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Die WahrheitDie haarigen Houdinis

„Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung“ widmet sich heute einer höchst kreativen Sippschaft – den Orang-Utans hinter Gittern.

Auch Orang-Utans sind nicht alle witzig, dafür viele aber verschmust Foto: reuters

Der Touristenhotspot „Check Point Charlie“ in Berlin ähnelt immer mehr einem Affenfelsen. Aber darum geht es hier nicht, das ist nicht witzig. Affen sind dagegen oft witzig, deswegen versichern wir uns gegenseitig ja ständig, dass sie unsere „nahen Verwandten“ sind. Aber schon allein bei den sogenannten „Menschenaffen“ gibt es große Unterschiede in Witzigkeit.

In New York hat eine Gruppe von Zoologen dies am Beispiel des Ausbruchsverhaltens von gefangenen Menschenaffen untersucht. Sie kam zu dem Ergebnis: „Wenn man einem Schimpansen einen Schraubenzieher gäbe, würde dieser versuchen, das Werkzeug für alles zu benutzen, außer für den ihm eigentlich zugedachten Zweck.

Gäbe man ihn einem Gorilla, so würde dieser zunächst entsetzt zurückschrecken – ,O mein Gott, das Ding wird mich verletzen' –, dann versuchen, ihn zu essen, und ihn schließlich vergessen. Gäbe man den Schraubenzieher aber einem Orang-Utan, würde der ihn zunächst verstecken und ihn dann, wenn man sich entfernt habe, dazu benutzen, seinen Käfig auseinanderzubauen.“

Der Schriftsteller Eugene Linden merkte dazu in seinem Buch „Tierisch klug“ (2001) an: „Auf diese Weise sind die Tierpfleger und die Orang-Utans in dem Menschenaffenäquivalent eines endlosen Rüstungswettlaufs gefangen, in dessen Verlauf die Zooplaner sich immer wieder Gehege ausdenken, die natürlich wirken und dennoch die Tiere sicher gefangen halten sollen, während die Orang-Utans jede Schwachstelle, die den Planern und Erbauern entgangen sein könnte, auszunützen versuchen.“ Und das, obwohl sie im Gegensatz zu den Schimpansen in der Freiheit kein Werkzeug benutzen, wenn man vom gezielten Umstürzen morscher Bäume absieht. Termiten etwa graben sie mit der Hand aus.

Die Ausbrecherkönige

In der Gefangenschaft entwickeln sie sich dagegen still und leise zu wahren „Ausbrecherkönigen“. Eugene Linden erwähnt einige: Dem im Zoo von Omaha, Nebraska, lebenden männlichen Orang-Utan Fu Manchu gelang mit seiner Familie gleich mehrmals die Flucht aus Freigehege und Käfig. Man wollte jedoch nur auf die Bäume draußen klettern oder sich auf dem Affenhausdach sonnen – und ließ sich jedes Mal wieder in die Unterkunft zurücklocken.

Die Wärter waren lange Zeit ratlos. Schließlich kamen sie dahinter, dass Fu Manchu unbeobachtet in den Graben des Freigeheges schlich, dort eine Tür, die zum Heizungskeller führte, leicht aus den Angeln hob und öffnete. Am Ende eines Ganges tat er dasselbe mit einer zweiten Tür, die ins Freie führte. Dann fingerte er ein Stück Draht aus einer Backe und machte sich am Schnappriegel des Schlosses zu schaffen – so lange, bis er es geöffnet hatte.

Bei Affen aller Art gibt es, was ihre Witzigkeit angeht, große Unterschiede. Menschlich das!

Der Orang-Utan Ken Allen kam im Zoo von San Diego zur Welt. Seine Eltern stammten aus Borneo. Ihm gelang dreimal hintereinander der Ausbruch. Seine Fähigkeit, die Wärter zu überlisten, aber auch seine Fügsamkeit nach dem Auffinden machten ihn in den Medien populär. Die erfolgreichen Gehegeausbrüche brachten ihm den Spitznamen „The Hairy Houdini“ ein – in Anlehnung an den Entfesselungskünstler Harry Houdini. Es bildeten sich zahlreiche Fanclubs, die Merchandising mit Ken Allens Konterfei vertrieben und den Slogan „Free Ken Allen“ propagierten.

Anfang 2013 büxte die Orang-Utan-Dame Sirih im Frankfurter Zoo zum zweiten Mal aus dem neuen Affenhaus aus. Ihr Gehege wurde danach ständig überwacht. 2015 schob man sie sicherheitshalber in den Zoo von Indianapolis ab, der über eine bessere Wegsperrtechnologie verfügt. Im Duisburger Zoo flüchtete im selben Jahr ein Orang-Utan aus dem Affenhaus. Da man befürchtete, dass er Menschen gefährden könnte, wurde er erschossen.

Furcht vor der neuen Umgebung

Sind sie einmal nach draußen gelangt, fürchten sich die Orang-Utans jedoch vor der ungewohnten Umgebung. „Auf einer gewissen Ebene wissen die meisten gefangenen Tiere, dass der Zoo der Ort ist, in dem sie leben.“ Von zwei Mitarbeitern an einem Projekt zur Erforschung der geistigen Fähigkeiten von Menschenaffen im National Zoo von Washington erfuhr Eugene Linden von einer Orang-Utan-Gruppe, die mehrere grüne Tonnen, die von ihren Wärtern beim Saubermachen ihres Freigeheges vergessen worden waren, übereinanderstapelte und darüber rauskletterte.

