Umstrukturierung Eckernförde war bis vor kurzem ein verschlafenes Nest. Jetzt setzt der einstige Marinehafen voll auf Tourismus – und lockt sogar Kreuzfahrtschiffe: Kreuzfahrer auf Kopfsteinpflaster
von Sven-Michael Veit
An diesem Sonnabend erhält die „MS Deutschland“ neuen Bordschmuck. Nach dem Ankerwurf um die Mittagszeit bekommt der Kapitän des ehemaligen ZDF-Traumschiffs das Wappen der Stadt Eckernförde überreicht, ein Eichhörnchen, das über einen Burgturm springt. Grund für die Ehrung ist der erste Anlauf des Kreuzfahrtschiffes in der Kleinstadt an der Ostsee zwischen Kiel und Flensburg. „Das hätte vor Jahren niemand gedacht, dass wir mal Kreuzfahrthafen werden“, sagt Stefan Borgmann zufrieden.
Der Eckernförder Tourismus-Chef, der vor Ideen, Worten und Bewegungsdrang nimmermüde zu sprudeln scheint, hat Reedereien und Agenturen jahrelang in den Ohren gelegen, jetzt will er die Ernte einfahren. Nach der „Deutschland“ kommt Ende des Monats noch die „MS Albatros“, für nächstes Jahr sind sogar fünf Anläufe der beiden Schiffe eingeplant. Auf ihren Ostsee-Törns machen sie hier einen Tag lang Station. „Danzig, St. Petersburg, Helsinki, Stockholm – Eckernförde“, – Borgmann strahlt.
Wenn es nach dem 42-Jährigen geht, stellt sich die frühere Kreisstadt vollkommen neu auf. Vom Fischerort und Marinehafen soll ihr Weg zum „maritimen Erlebnis“ führen. „Wir müssen auf den Tourismus setzen“, meint Borgmann, „das hat Zukunft, das ist die Perspektive.“ Deshalb wurde die Strandpromenade aufgehübscht, Meerwasser-Wellenbad und Kurpark aufgewertet, und das Meeresumwelt-Bildungszentrum Ostsee Info-Center errichtet. Rund 14 Millionen Euro hat die 22.000-Einwohner-Stadt investiert, und das schickste soll noch kommen.
Die Hafenspitze ist künftig das Aushängeschild der Stadt. Der erste Block mit 42 Ferienappartements steht bereits da, wo der Hafen ins Meer übergeht, etwa 100 weitere Wohnungen folgen in den nächsten beiden Bauabschnitten. Ganz billig ist das nicht. Mit Quadratmeterpreisen zwischen 3.000 und 4.000 Euro zählt das Quartier zu den teuersten an der Ostsee, vergleichbar mit den Spitzenlagen in Travemünde oder Timmendorfer Strand. „Kaufkraft“, sagt Borgmann, „die Kaufkraft ist schon jetzt deutlich gestiegen.“
Matthias Huber geht das alles viel zu weit. „Die Bebauung ist zu hoch, zu klotzig“, sagt der Fraktionschef des Bürger-Forums in der Eckernförder Ratsversammlung. Seit drei Jahren mischt die Gruppierung mit, und eines hätten sie jetzt schon erreicht, sagt Huber grinsend: „Plötzlich finden alle Transparenz ganz toll.“
Für den Inhaber der Wikinger-Kneipe Utgard geht es um die Frage, wie viel Tourismus die Stadt verträgt. „Wir müssen die Einheimischen stärker einbeziehen“, sagt er, bislang habe es zu wenig Bürgerdialoge gegeben. Die Hafenspitze, das Vorzeigeprojekt, findet er wenig gelungen. Man dürfe so was doch nicht einem Investor überlassen, damit der sich eine goldene Nase verdienen könne. Da müssten mehrere zum Zuge kommen, findet Huber: „Ein Baufeld pro Investor, da entsteht Konkurrenz, dann müssen die sich Mühe geben, dann sieht nicht alles gleich aus.“
Deshalb steht Eckernförde auch ein Bürgerentscheid ins Haus, vermutlich nächstes Jahr im Mai zusammen mit der schleswig-holsteinischen Landtagswahl. Hinter dem Hafenbecken liegt das Windebyer Noor, eine ehemalige Ostseebucht, jetzt ein Brackwassersee. Ein Damm mit Durchgangsstraße und Gewerbegebiet trennt seit 1928 Meer und See. Die Verbindung soll, so der Plan der Mehrheit im Rathaus, wieder geöffnet, die Straße verlegt und ein Supermarkt umgesiedelt werden. Dann können zwischen Hafen und Noor Wohnungen entstehen, ein paar hochpreisige vielleicht, aber vor allem Miet- und Sozialwohnungen.
