Doku über einen Braunschweiger Maler: Suche nach der verlorenen Stadt
Die Dokumentation „In 80 Jahren um die Welt“ begleitet den in Braunschweig geborenen Maler und Grafiker Gerd Winner durch sein Werk. Doch es fehlt Distanz
BRAUNSCHWEIG taz | Der Titel „In 80 Jahren um die Welt“ ist etwas unglücklich gewählt, denn er weckt falsche Erwartungen: Gerd Winner, der Protagonist der etwa einstündigen Dokumentation, ist zwar 80 Jahre alt und hat in vielen Ländern gearbeitet und gelehrt. Winner wird aber gar nicht rund um die Welt begleitet, an seine ehemaligen Wirkungsstätten in Helsinki, San Francisco oder Tokio etwa. Der Film wurde vom „Städtischen Museum Braunschweig“ in Auftrag gegeben und finanziert und soll dort eine gleichnamige Retrospektive mit Werken von Winner ergänzen. Das Geld reichte nur für Reisen nach London und Paris. Es gibt zwar auch Bilder von New York, aber die hatte Regisseur Guenther Wulff noch in der Schublade, und sie sind 25 Jahre alt.
Der Untertitel „Auf der Suche nach der verlorenen Stadt“ passt dagegen genau, denn Städte waren immer Winners Hauptthema. Urquell dafür war eine traumatische Erfahrung als Achtjähriger, als er seine Heimatstadt Braunschweig nach einem Bombenangriff in Flammen aufgehen sah und tagelang nicht wusste, ob seine Familie in ihrem Haus verbrannt war. Gleich in der ersten Sequenz der Dokumentation steht er mit einem Foto von dem verlorenen Haus in der Hand an der gleichen Adresse und blickt auf den nun dort stehenden Neubau.
Winner hat ein Leben lang Bilder gesucht und gefunden. Er malte, fotografierte, montierte und verfremdete Fotos zuerst als Siebdrucke und später am Computer. Auf dem Gelände des Konzentrationslagers Bergen-Belsen baute er eine begehbare Skulptur mit dem Namen „Haus der Stille“, er gestaltete zwei Dominikanerkirchen. In Wolfsburg schuf er im VW-Werk das monumentale Wandbild „Räderwerk“, auf dem er Räder aus verschiedenen Zeitaltern nebeneinandergesetzt hat. Es ist nur konsequent, Winners Leben entlang einer Reihe von Bildern und Werken zu erzählen.
Der Regisseur und TV-Programm-Entwickler Guenther Wulff hat über die Jahre viel Routine mit solchen Filmporträts gesammelt. Er hat Filme über Francis Bacon, Peter Weiss, Peter Rühmkorf und Fernando Arabal gemacht und weiß genau, aus welchem Blickwinkel er Werke besonders eindrucksvoll wirken lassen kann – dazu setzt er meist hymnenartige klassische Musik ein. Bei den Stadtansichten von London, Paris und New York erklingt dann gediegener moderner Jazz.
Bei „In 80 Jahren um die Welt“ hat Regisseur Wulff aber nicht allein gearbeitet: Gerd Winner wird als Autor des Drehbuches an erster Stelle genannt, er bestimmte die Struktur des Films und wählte die gezeigten Werke und Drehorte aus. Und darum hält er als Einzelperson das Copyright für den ganzen Film, das ist in der Branche sehr ungewöhnlich.
Winner ist auch der Erzähler in der Dokumentation. Und das ist ein Problem, denn er ist kein guter Erzähler, er spricht sehr akademisch, immerhin war er viele Jahre Dozent an verschiedenen Hochschulen. Und natürlich hat er nicht genügend Distanz zum eigenen Werk, um weglassen zu können. Da wird jeder Künstler, von dem er beeinflusst wurde, genannt, jeder Lehrer und Förderer. Nun ist das Filmemachen auch nicht Winners Metier, aber ein guter Regisseur hätte ihn korrigiert und vielleicht etwas entspannter plaudern lassen.
Etwa über Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), in dessen Ministerium und Arbeitszimmer viele Bilder von Winner hängen. Gabriel führt Winner durch die kleine Ausstellung, und diese Sequenz sagt viel über die wechselseitige Anziehungskraft von Kunst und Macht aus. Dass der 14-jährige Gabriel mit seiner Schulkasse aus Goslar nach Braunschweig fuhr, um Winner in dessen Atelier zu besuchen, lässt die Dokumentation weg. So etwas erzählt ein Künstler vielleicht auch nicht von sich aus, aber ein guter Dokumentarfilmer hätte die Geschichte aus ihm herausgekitzelt.
Ein bildender Künstler wie Winner denkt auch mehr in Bildern, und sein visuelles Konzept für den Film überzeugt. Es ist ihm zwar wichtig zu betonen, dass er nicht einmal durch die Kamera geschaut oder im Schneideraum gewesen sei, aber mit seinem Gestaltungsprinzip, die Bilder jeweils in ihrer Verortung zu zeigen, bestimmt er auch den Stil des Films mit.
Eindrucksvoll gelingt dieser Dialog von Raum und Bild bei den in London gedrehten Szenen. Dort findet er noch viele Orte, an denen seine Bilder entstanden sind, und die auch noch als solche erkennbar sind. So steht er etwa wieder auf jener Straße, auf der in den 70er-Jahren das Wort „Slow“ geschrieben stand. Als Warnung an die Autofahrer, nicht zu schnell zu fahren. Das Foto, das Winner damals machte, wurde als Motiv einer Siebdruckserie bekannt, weil das Jazzlabel ECM es für eine ganze Reihe von Schallplatten verwendete. Noch heute steht „Slow“ auf jener Straße.
Filmisch geschickt gelöst sind auch die Wechsel zwischen den Drehorten und Themen, bei denen jeweils das von Winner gestaltete Rad einer Lokomotive durchs Bild zu fahren scheint.
Guenther Wolff zeigt, dass Winner zu jenen Künstlern zählt, die sich auch als Handwerker verstehen. Ständig zeichnet oder fotografiert er, arbeitet selber an der Druckerpresse und einmal schweißt er sogar.
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