: Das böse A-Wortvor Gericht
Vorwürfe Der Oldenburger Lehrer Christoph Glanz engagiert sich in der Israel-Boykottkampagne. Ist er deshalb ein Antisemit?
von Marco Carini
Wann wird ein Kritiker der israelischen Politik zum Antisemiten? Wie viel Israelkritik erlaubt das Recht auf freie Meinungsäußerung? Und kann man zum Boykott israelischer Waren aufrufen, ohne sich in die Tradition des bekanntesten antisemitischen Nazislogans „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“ zu stellen?
Im Zentrum all dieser Fragen steht Christoph Glanz, 40, Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Flötenteich in Oldenburg und Aktivist der internationalen Kampagne „Boykott, Divestment and Sanction“ (BDS), die sich für die Rechte der Palästinenser und gegen die israelische Politik einsetzt. Doch die BDS, die von palästinensischen Gruppen gegründet wurde und eben auch für Sanktionen gegen Israel eintritt, gilt ihren Kritikern als antisemitisch. Und Glanz sowieso.
Justitia sieht das allerdings anders. Mitte Juni untersagte das Oldenburger Landgericht der Jungsozialistin Sara Rihl, Glanz als „bekannten Antisemiten“ zu bezeichnen, der für eine „antisemitische Organisation“ arbeite. Rihl hatte eine Veranstaltung des BDS in der Evangelischen Studierenden Gemeinde (ESG) verhindern wollen – was ihr, flankiert von einem Shitstorm gegen die ESG, auch gelang. Dabei belegte sie Glanz mit dem bösen A-Wort.
Der zeigte sich nach dem Richterspruch erfreut, dass Rihl „ihre absurden Behauptungen unter Strafandrohung nicht wiederholen darf“. Mangels Argumenten bedienten sich Israelunterstützer „häufig Einschüchterungstaktiken und übler Nachreden inklusive des Antisemitismusvorwurfs“.
Der aktive Gewerkschafter nimmt für sich und den BDS das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch, das auch das Recht einschließe, Sanktionen gegen Israel zu propagieren. Deutschland solle seine militärische Hilfe an Israel einstellen, „da diese eine Form der direkten Unterstützung für die andauernde Unterdrückung der Palästinenser darstellt“.
Um Glanz den Rücken zu stärken, präsentierte der BDS einen Brief israelischer Bürger – Juden wie Palästinenser – , in dem diese ihre Solidarität mit Glanz bekunden. „Wir müssen feststellen“, heißt es dort, „dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung offenbar in Deutschland ausgesetzt wird, sobald es um den Staat Israel geht.“
Glanz ’Kritiker sehen das anders. Rihl legte inzwischen Berufung gegen das Urteil ein, das ihr den Mund verbietet. Und die Antifa Oldenburg erklärte, jeder Boykottaufruf der BDS trage letztlich dazu bei, „dass Israel vernichtet wird“.
Auch die CDU-Abgeordnete und Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, Gitta Connemann, bezeichnete die Ideologie des propalästinensischen BDS wiederholt als „Antisemitismus pur“. Und für die Präsidentin der Israelitischen Kulturgemeinde sind die Boykottforderungen gegen israelische Produkte nichts anderes als die „modernisierte Form des Nazijargons ‚Kauft nicht bei Juden!‘“
Die in Jerusalem geborene Jüdin Judith Bernstein hingegen sprang Glanz im Namen der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe“ zur Seite und betonte, ein Vergleich der BDS-Boykottkampagne gegen Israel „mit dem Nazislogan ‚Kauft nicht bei Juden‘“ verharmlose den Holocaust.
Die Fronten sind so unversöhnlich wie vor fast 50 Jahren, als die Studentenbewegung damit begann, Israel zu kritisieren. Nach Gewaltandrohungen aus der linksautonomen Szene musste vor wenigen Wochen eine BDS-Veranstaltung abgesagt werden, weil die Polizei die Sicherheit nicht garantieren konnte.
Als Glanz in der aktuellen Ausgabe des Oldenburger GEW-Magazins PädOL für den BDS werben durfte, hagelte es laut GEW „sehr viel scharfe Kritik“ und „erboste Rückmeldungen“, was den Gewerkschaftern „einiges Kopfzerbrechen“ bescherte. So meldeten sich das Autonome Schwulenreferat der Oldenburger Uni und die deutsch-israelische Gesellschaft (DIG) Oldenburg in offenen Briefen zu Wort, um gegen den Glanz-Beitrag zu protestieren. Das Schwulenreferat forderte die GEW auf, „diesen hasserfüllten BDS-Kampagnen keinen Raum zu geben“. Sogar die Jerusalem Post berichtete über den Oldenburger Konflikt.
Die heftigen Reaktionen lösten einen offenen Streit in der Gewerkschaft aus. Nachdem Heinz Bührmann, der Vorsitzende des Oldenburger GEW-Kreisverbands, die Veröffentlichung unter dem Hinweis auf den publizistischen „Pluralismus“ zunächst noch vehement verteidigt hatte, rückten er und der gesamte GEW-Kreisverband nun von Glanz ab und nahmen dessen Beitrag aus dem Netz. Die Publikation sei ein „großer Fehler“ gewesen.
Damit gibt es für Glanz in seiner Heimatstadt keinen Platz mehr, eine Veranstaltung durchzuführen, und kein Medium für Veröffentlichungen: „Ist es nicht mehr möglich“, fragt er, „in Oldenburg Unrecht zu dokumentieren?“
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