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Linke und Rechte reisen an

Flüchtlinge Bautzener halten nach den Übergriffen am Kornmarkt Distanz zu Umzügen von Nazis und Antifa. Der Oberbürgermeister bietet den Rechten Gespräche an

Sind wahrscheinlich nicht die Urheber des Schriftzugs: Teilnehmer der rechten Demo in Bautzen Foto: Christian Ditsch

Aus Bautzen Michael Bartsch

Nach den tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Rechten in der Nacht zum Donnerstag hat in Bautzen der Demonstrationstourismus eingesetzt. Nur wenige Einheimische folgten einem Aufruf von Ester Seitz, Aktivistin des rechtsextremen Netzwerkes „Widerstand Ost West“ aus Nürnberg, zu einer Kundgebung für die angebliche Verteidigung der Heimat und gegen die Flüchtlingspolitik. Auch zu einer von der Antifa organisierten Gegendemonstration reisten überwiegend auswärtige Teilnehmer an.

Als Drahtzieher der rechten Versammlung gilt der Dresdner Pegida-Anwalt Jens Lorek, vor 20 Jahren rechte Hand der damaligen PDS-Vizevorsitzenden Christine Ostrowski. Er lud Ester Seitz ein, die „Solidarität“ mit den angeblich von Ausländern bedrohten Bautzener Bürgern zeigen wollte. Etwa 80 Menschen versammelten sich auf dem Kornmarkt, darunter Aktivisten der rechtsextremen „Pro-NRW“-Bewegung. Später stießen 20 junge Neonazis hinzu.

Die fanatisch auftretende und emsig filmende Ester Seitz erklärte Bautzen zum „Symbol des Scheiterns Merkelscher Flüchtlingspolitik“. Ihre und die Attacken anderer auswärtiger Redner richteten sich gegen den angeblichen „Mob von Kulturbereicherern“, die „hinwegzufegenden“ Amtsträger in der Politik und die „Hetzpresse“. Flüchtlinge wurden als „Schmeißfliegen“ bezeichnet, die Sachsen bedrohten. Ihr Marsch durch die Innenstadt verlief ohne Zwischenfälle.

Die Nazi-Rufe „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ konterkarierte bei der linken Demo zwei Stunden später ein Plakat „Wer Deutschland nicht liebt, hat Sachsen gesehen“. Etwa 500 Menschen zogen vom Bahnhof an der im Februar in Brand gesteckten geplanten Asylunterkunft Husarenhof vorbei in Richtung Innenstadt, darunter ein auffällig eingespielter Antifa-Kern. Ein Bautzener Vater mit vier Kindern und einem Transparent „Herz statt Faust“ wirkte in dieser Umgebung schon beinahe fremd. Das Bürgerbündnis Bautzen bleibt bunt hatte dem linken Zug seine aktive Unterstützung verweigert.

Flüchtlinge wurden als „Schmeißfliegen“ bezeichnet, die ­Sachsen bedrohten

Viele Einwohner fanden an beide Kundgebungen keinen Anschluss. „In der vergangenen Woche hat sich ein Hass aufgebaut, der Bautzen nicht gut tut“, meinte ein Radfahrer. Andere fürchten, dass die Stadt nun eine Art Wallfahrtsort für rechts und links werden könnte. Ein Cafébetreiber unweit des Kornmarktes berichtete von schlechten Erfahrungen mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, etwa bei Diebstahlversuchen. Niemand gewöhne sie an Regeln und Gesetze, sie würden weder ausreichend betreut noch sinnvoll beschäftigt, nahm er die Jugendlichen zumindest teilweise in Schutz.

Für Kritik bei Flüchtlingshelfern, aber auch bei der CDU sorgte die Reaktion des parteilosen Oberbürgermeisters Alexander Ahrens auf ein Ultimatum der rechten Szene. Unter anderem die „Nationale Front Bautzen“ und das „rechte-kollektiv BZ“ hatten eine Demonstrationspause angeboten, falls die Stadtverwaltung Versäumnisse einräume und Fehler korrigiere. „Wir werden keine Gruppierungen von trinkenden, pöbelnden und aggressiven Asylbewerbern mehr dulden“, drohten sie ansonsten weitere Aktionen an. Ahrens bot daraufhin ein „sachliches Gespräch“ an, bei dem aber auch über „Missstände auf Seiten der Unterzeichner des Angebots“ zu reden sei. Ein „absolut mieses Zeichen“ nannte diese Reaktion etwa Sven Scheidemantel vom Verein für Flüchtlingshilfe gegenüber der Sächsischen Zeitung. „Hier wird den Rechten nachgegeben.“

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