Auf dem Alpe Adria Trail: Die Wandernerds
Neue Wanderwege, neue Kundschaft. Der bärtige, junge Hipster hat das Wandern entdeckt. Kärnten will von diesem Trend profitieren.
Gurgelnd und schäumend stürzt das Wasser in die Tiefe und füllt die Groppensteinschlucht mit seinem Singsang, als hätte jemand vergessen, eine Dusche abzudrehen. Die kleine Gruppe Wanderer zückt das Smartphone, eine Karawane von Bildschirmen schaukelt in Richtung Wasser. Österreichromantik. Die Groppensteinschlucht in Kärnten im Süden Österreichs ist ein Ort zum Durchwandern. Schmale, steile Wege, irgendwann für Händler geschaffen. Das einzige Haus ist ein wenig besuchtes Kassenhäuschen.
Alpe-Adria-Trail, Etappe 7. Ein neuer Wanderweg, der sich über 750 Kilometer von Österreich über Slowenien bis nach Italien erstreckt, vom Schnee des Großglockners bis an die Adriaküste. Einer von diesen neuen Wegen, wie sie an vielen Orten in Europa ausgewiesen werden. Die Schilder sind frisch und laminiert; Wanderer gibt es deutlich weniger als Wegweiser. Immerhin gibt es hier Wegweiser. In Italien, so Mitinitiator Günther Mussnig, seien teilweise noch keine Schilder angebracht. „Aber die Leute kommen trotzdem irgendwie an.“
Seit 2012 führt der Alpe-Adria-Trail Wanderer von Kärnten bis ans Meer; kein Hardcore-Weg, sondern eine leicht machbare Strecke inklusive kultureller Elemente. „Wir wollen die liberalen Intellektuellen erreichen“, so Mussnig. Junge Paare, Singles, Leute, die eher gelegentlich die teuer gekauften, trittfesten Schuhe schnüren. Manche würden sagen: eine neue Wanderklientel.
Behaupteter Wanderboom
Der Alpe-Adria-Trail, nicht weit von der Groppensteinschlucht. Die Alpen wachen als graues Massiv über dem weiten, bewaldeten Tal. Der Boden ist morastig und feucht, die Schuhe bleiben mit schmatzenden Geräuschen im Matsch haften. Es ist eine hübsche Landschaft, mal moosbewachsene Wälder, mal weites, prärieartiges Grasland. Irgendwann, so erzählt Günther Mussnig, sei dieses Tal ein See gewesen. Heute ist es weitgehend trocken und offenbar ziemlich beliebt bei Wanderern.
„Wir nennen es unseren Yellowstone“, sagt Mussnig. Der Look ist Wildwestromantik mit einem Schuss Österreich: Unten am Boden weiden unbeeindruckt Kühe neben einer Holzhütte, oben fallen wilde Kaskaden von Wasser von den Bergflanken, ein Steinadler zieht seine Kreise. Es sind keine vier Wochen USA nötig, um das zu sehen. Ein kontrolliertes Abenteuer in heimatnaher Sicherheit. Wanderbar in einer Stunde.
Ein Wanderboom, so wird behauptet, geht durch Deutschland. Wandern sei Zeitgeist, Lifestyle, Selbstfindung. Nach der letzten größeren Wanderstudie von 2014, getragen unter anderem vom Deutschen Wanderverband und dem Deutschen Wanderinstitut, wandern angeblich mittlerweile 69 Prozent der deutschen Bevölkerung; nur 29 Prozent zählen sich als Nichtwanderer. Und wer von den neuen Wanderern spricht, meint vor allem: ein neues Publikum.
Männerfreiheit in der Natur
Kniebundhose war gestern. „Heute sind Outdoorklamotten Lifestyle. Wandern ist ein gesellschaftliches Statement: Ich bin frei, ich kann ausbrechen“, sagt Erik Neumeyer, Stellvertretender Vorsitzender beim Deutschen Wanderverband. Der Hipster habe das Wandern entdeckt. „Heute will man Abenteuer und Wildnis spüren, man sucht immer urigere Sachen. Es gibt Zeitschriften wie Free Men’s World, die nur junge bärtige Männer zeigen, die Freiheit in der Natur suchen.“
Monika Hartweger, Touristikerin
Es scheint sich noch etwas anderes verändert zu haben: Die Vorstellung von Wandern. Wer heute als neuer Wanderer über Stege und Steige stapft, tut das vielfach nicht besonders ausdauernd und nicht besonders häufig. Für die Teilnehmer der 2014er Studie fing Wandern schon ab einer Stunde an – früher lag der Richtwert bei vier Stunden. Wer Wandern so definiert, kommt schnell auf 69 Prozent wandernde Deutsche und damit auf einen riesigen Trend.
