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Film „Absolutely Fabulous“Anarchische Schonungslosigkeit

„AbFab“ hatte in Deutschland nie den Kultstatus, den die Serie verdient. Mit Jennifer Saunders’ Kinofilmadaption soll sich das ändern.

Champagner und Embryonenblut halten die beiden Anarchistinnen unglaublich frisch Foto: Fox

Das Leben steckt voller wunderbarer Dinge. Die meisten davon haben Edina (Jennifer Saunders) und Patsy (Joanna Lumley) schon einmal getrunken, gesnifft oder geraucht. Doch für eine Spritze Embryonenblut (gegen Falten) oder ein paar Gallonen Moët (gegen schlechte Laune) ist immer noch Platz in ihren meist knüllen Körpern. Seit 1992 und fünfeinhalb Staffeln halten die Modeopfer in Saunders’ gemeinsam mit Dawn French erdachter böser Parodie auf die britische Hipster- und Modewelt, der Sitcom „Absolutely Fabulous“, bereits verlässlich als „Role Models“ für geschmackssichere Frauen her.

Ja, auch die „Sweetie Darlings“ Patsy und Eddie sind langsam in die Jahre gekommen, und sie achten nun auf ihre Fitness: In Jennifer Saunders’ heute in Deutschland startender Kinoadaption ihrer eigenen Serie rattert Eddie mit einem kleinen Tretroller die anderthalb Meter zur wartenden Limousine, knarrt dabei „Exercise, exercise, exercise, done!“ und wirft den Roller in die Ecke. Einen größeren Gegensatz zu den gestrafften Health-Junkies der oberen Mittelklasse Englands kann man sich kaum vorstellen.

Patsy dagegen, die transvestitisch-transsylvanische Eisblondine biblischen Alters, trifft in einem weiteren Spitzengag den „Mad Men“-Hauptdarsteller Jon Hamm (als Jon Hamm) auf einer Party. „Hi Johnny, don’t you remember me?“, funkelt sie ihn aus kriegerisch geschminkten Augendeckeln an, und Hamms Minenspiel wechselt im Bruchteil einer Sekunde von Nichterkennen über Erschrecken zu Entsetzen, bis er beim Wegdrehen hinwirft: „I can’t believe you’re so … alive“.

Es gibt übrigens auch eine (vernachlässigbare) Story in dem Gag-Gewitter, das sich in Qualität und Timingfestigkeit kaum von dem hohen Niveau der Fernsehsitcom unterscheidet: Auf jener Party schubst Eddie aus Versehen Kate Moss (als Kate Moss) in die Themse, die sie doch eigentlich als Kundin für ihre PR-Agentur gewinnen wollte. Und flüchtet gemeinsam mit Patsy vor den Reportern, die an Mord glauben, an die Côte d’Azur. Dort machen die beiden das, was sie auch in London seit Jahrzehnten machen: sich durch die High Society schnorren.

Schabrackig, besoffen, derangiert

Aber im Gegensatz zu anderen Sitcomadaptionen, deren Probleme in der Struktur an sich verwurzelt sind – in der üblichen Spielfilmdramaturgie müssen die Figuren sich durch die Handlung verändern, bei Sitcoms dürfen sie das nicht –, versucht die Autorin, Schauspielerin und Comedian Saunders gar nicht erst, den Charme ihrer Charaktere in ein Kinoformat zu morphen. Sondern tut in ihrer „AbFab“-Leinwandversion genau das, was sie am besten kann: britisch-bittere, politisch unkorrekte, aber stetig zündende Gags über das Älterwerden, das Muttersein und die albernen Riten der sogenannten In-Crowd zu produzieren.

