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Filmemacher über's Festival von Carthage„Wir sind Afrikaner“

Über die Geschichte des Festivals und seine Gründer Tahar Cheriaa: „ Die Idee war und ist, dem afrikanischen und dem arabischen Film ein Forum zu geben.“

Chichi? Die Schauspielerinnen Feriel Graja und Hind Sabri auf der Eröffnungsfeier des Filmfestivals Foto: Imago/Chokri Mahjoub
Edith Kresta
Interview von Edith Kresta

taz.am wochenende: Monsieur Challouf, waren Sie bei der Abschlussfeier des Filmfestivals von Carthage?

Mohamed Challouf: Nein. Das war eine protzige Chichi-Veranstaltung, die nicht zum Geist dieses Festivals passt.

Ihr Film „Im Schatten des Baobab-Baums“ erzählt die Geschichte des Filmfestivals von Carthage. Es ist die Geschichte über das Engagement des Festivalgründers Tahar Cheriaa und die Geschichte des tunesischen Kinos, der Cinema Clubs seit den 60er Jahren. Findet sich diese 50-jährige Geschichte im Programm wieder?

Ja. Zur Eröffnung des Festivals am 29. 10. wurden in allen Kinos von Tunis alte Filme gezeigt, die hier ausgezeichnet wurden. Afrikanische und arabische Filme. Eine Hommage an Filmemacher wie Djibril Diop Mambéty („Badou Boy“) aus Senegal, Idrissa Ouedraogo aus Burkina Faso („Tilaï“, Grand Prix Cannes) oder den ägyptischen Regisseurs Youssef Cahine. Und wir haben alte Schwarz-Weiß-Filme gezeigt, die restauriert wurden.

Das Filmfest von Carthage wollte immer Plattform für panafrikanisches und panarabisches Kino sein. Ist es das noch?

1963 war der Gründer des Festivals, Tahar Cheriaa, in Berlin eingeladen. Damals war ein ägyptischer Film im offiziellen Wettbewerb. Tahar Cheriaa ging am nächsten Tag zur Pressekonferenz mit dem Filmteam. Außer ihm war niemand da. Er war schockiert. So hat er 1966 mit Freunden, die damals mit ihm im tunesischen Cine-Club aktiv waren, das Filmfestival von Carthage gegründet. Auch wenn Filme aus aller Welt dort gezeigt werden, im Wettbewerb geht es um das afrikanische und das arabische Kino. Tahar Cheriaa steht für den Dialog zwischen Tunesien und dem Rest Afrikas.

Aber wie ist es heute?

Tunesien kann nicht existieren, wenn es sich nicht mit seinen Nachbarn auf dem afrikanischen Kontinent austauscht. Wir sind arabisch, mediterran, aber vor allem sind wir Afrika. Tunesien hat diesem Kontinent den Namen geben: Ifriqua. Die Idee war und ist, dem afrikanischen und dem arabischen Film ein Forum zu geben.

privat
Im Interview: Mohamed Challouf

Der Filmexperte und Filme­macher („Im Schatten des Baobab-Baums“, ein Porträt von Tahar Cheriaa, dem Gründer des Filmfestivals Carthage) war verantwortlich für das Programm zum 50-jährigen Jubiläum des Filmfestivals von Carthage. Er lebt in Sousse und Mailand.

Aber schauen die Tunesier nicht lieber nach Norden?

Doch. Sie sind fasziniert von Frankreich oder Spanien. Sie vergessen, dass sie auch Afrikaner sind und dass trotz aller politischen und ökonomischen Probleme dieser Kontinent reich an Kultur ist. Dieser Kontinent birgt auch enorme ökonomische Chancen für Tunesien. Aber wir sind Rassisten. Wir sind ignorant. Wir sprechen über den Rassismus auf der andern Seite des Mittelmeers, dabei haben wir hier den Rassismus zwischen Schwarzen und Weißen und zwischen Tunesien und dem Rest von Afrika. Auch unsere schwarzen Mitbürger haben Probleme. Es gibt viel zu tun.

Wie ste ht es um den afrikanischen und den arabischen Film Ihrer Meinung nach?

Das afrikanische Kino ist in einer schwierigen Situation. Es mangelt an Neuproduktionen. Es gibt dort vor allem Kurzfilme.

Hat sich nach der Revolution 2011 in Tunesien etwas am Charakter des Filmfestivals von Carthage verändert?

In den letzten vier Jahren gab es neue Ansätze, sich als afrikanisch zu identifizieren, und vor allem Ansätze, die Regionen stärker einzubeziehen und im Rahmen des Festivals überall im Land Filme zu zeigen. Und es gibt dieses Jahr interessante Projekte wie die Präsentation von Filmen in Gefängnissen.

In welche Richtung soll es weitergehen?

Ich hoffe, dass dieses Festival zur Kommunikation beiträgt. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Festivals haben wir ein internationales Kolloquium unter dem Titel „Das kulturelle Erbe in Gefahr“ gegründet, um über die Situation unserer arabischen und afrikanischen Archive zu diskutieren. Wir brauchen endlich eine Cinemathek!

In Europa, vor allem in Deutschland, ist das Festival von Carthage wenig bekannt. Woran liegt das?

taz.am wochenende

Keine schlechten Nachrichten mehr. Nur Müsli, Kniffel und "Warten auf Godot": Eine tazlerin und ein tazler haben sich nach der US-Wahl in einen Bunker zurückgezogen. Die Reportage von Annabelle Seubert und Paul Wrusch über die Zeit, die sie nur mit sich und einer sehr lauten Klospülung verbrachten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. November. Außerdem: In der Republik Moldau ziehen Großeltern ihre Enkel groß – weil die Eltern auswandern. US-Serien werden immer häufiger von Frauen gemacht. Wie kommt das? Und: ein Lob des Berufspolitikers. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ich weiß. Es sind die Franzosen, die hier mit ihrem Kulturinstitut viel Unterstützung leisten. Ein bisschen auch die Italiener. Das Goethe-Institut ist kaum präsent. Auch nicht, wenn es um Produktionen mit einem Bezug zu Deutschland geht. So spielte beispielsweise Roman Bunker in Sousse die arabische Querflöte zu dem Animationsfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger. Auch dabei hat uns das Goethe-Institut nicht unterstützt. Es wird viel in der Hauptstadt Tunis gemacht. Aber jetzt, nach der Revolution, sollten wir viel stärker in die Regionen gehen und dort Festivals organisieren. Ich protestiere gegen die Ignoranz der Hauptstädter gegenüber dem Rest des Landes. Wir müssen auch die Leute im Landesinneren ansprechen.

Und das Festival besser nach außen repräsentieren?

Ja, wir müssen das arabisch-afrikanische Kino besser präsentieren. Dazu müssen wir logistisch besser werden. Dieses Jahr gab es viele Pannen bei der Organisation. Und was sehr wichtig ist: Wir müssen auf die Sprache achten, um zu kommunizieren. Wir müssen die Filme ins Englische übersetzen, denn Arabisch, aber auch Französisch sprechen viele nicht. So könnte das Festival auch für Kulturtouristen aus aller Welt interessant sein.

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