Die tatsächlichen Werte dürften deutlich niedriger liegen. In der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) erklärten in den letzten fünf Jahren relativ konstante 31 Prozent der Deutschen, häufig zu wandern. Trotz weiterhin euphorischer Meldungen seitens Wanderverband und Wanderinstitut: Der Markt wächst längst nicht mehr so rasant wie in den 2.000ern, wo plötzlich jeder mit Wandern anfing und davon erzählte, auch Hape Kerkeling.
Der Intensivwanderer bleibt älteres Baujahr. Er ist im Durchschnitt 52 Jahre alt. Nach fast 15 Jahren Goldgräberzeit scheint das Potenzial am Limit. „Ein riesiges Wachstum wird es nicht mehr geben“, sagt auch Erik Neumeyer vom Wanderverband.
Natur mit einem Schuss Kultur
In Kärnten setzen sie weiterhin auf die Goldgrube Wandern. Der Alpe-Adria-Trail ist ein ambitioniertes Projekt: Drei Länder, 43 Etappen, maßgeschneidert für eben jenen Gelegenheitswanderer, der auf den flachen Wegen nicht gleich kollabieren soll, der vielleicht auch einfach nur mal eine Etappe im Urlaub schlendert und auch die quengelnde fünfjährige Tochter mitnehmen kann. Und nicht nur Natur soll es sein, sondern auch Kultur.
Der Deutsche Wanderverband: Dachverband der deutschen Gebirgs- und Wandervereine. Er existiert seit rund 130 Jahren. Nach eigenen Angaben sind in ihm etwa 600.000 Wanderer organisiert. www.wanderverband.de
Das Deutsche Wanderinstitut: Es wurde von Rainer Brämer gegründet, um Wandern wissenschaftlich zu erforschen. Das Institut sieht sich als enges Netzwerk unabhängiger Wanderexperten. www.wanderinstitut.de
Alpe-Adria-Trail: Weitere Informationen: Alpe-Adria-Trail-Center www.alpe-adria-trail.com
Rother Wanderführer: Der Band zum Alpe-Adria-Trail entstand in Kooperation mit dem Alpe-Adria-Trail-Center. Weitwandern ist Trend. Der Rother Verlag bietet neue Alpenüberquerungen als Wanderführer, ebenso wie zahlreiche Weitwanderungen in Deutschland. www.rother.de
Die Wanderung wurde unterstützt vom Landgut Moserhof und dem Alpe-Adria-Trail-Center. Geführt wurden sie von Günther Mussnig
Der Trail ist sorgsam konzipiert, aber auch: ziemlich ruhig. Wir wandern stundenlang, ohne irgendjemandem zu begegnen. Gut für den Wanderer, schlecht für den Wirt. Es geht durch düstere Nadelwälder mit steilen Hängen, über Kuhalmen, entlang klarer Bäche und Seen.
Alpe-Adria-Trail, Etappe 8. Die steinernen Opferschalen auf dem Danielsberg sind ziemlich mickrig. Die Kelten müssen ein pragmatisches Verhältnis zu ihren Göttern gepflegt haben. Auf dem Stein sind die Schalen mit weißer Kreide umkringelt, damit man sie überhaupt sieht; bescheidene Götter offenbar, sehr pflegeleicht.
Der Danielsberg ist eigentlich eher ein Hügel, eine absurd symmetrische, sanfte Erhebung mitten im Tal mit einer lauschigen Waldlichtung an der Kuppe. Die Luft ist kühl, der Abend dämmert. Die Lichtung wirkt einigermaßen mythisch. Eine Idee, auf die schon andere Leute kamen: Der Danielsberg war eine Opferstätte für die Kelten, eine Kultstätte für die Römer, eine Wallfahrtsstätte für Christen. Und aktuell Ort Nummer eins für lokale Teenies, ein Nümmerchen im Gebüsch zu schieben.