Das Spektakuläre an „AbFab“ und dem Vorgänger „French and Saunders“, einem ebenfalls von Jennifer Saunders und Dawn French ausgedachten und geschriebenen Sketchformat, war stets die anarchische Schonungslosigkeit, mit der Saunders mit den Genderkonventionen bricht. Auch wenn die Figur des weiblichen, drogenaffinen, spitzzüngigen Losers in anderen Serien bereits in Nebenrollen auftauchte, gab es doch lange Zeit – bei aller Witzelei – vor allem versöhnliche Protagonistinnen: Die „Golden Girls“ etwa, die sich nach dem gegenseitigen Anraunzen am Ende zu „Thank you for being a friend“ in die Arme fallen, oder Roseanne Barr, die als eigentlich glückliche Mutter und Ehefrau zwar auf urkomische Art, aber dennoch mit typischen Kleinfamilienproblemen zu kämpfen hat. Selbst die (größtenteils von männlichen Autoren verfassten) Formate „Ladykracher“ oder „Knallerfrauen“ waren zu „French & Saunders“- und „AbFab“-Zeiten noch nicht mal ein Zwinkern im Auge ihrer Erfinder.

Auf einer Party schubst Eddie aus Versehen Kate Moss (als Kate Moss) in die Themse

Dadurch, dass Saunders ihre Heldinnen ununterbrochen scheitern lässt, sie lustvoll übergewichtig, schabrackig, besoffen und derangiert inszeniert, gibt sie ihnen eine feministisch interpretierbare Freiheit, die im Unterhaltungsbereich selten ist. Denn üblicherweise reißen hier immer noch Männer die Witze, während Frauen die Aufgabe übernehmen, über sie zu lachen – und dabei möglichst gut, im Ausnahmefall auch mal ein bisschen tölpelhaft auszusehen. Bei „Absolutely Fabulous“ kommen dagegen kaum (heterosexuelle) Männer vor – außer jenen, mit denen Patsy schon einmal gepimpert hat und die sie beim Tinderchecken auf dem Handy mit den Worten „Had him, had him, had him“ zur Seite wischt. Und der als Klischee eines schwulen Friseurs aufspielende „Glee“-Darsteller Chris Colfer, der beim offensichtlich schmerzhaften Afroauskämmen der adoptierten Enkelin Eddies schnappt: „Beyoncé cried too. But she surrendered!“.

Ganz Britannien spielt mit

Dass Patsy am Ende die Rolle eines Frauenimitators übernehmen muss, um die Freundinnen in Drag nonchalant aus einer finanziellen Bredouille zu retten, kann hier spoilerfrei erwähnt werden – eine wirkliche Überraschung ist das wohl für niemanden, der Joanna Lumley kennt und mag. Der libertäre Umgang mit den Rollen und ihren Klischees; die Frauen, die Männer spielen, die Frauen spielen, machen den Film jedenfalls mühelos auch zu einem queeren Statement: Es ist schnuppe, was man ist. Denn einzig die Freundschaft hat für Saunders einen Wert. Sie überdauert die Tat, die Flucht, das Pleitesein, die ewigen Misserfolge und schlägt sich in einer absoluten und umfassenden Buddy-/„Darlings“-Solidarität nieder, die sogar Eddies Verhältnis zu ihrer spießigen Tochter schlägt.

Dass „tout Britain“ nicht lange gebeten werden musste, in Saunders’ Film unter der Regie der preisgekrönten Comedy-Expertin Mandie Fletcher, die in den 90ern bereits die unglaubliche Rowan-Atkinson-Serie „Blackadder“ verantwortete, Cameo-Auftritte hinzulegen, beweist Saunders’ Renommee: Neben Moss wackeln auch die Modeschöpferin Stella McCartney (die sich ein paar dumme Sprüche über ihren Vater einfängt), die Moderedakteurin Suzy Menkes, die Models Cara Delevigne und Jerry Hall, der BBC-Mycroft-Holmes-Darsteller und Sherlock-Autor Mark Gatiss und viele weitere Prominente mehr oder weniger dialogreich an der Kamera vorbei und bereichern die Riesenparty, als die der Film sich gibt, mit einer Parodie ihrer selbst.

