plan für einen Pestizidgrenzwert entgegen. Biohersteller sollten künftig garantieren, dass in ihren Produkten höchstens so viele Ackergifte wie in Babynahrung enthalten sind. Einmal, weil die Verbraucher keine Pestizide in Bioware wollen, so die Kommission. Zum anderen, weil solche Chemikalien in Ökoprodukten ein Indiz dafür sein könnten, dass es sich in Wirklichkeit um konventionelle Ware handelt. Allerdings gibt es auch andere Möglichkeiten: zum Beispiel, dass die Chemikalien ohne Zutun des Biobauern vom konventionellen Nachbarfeld herübergeweht wurden.

Wenn der Nachbar Pestizid benutzt

Deshalb lehnten etwa die deutschen Ökoverbände den Vorschlag von Anfang an kategorisch ab. „Es darf nicht sein, dass Biobauern für den Pestizideinsatz ihrer Nachbarn haften sollen“, erklärte der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Der in Italien eingeführte Grenzwert führe dazu, dass Bio-Apfelbauern die etwas stärker belastete Ernte der äußeren Baumreihen einer Plantage nur als konventionell vermarkten könnten, oft seien das 30 bis 40 Prozent der Erträge. Der Verband verwies auf Untersuchungen der Behörden, wonach Biolebensmittel im Schnitt bedeutend geringer mit Ackergiften belastet sind als konventionelle.

Nach dem Scheitern des Kommissionsvorschlags forderte BÖLW-Vorstand Jan Plagge Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) auf, „die Beschlüsse von Bundestag und Bundesländer in Brüssel durchzusetzen: Die Totalrevision der Verordnung muss jetzt gestoppt und das Angebot des Europäischen Parlaments angenommen werden, das bestehende Recht schrittweise weiterzuentwickeln.“ Niedersachsens Minister Christian Meyer (Grüne) ergänzte: „Notwendige Anpassungen und Klarstellungen sollten in die bestehende Verordnung integriert werden.“

Ich will nicht über irgendeine Form von Grenzwert reden

Martin Häusling, Grüne

Dafür müsste die EU-Kommission ihren bisherigen Entwurf zurückziehen. Dazu ist sie aber nicht bereit, wie eine Sprecherin der EU-Kommission der taz sagte. Doch nur wenn sich Kommission, Rat und Parlament einig sind, kann die Verordnung in Kraft treten.

Damit ist ungewiss, ob es weitere Verhandlungen geben wird. Parlamentsvertreter Häusling hat sich zwar nicht festgelegt darauf, dass die Kommission ihren kompletten Entwurf fallen lassen muss. Aber der Verhandlungsführer macht eines zur Bedingung für neue Gespräche: „Ich will nicht über irgendeine Form von Grenzwert reden.“

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4 Kommentare

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  • „Es darf nicht sein, dass Biobauern für den Pestizideinsatz ihrer Nachbarn haften sollen“? Nun genau das darf nicht nur sein, es muß so sein. Verbraucher sind bereit, für Bioprodukte mehr zu bezahlen, weil damit die Erwartung für Qualitätsstandards verbunden ist. Man zahlt nicht höhere Preise, weil man den Biobauern dafür belohnen will, daß er gute Absichten hat. Man zahlt mehr, weil man erwartet, daß Bioprodukte gesünder und weniger belastet sind. Und dafür kann man dann auch erwarten, daß die teuren Bioprodukte tatsächlich weniger Chemie enthalten. Und eben nicht nur, daß der Biobauer gute Absichten hatte, aber leider wegen irgendwelcher Umstände (böse Nachbarn oder was auch immer) dann doch Lebensmittel produziert, die chemisch/pestizid-mäßig hoch belastet sind.

    • @yohak yohak:

      Doch, eben genau das. "Bio" ist eine Besiegelung für eine bestimmte Weise, Landwirtschaft zu betreiben. Es ist eben keine Besiegelung einer bestimmten Produkteigenschaft.

       

      Und genau deswegen kaufe ich auch bio-zertifizierte Produkte: Weil ich eine bestimmte Art und Weise, Landwirtschaft zu betreiben, unterstützen will. Die Produkteigenschaften sind nicht völlig unabhängig davon, aber eben nur sekundär betroffen.

       

      Es heißt ja "aus ökologischer Landwirtschaft" und nicht "frei von Pestizidrückständen". Und es heißt auch nicht "gesünder, weil weniger Chemie". Es ist einfach eine Aussage über die Art der Landwirtschaft, nicht mehr und nicht weniger.

      • @user21617:

        Aus Sicht der Bauern haben Sie ja Recht. Allerdings nützt das den Verbrauchern wenig. Wenn ich im Laden Bio kaufe, möchte ich keine Pestizide. Egal wie diese auf den Apfel gekommen sind. Und da es etwas umständlich wäre, immer einen Pestizidtest dabei zu haben, wird eine verlässliche Kennzeichnung benötigt. Es ist also nötig eine Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird. Der derzeitige Zustand ist unbefriedigend.

      • @user21617:

        Ich stimme Ihnen voll zu.

         

        Und was würde es nutzen, wenn aufgrund der Betriebsnachbarn keine ökologische Landwirtschaft mehr betrieben werden würde?

         

        Im übrigen gelten für die Bio-Produkte mind. die gleichen Grenzwerte wie für die konventionellen. Und wenn ein konventioneller Nachbar, wie es schon ab und zu geschieht, nicht ordnungsgemäß "spritzt", dann muss schon auch mal das Gemüse vom Öko-Kollegen auf dem Nachbarfeld vernichtet werden... (und kommt somit auch nicht in den Handel - weder bio noch konventionell).

         

        Und bei den Öko-Anlieferungen für die Säuglingsnahrung wird sowieso jede Charge extra auf Pestizide etc. untersucht.