piwik no script img

Flüchtlinge ohne Betreuung„Nichts tun macht krank“

Arbeitsagentur hat „Moin“-Kurs-Konzept für Flüchtlinge mit guter Betreuung beendet. Die Agentur verweist auf knappes Geld, dabei hat sie Überschüsse

Zu teuer: Hamburg streicht Kurse für berufliche Integration zusammen Foto: Uwe Anspach/dpa

Bahar* war mal Professor an einer technischen Hochschule im Irak, ist aber seit Jahren auf der Flucht. Seit Sommer 2015 lebt er in Hamburg, in einer kleinen Ansammlung von grauen Containern an der Walddörfer Straße, mit 31 anderen Geflüchteten. Von Ende Mai bis Anfang September besuchte er in der direkt daneben liegenden Schule einen sogenannten „Moin“-Kurs. Täglich fünf Stunden wurde er in einer Kleingruppe auf ein Berufsleben in Deutschland vorbereitet. Dann war der Kurs plötzlich zu Ende.

„Danach waren wir in einem Schockzustand“, sagt er auf Englisch. Dann wechselt er ins Arabische, eine Mitbewohnerin übersetzt: „Nur sitzen, essen, schlafen ohne Beschäftigung, das macht krank. Viele Leute liegen den ganzen Tag nur in ihren Betten“. Und wieder auf Englisch: „Es gibt in dieser Stadt ein paar tausend Menschen, die nichts tun können.“

Über 40.000 Geflüchtete leben in Hamburg. Einen Integrationskurs kann nur besuchen, wer als Asylsuchender bereits anerkannt ist. Das dauert. Damit Menschen mit guter Bleibeperspektive die Zeit nutzen können, haben fünf Bildungsträger im Auftrag der Arbeitsagtentur die „Moin“-Kurse entwickelt (siehe Kasten).

Doch das auf 26 Wochen auslegte Konzept wurde nach Auskunft der Bildungsträger im September nach nur 16 Wochen stadtweit gestoppt. Das ging, weil die Kurse auf Wunsch der Arbeitsagentur in vier „Module“ zerlegt worden waren, für die die Flüchtlinge jeweils neue Gutscheine beantragen sollten. Es habe die Zusage gegeben, dass die durchgehend bewilligt würden, sagt ein Insider. Aber dabei blieb es nicht.

Bewusst personalintensiv

„Moin“ steht für: Motivieren, Orientieren, Integrieren. Das zertifizierte Konzept umfasst 660 Stunden, davon 390 Stunden Deutsch, aber auch Einzelcoaching samt Dolmetscher, interkulturelles Training, Unterstützung in Lebensführung, Bewerbungstraining und Job-Vermittlung.

Für Schutzsuchende, die schon den Integrationskurs besuchen, gibt es den „Begleit-Moin“, ebenfalls 660 Stunden, aber über 33 Wochen.

Nur fünf bis sechs Leute sitzen in beiden Kursen, sie sind extra personalintensiv konzipiert.

Das Projekt W.I.R soll die Qualifikation der 45.000 Hamburger Flüchtlinge erfassen. Bis Oktober wurden erst 2.841 registriert.

Die CDU-Abgeordnete Karin Prien hakte per Anfrage nach, wie viele Flüchtlinge betroffen seien. Antwort des Senats: Es gab 2.263 Gutscheine. Es handle sich nicht um „Abbrüche“ des Kurses, sondern um ein an „individuellen Bedarfen“ ausgerichtetes Verfahren. Ein „Moin“-Kurs werde beendet, wenn ein Flüchtling einen positiven Asylbescheid bekommt und der gesetzliche Integrationskurs beginnt.

Nur haben Bahar und drei seiner Mit-Kursteilnehmer noch gar kein Asyl bekommen. Sie legten mit Hilfe von Anwalt Ralf Neubauer Widerspruch gegen das Kursende ein. Der wurde abgelehnt. Begründung der Arbeitsagentur: Der Kurs sei zu teuer. Das Interesse des 54-Jährigen an einem weiteren Gutschein über dann insgesamt 26 Wochen sei „geringer zu bewerten“ als das öffentliche Interesse an einem „sparsamen Einsatz begrenzter Fördermittel“.

Sind die Mittel wirklich so knapp? Die Bundesagentur für Arbeit bekommt Geld für die Integration. Für 2016 wird ein Milliarden-Überschuss erwartet.

Die Hamburger Arbeitsagentur geht dagegen davon aus, ihr Budget auszuschöpfen. Sprecher Knut Böhrnsen sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand einen Ablehnungsbescheid erhält, der mit fehlendem Budget begründet ist.“ Das wäre falsch. Die Agentur wolle keine „Verhinderungsbehörde“ sein. Und es gebe neben dem „Moin“ andere gute Angebote. Menschen mit noch ungeklärtem Aufenthaltsstatuts sollten zum Info-Point der Agentur-Zentrale kommen.

Bahars Anwalt Neubauer findet das unsinnig: „Wieso soll mein Klient an den Info-Point, nachdem man seinen Antrag abgelehnt und den Widerspruch abgewiesen hat?“

*Name von der Redaktion geändert

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare