piwik no script img

Verfolgung linker AutonomerAuch nach 21 Jahren keine Ruhe

Autonome scheiterten 1995 mit einem Anschlag. Noch immer wollen die Ermittler sie schnappen. Ihre Anwälte legen nun Verfassungsklage ein.

Der Abschiebeknast in Grünau (Archivbild) Foto: imago/Rüttimann

BERLIN taz | Wann verjährt die Verfolgung eines Anschlags, der nie stattgefunden hat? Wer die Aktion vorbereitet hat, wird nach zehn Jahren nicht weiter juristisch verfolgt. Wer sich dafür in einer „terroristischen Vereinigung“ organisierte, kann nach maximal 20 Jahren nicht mehr verurteilt werden. Doch für die Verabredung zu dieser Straftat gilt eine Verjährungsfrist von bis zu 40 Jahren.

Diese umstrittene Regelung macht sich die Bundesanwaltschaft (BAW) nun zunutze, um über 21 Jahre nach einem gescheiterten Anschlag einer linken Gruppe an der Verfolgung der mutmaßlichen Täter festzuhalten. Am Dienstag soll deshalb eine Person aus dem damaligen Umfeld der Beschuldigten als Zeugin bei den Strafverfolgern aussagen. Weigert sie sich, drohen ihr sechs Monate Beugehaft.

Am 11. April 1995 hatte die militante Gruppierung „Das K.O.M.I.T.E.E.“ versucht, das im Bau befindliche Abschiebegefängnis Berlin-Grünau in die Luft zu sprengen. Die Aktion sollte sich gegen die restriktive deutsche Flüchtlingspolitik richten, doch sie ging schief. Drei Männer aus der Berliner autonomen Szene – Bernhard Heidbreder, Thomas Walter und Peter Krauth – sind seither flüchtig. Heidbreder wurde im Juli 2014 in Venezuela festgenommen. Das oberste Gericht des Landes lehnte es aber ab, den 55-Jährigen an die deutschen Behörden auszuliefern. Seit vier Monaten ist er wieder auf freiem Fuß.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Haftbefehle gegen Heidbreder, Walter und Krauth im Januar dieses Jahres erneuert. Da alle anderen Tatvorwürfe verjährt waren, können die Strafverfolger den Männern nur noch die Verabredung des Verbrechens nach Paragraf 30 des Strafgesetzbuches vorwerfen. „Es kann aber nicht sein, dass die Verabredung zu einer Tat länger verfolgt wird als die zeitlich spätere Begehung einer Tat“, kritisiert Krauths Verteidigerin Undine Weyers. Sie hat deshalb mit den anderen Anwältinnen der Flüchtigen Verfassungsklage eingereicht. Damit wollen sie erreichen, dass der Paragraf 30 für verfassungswidrig erklärt wird.

Auch die Vorladung der Zeugin sei „nicht verhältnismäßig“, sagt Weyers. Eine Solidaritätsgruppe wirft den Strafverfolgern „uferlosen Verfolgungszwang“ vor. BGH und BAW wollten sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Das heißt, die Verabredung zu nicht erfolgter Sachbeschädigung wird länger verfolgt als alles außer Mord? Das ist Irrsinn…

  • Die Verjährungsfrist wurde nicht speziell für "Linke" entwickelt. In Konsequenz fordern die Gegner dieser Verjährungsfrist für solcherlei politische Anschläge im Zuge der Gleichbehandlung vor dem Gesetz ebenfalls eine frühere Verjährung rechtsextremer Straftaten.

    • @Rudolf Fissner:

      Iast aber schon noch klar, dass es hier um die Straftat der Planung einer Straftat geht, nicht um die Straftat selbst, oder?

       

      Dass heisst, wenn ich eine Bank ausraube, kann ich dafür 10 Jahre verfolgt werden, wenn ich zu diesem Zweck mit zwei Kumpels eine "Gang" gründe, die dann aber nie eine Bank überfällt, kann ich dafür 20 Jahre verfolgt werden.

       

      Wenn ich aber nur darüber rede, eine Gang zu gründen, die sich mit der Planung eines Bankraubes befassen sollte, kann ich dafür 40 Jahre verfolgt werden?

       

      Ok, sowas funktioniert dann nur bei der herbeifantasierten, sogenannten "linken Gewalt". Den real existierenden Rechtsterroristen, wie beispielsweise dem NSU, wird dagegen noch der Sprengstoff vorfinanziert, die Tür aufgehalten, das Fluchtauto bestellt, die Hülsen der Projektile, mit denen Mitarbeiter und Kunden der Bank erschossen wurden, verschwinden blöderweise beim Reinigen des Tatortes und anschliessend fahndet man 15 Jahre lang mit Hochdruck im persönlichen Umfeld der Opfer nach den Tätern.

       

      Und sage keiner, diese "Polizeiarbeit" in Deutschland sei politisch nicht gewollt.

  • Nach welchem Gesetz kann sich die Verjährungsfrist auf 40 Jahre ausdehnen ? Mir ist nach oben nur eine 30-jährige und maximal eine Unverjährbarkeit bekannt.

  • Köhler ist bei dem Anschlag gestorben. Hoffmann saß im Knast, auch wenn man ihm keine Beteiligung nachweisen konnte. 2014 hat die Bundesanwaltschaft erneut Ermittlungen aufgenommen. Sie sehen: es erfolgt sehr wohl.

    • @Mephisto:

      Und wie viele unbeteiligte Menschen, darunter Kinder, sind mit Köhler gestorben oder schwerst verletzt worden? (Im Gegensatz zu einem Anschlag, bei dem es nur um Sachschäden ging!)

    • @Mephisto:

      Der aktive Neonazi Karl-Heinz Hoffmann, nachdem die "Wehrsportgruppe Hoffmann" benannt wurde, wurde 1984 wegen Geldfälschung, Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung sowie Vergehen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt. Eine Verbindung zum Anschlag auf das oktoberfest konnte nicht zweifelsfrei belegt werden. Auch im Fall des durch ein Wehrsportgruppe-Mitglied ermordeten jüdischen Verlegers und ehemaligen Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Shlomo Lewin, und dessen Ehefrau konnte eine Tatbeteiligung bzw. Beauftragung durch Hoffmann nur vermutet werden.

       

      Der an Vorsatz nicht nur grenzende Dilettantismus und schier unglaubliche Schlampereien der Polizei bei ihren "Ermittlungen" klingt wie eine Blaupause der späteren Vorgehensweise und Versäumnisse bei der NSU-Mordserie, wie ein zeitgenössischer Spiegelbericht belegt.

      http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13512120.html

       

      Nach Verbüßung von gerade mal der Hälfte der Strafe wurde Hoffmann 1989 wegen "guter Führung" und einer "günstigen Sozialprognose" aus der JVA Bayreuth entlassen.

       

      Heute hält Hoffmann, der sich keineswegs reuig oder gar geläutert zeigt, Vorträge im rechtsextremen, gewalttätigen Umfeld von NPD, Kameradschaften und Ex-WSGlern.

  • Interessanter Kontext! Der Anschlag geschah in einer Zeit, als die Verbrechen des mordlüsternen Rassistenmobs von Hoyerswerda, Solingen, Mölln und Ko. noch recht frisch waren. Hat sich der deutsche Staat in dieser Causa auch so angestrengt, um den Rassistenmob zu fassen und dingfest zu machen? Ich denke natürlich nicht.

     

    Das zeigt mal wieder, welche politischen Prioritäten die deutschen Behörden verfolgen. Bei den Linken wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Antifaschismus, Antirassismus und verwandte Praktiken der Linken gelten dem Staat als unverzeihlich. Daher wird der komplette Machtapparat aufgefahren, um die Linken zu unterdrücken und wie man hier sieht sogar noch viele Jahrzehnte später strafzuverfolgen, sebst wenn wie in diesem Fall gar nichts passiert ist. Von Polizeigewalt über Knast bis zu Überwachung durch Spitzel, das ganze Programm des Polizeistaates.

