Essayband von Teju Cole: Schwarze Körper, dunkle Jahre
In „Vertraute Dinge, fremde Dinge“ ist Teju Cole lesender Beobachter und beobachtender Leser. Mit den Essays will er zeigen, was ihn bewegt hat.
„Wir sind die Summe unserer Gewohnheiten.“ Zu den Gewohnheiten des nigerianisch-amerikanischen Schriftstellers Teju Cole, der diese Beobachtung seinem Essayband „Vertraute Dinge, fremde Dinge“ voranstellt, gehört zuallererst das Schreiben, eine für ihn „fast unerlässliche“ Praxis. Ähnlich das Fotografieren und die Fotografie, von denen viel in diesem Buch zu lesen ist. Er hat dabei eine Auswahl seiner in den vergangenen acht Jahren entstandenen Essays und Zeitungstexte getroffen, die er nicht als Gesamtschau seiner Interessen verstanden wissen möchte, sondern die einen Einblick geben sollen in das, was ihn „bewegt hat“.
Cole ist lesender Beobachter und beobachtender Leser. Bei seinem eigenen Erleben tritt er schon mal in direkten Dialog mit Kollegen, ob diese noch am Leben sind oder nicht. Sehr schön nachzuvollziehen im allerersten Essay, „Schwarzer Körper“, in dem er sich im schweizerischen Ort Leukerbad auf die Spur des Schriftstellers James Baldwin begibt.
Baldwin, wie Cole Afroamerikaner, war 1951 in Leukerbad, er mutmaßte damals, der erste schwarze Mensch überhaupt gewesen zu sein, den die Bewohner des Städtchens erblickt haben dürften. Cole sitzt seinerseits mit Baldwins Essay „Ein Fremder im Dorf“ in Leukerbad und hört Musik, die auch Baldwin damals hörte: Bessie Smith, Fats Waller, Billie Holiday.
Dann beginnt Cole zu überlegen, was ihn mit Baldwin einerseits verbindet und was sie andererseits trennt. Seine Gedanken bringen ihn zum Verhältnis von afroamerikanischen und „weißen“ Kulturleistungen, er registriert, wie Baldwin sich seinerzeit noch von der weißen Kultur ausgeschlossen fühlte, während Cole nüchtern festhält: „Ich kann gegen weiße Vorherrschaft sein und mich trotzdem für die gotische Baukunst begeistern.“ Zugleich ist er sich völlig im Klaren darüber, dass er von Weißen zuallererst als „schwarzer Körper“ wahrgenommen wird. Ob in der Pizzeria in Leukerbad oder in New York.
Teju Cole: „Vertraute Dinge, fremde Dinge“. Aus dem Englischen von Uda Strätling. Hanser Berlin, München 2016. 368 S., 24 Euro
Oft schreibt Cole aber einfach über Dinge, die ihn begeistern. Bei seinen Gedanken zu dem schwedischen Dichter Tomas Tranströmer geht sogar ein wenig das Pathos mit ihm durch: „Das neue Jahrhundert brachte dunkle Jahre, und immer wieder suchte ich die Dichter auf. Sie wachten über mich, ich überlebte – mit den Worten Tranströmers –, indem ich mundräubernd ihren Kosmos molk.“
Wenn Cole sich das YouTube-Video ansieht, in dem gezeigt wird, wie der Afroamerikaner Walter Scott von einem Polizisten erschossen wird, erscheint es ihm übergriffig, sich die Tötung anderer als Aufzeichnung anzuschauen – er stoppt das Video vorzeitig. Stattdessen räsoniert er darüber, wie sich das Verhältnis der visuellen Medien zum Tod seit dem Aufkommen der Fotografie bis zum heutigen Zeitalter des im Netz hochgeladenen Handy-Videos verändert hat.
An anderer Stelle protokolliert er seine Schlaflosigkeit, wie er nach dem Ansturm von Bildern hinter den geschlossenen Lidern schließlich aus dem Bett steigt, um sich Notizen zu machen. Was folgt, sind die kreuz und quer geschnittenen Erinnerungen an nächtlich geschaute YouTube-Videos – mit Aufnahmen des Philosophen Jacques Derrida im Interview, einem Konzertmitschnitt von Beethovens 9. Symphonie aus dem Jahr 1942 im Beisein Hitlers oder einem Fährunglück in Bangladesch. Die rastlos einander abwechselnden Sequenzen bekommen selbst etwas Traumhaftes, eine Art Ersatzschlaf für die mangelnde Nachtruhe.
Cole ist in seinen Essays immer dann am stärksten, wenn er sich als Flaneur scheinbar treiben lässt und etwa eine Tagung schwänzt, um im Taxi durch das Norfolk des Schriftstellers W. G. Sebalds zu streifen. Oder wenn er eine Einladung des Literaturhauses Zürich zu einem Stipendium für ausgedehnte Fotoexkursionen durch die Berge nutzt.
Dass er zwischendurch über die kunstgeschichtliche Karriere der Alpen als Sujet nachsinnt, versteht sich von selbst.
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