: „Das Leben des Gefangenen ist ein wichtiges Gut“
JUSTIZFEHLER Der Kriminologe Thomas Feltes fordert, mutmaßliche Selbstmordattentäter immer zunächst in besonderen Schutzzellen unterzubringen. Die Fälle sollten zentral beim Generalbundesanwalt behandelt werden
65, ist Jurist und Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Autor zahlreicher Publikationen zur Polizeiarbeit
taz: Herr Feltes, welche Konsequenzen sollte die Justiz aus den Fehlern, die im Fall al-Bakr gemacht werden, ziehen?
Thomas Feltes: Al-Bakr hätte überhaupt nicht erst in den sächsischen Strafvollzug kommen dürfen. Ein gravierender Fehler war schon, dass der Generalbundesanwalt den Verhafteten nicht sofort nach Karlsruhe bringen ließ, das ist innerhalb von wenigen Stunden möglich.
Was wäre in Karlsruhe anders gelaufen?
Natürlich hat der Generalbundesanwalt auch nur die üblichen Haftplätze, einschließlich Stuttgart-Stammheim. Aber dort gibt es Erfahrung mit Terroristen. Die fehlte in Sachsen. Dort fehlte überhaupt an allen Ecken und Enden die notwendige Sensibilität für diesen besonderen Gefangenen.
Was folgt daraus?
Sinnvoll wäre, diese Fälle beim Generalbundesanwaltzu zentralisieren und dort gesonderte Hafträume einzurichten, die besonders für solche Fälle geeignet sind und wo es entsprechend geschultes Personal und die nötige Infrastruktur bis hin zu Dolmetschern gibt. Dolmetscher gab es in Leipzig ja weder bei der Polizei und auch im Strafvollzug ist erst am zweiten Tag einer aufgetaucht. Das ist ein weiteres schweres Versagen.
Welche Konsequenzen müsste die Justiz darüber hinaus ziehen?
Man muss sich die Untersuchungshaftvollzugsgesetze genau anschauen mit Blick darauf, was an Überwachung in solchen Fällen möglich ist.
Was heißt das genau? Sondervorschriften für Terroristen?
Damit tue ich mich schwer, weil ich das zu RAF-Zeiten hautnah miterlebt habe. Aber bei Selbstmordattentätern haben wir eine andere Situation als bei RAF-Gefangenen.
Müsste man Leute wie ihn also immer in besonders gesicherten Hafträumen unterbringen? Geflieste Räume mit einem Loch im Boden als Toilette und einer Matratze, sonst nichts?
In den ersten Stunden wahrscheinlich schon. Dann ist die Situation für den Häftling besonders dramatisch, häufig verfestigen sich dann Suizidgedanken. Danach müssen Fachleute einbezogen werden wie Psychologen, Personen, die die Sprache sprechen, sich mit der psychischen Verfasstheit von Terroristen beschäftigt haben und die den kulturellen Hintergrund bewerten können. Sie müssen dann schnell mit Informationen von Geheimdiensten und Polizei ausgestattet werden. Allerdings kann sich dann das Problem auftun, dass Verfassungsschutz und Polizei nicht kooperieren wollen. Aber das ist unbedingt notwendig. Gutachter müssen die Lebensgeschichte und Hintergründe der Tat und der Person kennen, um einschätzen zu können, welche Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind. Die ersten Tage nach der Verhaftung sind im Übrigen auch entscheidend dafür, ob jemand jetzt oder später bereit ist, auszusagen.
Der sächsische Justizminister argumentiert jetzt mit der Menschenwürde und dass deshalb eine stärkere Überwachung angesichts des Gutachtens der Psychologin nicht rechtens sei.
Das sehe ich als reine Schutzbehauptung. Der Minister versucht zu vertuschen, anstatt aufzuklären. Menschenwürde ist ein sehr vager Begriff, und eine Unterbringung in einer Schutzzelle verstößt nicht gegen die Menschenwürde, wenn sie notwendig ist und angemessen durchgeführt wird. Das gilt auch für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung. Wenn der JVA-Leiter der Ansicht ist, dies sei notwendig, muss er eigenverantwortlich diese Maßnahmen anordnen. JVA-Leiter setzen sich immer wieder über psychologische Gutachten hinweg, das hätte er auch in diesem Fall tun können, wenn er genügend Zivilcourage gehabt hätte. Das Leben des Gefangenen ist ein wichtiges Gut.
Jenseits der Untersuchungshaft wird jetzt auch über eigene Gefängnisse für Terroristen diskutiert. Halten Sie das für sinnvoll?
Ich halte dies nicht für sinnvoll. Bereits jetzt kann der Strafvollzug verurteilte Terroristen problemlos unterbringen, gegebenenfalls in besonderen Abteilungen. Eine solche spezielle Anstalt ginge in Richtung Guantánamo und wäre auch für die Bediensteten eine extreme Belastung. Eine Sonderregelung für Islamisten ist überflüssig.
Sabine am Orde
Komplettes Interview siehe www.taz.de/!5349411
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