     

    Aber auf der anderen Seite werden rechte Kriminelle einfach so mit Samthandschuhen angefasst, von jeder Sanktion durch den Staat verschont und ihre Verbrechen werden teilweise sogar durch enge Verbindungen zwischen Staat und rechter Szene, siehe NSU-Komplex, begünstigt. Man möchte fast meinen, der deutsche Staat wünscht rechte Gewalt, während der ganze Fokus des Gewaltapparates auf die Verfolgung und Unterdrückung linker Zusammenhänge gelegt wird.

    • @Rudeboy:

      Ich weiß so richtig voll mit Wut und Ablehnung gegen den bösen Staat sind Fakten immer mäh...

       

      aber für zumindest 2 ihrer 3 Beispiele sitzen Menschen verurteilt im Gefängnis (Hoyerswerda bin ich mir nun nicht sicher), also war der deutsche Staat da irgendwie recht motiviert;)

      • @Krähenauge:

        die Solinger Täter dürfte aber - da damals noch Jugendliche - alle wieder frei sein. Wäre interessant, was aus ihnen geworden ist, ob sie also vernünftig geworden sind oder nicht. Bei Mölln war doch fraglich, ob es überhaupt ein rechtsextremer Anschlag war, gab es da nicht ein "Geständnis im Krankenwagen" osä? Ist sehr lange her.

  • Ohweh, gerade hier wird doch immer (zu Recht) die Verfolgung von Faschismus gefordert. Das soll dann aber plötzlich nicht für die Taten von Linksfaschisten gelten??

     

    Das ist doch Heuchelei.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Franz Vege:

      Haben wie denselben Text gelesen?

      Die Verfolgung der Tat wurde eingestellt, weil die Tat verjährt ist. Wie soll eine Tat dann noch in einem Rechtsstaat verfolgt werden?

       

      Anders ist das bei Kapitalverbrechen, die verjähren nicht, deswegen können SS-Mitglieder noch heute bestraft werden.

       

      Geheuchelt finde ich es, so zu tun, als würde man den Text kommentieren, wenn man eigentlich nicht auf ihn eingeht.

      Es geht eben gar nicht mehr um die Verfolgung einer Straftat, sondern um die Verfolgung einer Verabredung zu einer Straftat, wobei die Strafbarkeit der Tat selbst aber schon verjährt ist.

      Dazu haben Sie leider gar nichts gesagt.

    • @Franz Vege:

      Vielleicht besitzen Sie ja noch die Güte, zu erläutern, was Sie mit dem Begriff "Linksfaschismus" bezeichnen möchten, bzw. inwiefern die nicht erfolgte, unautorisierte Sprengung eines zu diesem Zeitpunkt leerstehenden Gefängnis-Rohbaues, welches lediglich zum Zweck der Kasernierung von zur Abschiebung vorgesehenen Individuen errichtet wurde, Ihrer Einschätzung zufolge in diese Kategorie fällt?

       

      Welche Fälle sind Ihnen bekannt, in der "besorgte Bürger" in gleichem Maße staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind oder waren, ohne dass sie einen möglichen Plan, etwa eine leerstehende Flüchtlingsunterkunft anzuzünden tatsächlich in die Tat umgesetzt hätten?

       

      Ich warte auf eine Antwort.

    • @Franz Vege:

      Der bzw. ein Punkt ist doch, dass das bei rechten Straftaten gar nicht erfolgt. Nehmen wir den Oktoberfestanschlag aus den 80ern...

  • also lang genug wegrennen und verstecken, dann ist alles verziehen? hab ich noch nie verstanden...

  • Als juristischer Laie würde ich sagen, dass die Strafverfolgungsbehörden nur das tun, was das Gesetz vorschreibt.

    Wenn das Gesetz verfassungswidrig ist, dann ist es das ja grundsätzlich - von daher verstehe ich den Konnex zu diesem Einzelfall nicht.

    @Lowandorder: Ihre Meinung ist gefragt!

    • @Blacky:

      Die Strafverfolgungsbehörden tun nur das was sie tun wollen. Ein anderer Beitrag weist bereits auf das Oktoberfestattentat hin. Da blieb eine Hand übrig, die niemandem gehört. Nach dem früheren Besitzer wurde nicht gesucht.

      Ein weiteres Beispiel wäre der NSU.