Eines der Weibchen fand man bei den Verkaufsständen wieder, wo sie ein Brathähnchen aß und Orangensaft trank, beides aus einer Kühlbox, die sie einem Zoobesucher abgenommen hatte. Ein anderer Besucher, der Zeuge ihres Ausbruchs gewesen war, sagte, dass er deswegen nicht die Wärter alarmiert hätte, weil er dachte, diese Affen dürften das, denn sie wären schon den ganzen Vormittag aus ihrem Freigehege raus- und wieder reingegangen.

Prima WG-Genossen

Mit Orang-Utans könnten die Menschen an sich leichter als mit den anderen Menschenaffen zusammenleben, wie bereits der Tierpsychologie Wolfgang Köhler herausfand. Von 1914 bis 1920 hatte er die Anthropoidenstation der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Teneriffa geleitet, wo er Untersuchungen über den Werkzeuggebrauch und das Problemlösungsverhalten von Menschenaffen durchführte.

1917 veröffentlichte er über deren „kognitive Leistungen“ ein Buch mit dem Titel: „Intelligenzprüfungen an Anthropoiden“. Seine Affenforschung unternahm er zum Teil unfreiwillig, weil er wegen des Kriegsausbruchs nicht von Teneriffa wegkonnte: „Jeden Tag Affen, man wird schon selber schimpansoid“, klagte er.

Seinen sieben in Westafrika „frisch gefangenen“ Schimpansen attestierte Köhler nach einer Reihe „klassischer Intelligenzprüfungen“ eine relative „Gestaltschwäche“. Bei seinem nächsten Forschungsobjekt, dem Orang-Utan-Weibchen Catalina, kam Köhler jedoch zu dem Schluss: „Dies Wesen steht uns der ganzen Art nach viel näher als Schimpansen, es ist weniger ,Tier‘ als sie.“ Und dieser Eindruck resultiere nicht so sehr „aus ihren ,intelligenten Leistungen' als durch das, was man Charakter, Sinnesart o. dergl. nennt.“ Catalina hatte sich während der Experimente in Köhler verliebt. Worauf die sieben gefangenen Schimpansen den Forscher zu Recht für ihr ganzes Unglück verantwortlich machten.

Kreativ hinter Gittern

Der Affenforscher Carel van Schaik meint herausgefunden zu haben, warum Orang Utans erst in Gefangenschaft „kreativ“ werden. Er hatte im Regenwald von Sumatra eine Strickleiter in einen Baum gehängt, um seine Messinstrumente zu installieren. „Dabei fiel ihm auf, dass die dort lebenden Orang-Utans das merkwürdige Ding kaum beachteten und eher einen Bogen darum machten. Ganz anders dagegen Orangs, die bis dahin in der Obhut von Menschen gelebt hatten und nun frisch ausgewildert wurden: Diese stürzten sich mit großer Neugier auf alles Neue“, schrieb die Zeit.

Inzwischen ist Carel van Schaik davon überzeugt, dass den wild lebenden Affen die Muße für „Neugier und Innovationsfreude“ fehlt: „Sie können es sich nicht leisten, lange nachzudenken oder zu spielen“, meint er. Ganz anders die gefangen gehaltenen Orang-Utans: Es sei „fast unheimlich – im Zoo sind die Tiere wie eine andere Art“. Dort seien sie neugierig und Unbekanntem gegenüber aufgeschlossen – in der Wildnis dagegen „interessieren sie sich überhaupt nicht für Neues, ja sie haben sogar etwas Angst davor“.

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1 Kommentar

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  • Ist lange her, dass Neues als ein Wert an sich gegolten hat.

     

    Wenn ich den Text so lese, tauchen vor meinem "geistigen Auge" jene Primaten-Forscher vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte auf, die ihr Tun mit der Behauptung rechtfertigen, die Gefangenschaft würde Orang-Utans zu besseren weil menschlicheren Affen machen.

     

    Moderne Forscher, liest man, sehen die Sache etwas differenzierter. Sie glauben, dass ein Lebewesen möglichst artgerecht leben dürfen sollte. Und zwar selbst dann, wenn der Mensch sich dazu herablässt, es quasi zu adeln mit der Behauptung, es sei ihm ähnlich in gewisser Weise.

     

    In der "Wildnis", dem natürlichen Lebensraum der Arten, ist Neues nie ein Spaß. Nicht für Erwachsene. Dort hat sich über die Jahrtausende hinweg ein "Gleichgewicht des Schreckens" eingepegelt, das alle Arten gleichermaßen zwingt, die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu respektieren – und zugleich Freizeit schafft. Leben kann dort ziemlich plötzlich enden, wenn diese Grenzen übertreten werden. Furcht vor dem Neuen ist also was recht natürliches – und damit durchaus artgerecht.

     

    Neues immer, dass der Energiebedarf anwächst. Umlernen kostet Kalorien, die man dem Gleichgewicht erst einmal abgewinnen muss. Man muss dafür Verteilungskämpfe führen – mit Lebewesen, die an ihrer Existenzgrundlage hängen, die sich also entsprechend wehren, womit das Risiko, verletzt zu werden, wächst. Gesellschaftliche Regeln, die besagen, dass Ausbeutung bestimmten Exemplaren einzelner Gattungen erlaubt ist, kennt die Natur nicht. Die haben erst die Menschen ausgedacht. Aus reiner Feigheit, wie mir scheint.

     

    Die Neugier soll uns aus dem Paradies vertrieben haben. Nun tun wir manchmal so, als wäre sie es wirklich wert. Das Paradies ist offensichtlich kein Schlaraffenland gewesen. Zumindest war der Mensch da nichts Besonderes. Nur eine Spezies unter vielen anderen. Ein wenig mehr bedroht vielleicht und dementsprechend durchgeknallt. So wie gerade eben wieder...