Der libertäre Umgang mit den Rollen und ihren Klischees machen den Film auch zu einem queeren Statement

Dennoch: Gebraucht hätte es den Film selbstredend nicht. Sein einziger Existenzgrund sind die Einnahmen und die Hoffnung auf ein neues Publikum jenseits der FernsehzuschauerInnen, die sich bislang eh vor allem im englischsprachigen Raum fanden – in Deutschland erreichte die Serie trotz mehrfacher Ausstrahlung nie den Kultstatus von vergleichbar herausragenden Brit-Coms wie „Monty Python’s Flying Circus“, „Falwty Towers“ oder „Little Britain“. Die Gründe dafür sehen manche in der latenten Frauenfeindlichkeit von Programmmachern und Konsumenten, manche in der versteckten Übertragung in den sogenannten Nischen- und Bezahlprogrammen. Vielleicht lassen sich die sprachfeinen und schwarzironischen Gags auch einfach nicht auf den Punkt ins Deutsche übersetzen, und die doch extrem urbanen, zumindest ideell der Realität abgeguckten Figuren der möchtegern-einflussreichen PR-Frau und Moderedakteurin sind hier einfach zu stark von Helmut-Dietl-Produktionen verseucht.

„Absolutely Fabulous“

„Absolutely Fabulous“. Regie: Mandie Fletcher. Mit Jennifer Saunders, Joanna Lumley u. a. Großbritannien 2016, 91 Min.

Wer immer noch mäkeln wollte, könnte Saunders’ Attitude ohnehin oberflächlich finden, ihre Gags grell, ihre besten Zeiten in den 90ern ansiedeln. Aber dem ist dann irgendwie auch nicht mehr zu helfen.

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3 Kommentare

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  • 6G
    677 (Profil gelöscht)

    Gute Renzension.

    Da ich leider nur selten ins Kino komme und so nur die wenigsten Filme anschauen kann, bin ich dankbar, wenn ich einen Film, der "Genderkonventionen bricht" , ein "queeres Statement" darstellt und dessen größter Vorteil ist, daß die Gagschreiber keine Männer sind schon mal von der Liste streichen kann.

  • Tja, damit muss ich dann wohl leben, dass mir "nicht zu helfen" ist. Ich habe beim Lesen dieses Textes jedenfalls keine große Lust bekommen, meine just today kreierten Vorurteile einem Praxistest zu unterziehen.

     

    Das liegt nicht daran, dass mein Leben nicht auch "voller wunderbarer Dinge" stecken würde. Die "meist knüllen Körper[]" irgendwelcher "Modeopfer", "gestraffte[r] Health-Junkies" oder "möchtegern-einflussreiche[r] PR-Frau[en]" gehören für mich einfach nicht dazu. Ich finde es nicht lustig, mich über Opfer zu amüsieren.

     

    Im Übrigen ist Deutschland Großbritannien, und das ist auch gut so. Schließlich bin ich ja auch froh, dass Hitler seinerzeit gescheitert ist mit dem Versuch, Großbritannien zu Deutschland zu machen. Ich hab es lieber differenziert, sogar vorm Fernseher. Wenn also eine angebliche Must-Have-Serie in Deutschland "trotz mehrfacher Ausstrahlung nie den Kultstatus von vergleichbar [?] herausragenden Brit-Coms [erreicht]" hat, dann muss das meiner Ansicht nach nicht unbedingt an der "latenten Frauenfeindlichkeit" deutscher "Programmmacher und Konsumenten" liegen. "Die" britische Gesellschaft kann auch einfach anders "ticken".

     

    Wo für Jenny Zylka "hier" ist, weiß ich nicht. Da, wo es für mich ist, sind "die" Männer noch nicht sonderlich "urban". Sie reißen "üblicherweise" keine Witze über sich selbst. Sie bevorzugen Witze über Frauen, besonders über blonde und blondierte. Man muss es wohl schon einen Fortschritt nennen, wenn sie dabei wenigstens ohne weibliche Claqueure auskommen.

     

    "Der libertäre Umgang mit den Rollen" ist in meiner Welt noch längst nicht Alltag. Klischees spielerisch zu handhaben, üben die meisten Deutschen noch. Und wie nervenaufreibend (Anfänger-)Übungen sein können, weiß jeder, dessen Nachbar sich an der Blockflöte abarbeitet. Es liegt nicht an der Sprache, fürchte ich. Der Übersetzung fehlt der sogenannte "Hintergrund".

  • „Monty Python’s Flying Circus“ und „Falwty Towers“ hatten gute deutsche Versionen. Ansonsten sollte man sich so etwas aber im Original anschauen. Würde eh nicht schaden, wenn Filme und Serien mehr in der Originalsprache gesendet werden. Ist eine gute Chance mal das Schulenglisch/-französisch aufzubessern.