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Kolumne KulturbeutelGehobene Trinkerliteratur

Jens Kirschnecks Roman „Schweine befreien“ riecht nach Dosenbier und atmet Nostalgie. Ein Buch für Fußballfreunde im Bierhimmel.

Konterbiere noch und nöcher gibt es in Jens Kirschnecks Dosenbierparadies Foto: Andreas Rüttenauer

A m Morgen nach dem Vollrausch hilft nur ein Konterbier. Was waren das noch für Zeiten, als wir morgens zum Kühlschrank gegangen sind und uns eine Dose Bier aus dem Kühlschrank genommen, uns damit zurück ins Bett gelegt und erst einmal in Ruhe darüber nachgedacht haben, was am Vorabend so alles passiert ist!

Jung waren wir und haben noch was wegstecken können, sonst hätten wir nicht jede Dose sofort aufgerissen, die wir in die Hand bekommen haben. Wer noch einmal versinken will im Bierhimmel seiner Jugend, für den hat Jens Kirschneck, Redakteur beim Fußballmagazin 11Freunde, einen Roman geschrieben, aus dem schon beim Lesen der schönste Bierdunst in die Nase steigt.

„Schweine befreien“ (Verbrecher Verlag 2016) ist ein Vordosenpfandkrimi, der im Fußballmilieu spielt. Das war natürlich anders als heute, ein echtes Milieu eben. Da hatten Exspieler und Manager noch veritable Spielschulden, und sinistre Berater aus dem ehemaligen Jugoslawien holten schon einmal zur handfesten Ohrfeige aus, wenn ihnen irgendetwas nicht gepasst hat.

Statt eines Sponsorenpools gab es noch jene Unternehmertypen von echtem Schrot und Doppelkorn, die einen für die Bundesliga eigentlich zu kleinen Klub nach ganz oben führen und auch in sportlichen Fragen immer das letzte Wort haben wollten, auch wenn sie eigentlich keine Ahnung von Fußball hatten.

Medizinbälle und der Büchsebierkönig

Und so ist Kirschnecks gehobene Trinkerliteratur auch so etwas wie eine Enzyklopädie für Fußballnostalgiker. Da wird noch mit Medizinbällen trainiert, und auch der Berichterstatter eines kleinen Anzeigenblatts wird von Trainer und Spieler auf irgendeine Art ernst genommen, auch wenn diese wahrscheinlich wissen, dass es sich bei ihm um den ungekrönten Büchsenbierkönig der Stadt handelt.

Die Geschichte spielt in der Zeit, in der in Pausen von Fußballspielen die Motorradakrobatikstaffel der örtlichen Bereitschaftspolizei ihre Kunststücke vorgeführt hat. Es war die gute alte Zeit des Profifußballs. Die Stadien waren noch nicht zur Gänze überdacht und bei den Spielen, an die man sich erinnert, hat es eigentlich immer geregnet.

Der Roman

Jens Kirschneck: "Schweine Befreien". Verbrecher Verlag, Berlin 2916, 326 S., 14 Euro

Ist wirklich ausgedacht, was dem Sportreporter eines lokalen Anzeigenblatts am Abend des vielleicht größten Vollrauschs seines Lebens passiert ist? Um nach einem miesen Abend, an dem seine alkoholträge Zunge in vielen falschen Münder herumgefuhrwerkt hat, noch irgendetwas Gutes zu tun, beschließt er, einen Tiertransport anzuhalten und die für den Schlachthof reifen Tiere zu befreien.

Dabei entdeckt er den Manager des örtlichen Profiklubs, wie dieser mit geschlossenen Augen auf dem Boden des Schweinelasters liegt. Und auch wenn irgendwie klar ist, dass es sich dabei um Fiktion handeln muss, kann man sich doch durchaus vorstellen, dass dies eine Geschichte ist, wie sie der gute alte Fußball von früher wirklich hätte schreiben können.

Die großen Trinker des Fußballs

Der in Fußballnostalgie geübte Leser denkt bei der Lektüre vielleicht an den schönen Meisterstürmer von 1860 München, jenen unvergessenen Rudi Brunnenmeier, der irgendwann angefangen hat, sich durch das Münchner Kneipenleben regelrecht zu prügeln. Er denkt an die Zockerrunden der Nationalmannschaft bei der WM 1982, an renitente Profis, natürlich an Paul Gascoigne, über dessen Eskapaden man viel zu lange gelacht hat, bevor sie dann als tragisch galten, und ein bisschen vielleicht an Stefan Effenberg.

Jens Kirschnecks Romanreise in die Niederungen des Spielerberaterwesens, die die Leser auf einen Schlachthof ins Frankfurter Bahnhofsviertel und ganz nah an einen kroatischen Kriegsverbrecher führt, ist trotz aller Fußballnostalgie mehr als ein literarisches Paninialbum. Es ist ein Buch über die Sehnsucht dazuzugehören oder zumindest reinzuschmecken in eine Szene, die man verehrt. Das war auch zu Dosenbierzeiten im Fußball nicht unbedingt einfach. Bei Kirschneck ist es fast ein bisschen tragisch. Darauf ein Konterbier!

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Andreas Rüttenauer
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