Mit kulturellen Aspekten wie diesen soll der Alpe-Adria-Trail punkten. Hartweger, eine taffe, herzliche Österreicherin, die sich touristenwirksam in Tracht kleidet, ist Aufsichtsratsvorsitzende der Hohe Tauern Tourismus GmbH, führt mit ihrem Mann ein Landgut und ist Mitinitiatorin des Projekts Alpe-Adria-Trail.
„Wir haben in Kärnten zu lange nur auf Badeseen gesetzt“, sagt Hartweger. Wer aber Badeurlaub wolle, fahre mittlerweile lieber nach Italien, wo das Wetter sicherer sei. Auch beim großen Zugpferd Skitourismus könne man nicht mithalten. „Wir haben wenige Skigebiete und lange Anfahrtswege. Wer wirklich Skiurlaub machen will, kommt nicht zu uns.“
Premiumwanderwege für Einsteiger
In Kärnten selbst hört man von schließenden Ferienhöfen und abwandernden Einheimischen; Lokalzeitungen berichten über finanzielle Turbulenzen auch bei der Hohe Tauern Tourismus GmbH. Ob der Alpe-Adria-Trail den Aufschwung bringt, ist keineswegs sicher, das Projekt startete holprig.
Abschied von Amerika. Unsere Autorin hat die Präsidentschaft Obamas als Korrespondentin begleitet. Jetzt war sie dabei, als sein Nachfolger gewählt wurde. Was sich im Land verändert hat und wie es nun weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. November 2016. Außerdem: Der ARD-„Tatort“ erlebt seine 1.000 Aufführung. Warum ist er so erfolgreich? Und: Wenn der Feminismus „cool“ wird. Unterwegs mit drei Expertinnen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Hartweger und Kollege Mussnig hoffen dennoch, vom Hype ums Wandern zu profitieren. „Wir merken, dass die Leute nicht mehr so weit weg fahren“, sagt Hartweger. Auch Klaus Erber vom Wanderinstitut sagt, es gebe einen Trend weg vom Fernziel, hin zum Kurztrip. „Wir beobachten eine Veränderung im Urlaubsverhalten insgesamt“, so Erber. „Die Leute fahren nicht mehr vier Wochen auf die Malediven, sondern machen kürzeren Urlaub und dafür mehrfach im Jahr.
„Der Trend ist ungebrochen“, behauptet auch der Vorsitzende des Wanderverbands, Klaus Erber. Neue Zahlen hat er dafür nicht. „Wir haben die gleichen Daten wie der Wanderverband, aber wir interpretieren sie unterschiedlich. Was wir auf den Wegen erleben, zeigt, dass die Nachfrage weiter stark steigt.“
Das Wanderinstitut sieht sich gern als praxisorientierter Vertreter nahe an der Basis, weniger schwerfällig als der Wanderverband. Institutsgründer Rainer Brämer, viel zitierter Vater des modernen Wanderwegs, begann in den neunziger Jahren, in Deutschland sogenannte Premiumwege zu schaffen, orientiert an den Wünschen des Wanderers, der jetzt Kunde war.
Man brauchte nicht mehr Karte und Kompass, um durch die Pampa zu schlendern, und erstmals wurde wissenschaftlich erforscht, warum der Wanderer den einen Weg besser fand als den anderen. Doch zugleich bedeutete es einen Wandel des Wanderns: vom Hobby für Naturnerds zum Pauschaltrip, vom Trampelpfad zum maßgeschneiderten, kundenorientierten Verkaufsprodukt.
„Uns gibt es nur, weil der Wanderverband keine touristischen Produkte entwickeln wollte“, sagt heute Brämers Nachfolger Klaus Erber. Wanderinstitut und Wanderverband stehen nicht gut miteinander; man konkurriert um Deutungshoheit, Einfluss, Qualitätssiegel. In immerhin einer Sache aber sei man sich voll und ganz einig, sagt Erber: Es gehe jetzt beim Wandern ums Erlebnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!