Gegen diese Pläne wurden bereits mehr als 3.000 Unterschriften gesammelt. Zu hoch, zu investorenlastig, zu wenig sozial – so lautet die Kritik von Bürgerinitiative und Bürger-Forum. „Mal sehen, ob ein Kompromiss möglich ist“, sagt Huber, „sonst kommt es wohl zum Bürgerentscheid.“
Hinter dem Aufbegehren steht die Sorge, dass die Kleinstadt mit ihren verwinkelten Kopfsteinpflastergassen dem Geld der Touristen geopfert wird. Er habe nichts gegen Urlauber und auch nichts gegen Kreuzfahrt-Touristen, sagt Gastronom Huber: „Das ist das Standbein der Stadt.“ Aber man könne doch „die nicht alle in diese kleine Innenstadt pfropfen“.
Eben das aber schwebt Tourismus-Chef Borgmann vor. Von „Deutschland“ und „Albatros“, die zu den kleinen Kreuzfahrern zählen, kämen vielleicht 800 Passagiere in die Stadt. Statistisch gesehen gebe jeder von ihnen bei Landgängen 40 Euro aus: „Macht 32.000 Euro pro Schiff“, rechnet Borgmann vor, bei fünf Anläufen im nächsten Jahr allein 160.000 Euro: „Das ist Umsatz, den wir brauchen.“
Hubers Befürchtungen hält der Tourismus-Chef für unbegründet. Die Luxusliner müssten vor dem Strand auf Reede liegen, die Passagiere würden in Booten in die Stadt gefahren. „Da kommen nacheinander zehn, zwölf Trupps von 50, 60 Leuten“, sagt Borgmann, „das verkraften die Läden.“ Beim jährlichen Hafenspektakel strömten 30.000 Besucher auf einmal in die Stadt, da sei dann was los, aber beherrschbar. Vom 14. bis 18. September findet zum zehnten Mal die „Green Screen“ statt, das inzwischen größte Naturfilmfestival Europas. Im vorigen Jahr kamen dafür 26.000 Besucher nach Eckernförde, dieses Jahr werden es kaum weniger sein. „Wir bewältigen das nicht nur“, sagt Borgmann, „das ist auch gut für die Stadt.“
Das ab 2006 entwickelte Tourismuskonzept will Eckernförde als maritime Stadt entwickeln. Anders als viele dörfliche Ostseebäder kann die Kleinstadt mit etlichen Unternehmen, vielen Geschäften, einer diversifizierten Einzelhandelsstruktur, vielfältiger Gastronomie und nicht zuletzt auch einem Bahnhof an der Stecke zwischen Kiel und Flensburg „eine attraktive Vollversorgung“ bieten, sagt Borgmann. „Die Leute finden hier alles, was sie brauchen“, das sei ein Standortvorteil.
Auch deshalb seien die Besucherzahlen überdurchschnittlich gestiegen, von 140.000 Übernachtungen im Jahr 2010 um fast ein Drittel auf 205.000 im vorigen Jahr. Damit sei eine Schwelle überschritten, so Borgmann, immer mehr Investoren interessierten sich nun für Eckernförde. Ein oder zwei Hotels könnte die Stadt noch gut gebrauchen, auf einem Areal hinter der Düne, das bislang als Parkplatz „völlig unternutzt“ sei. Aber Neubauten müssten sich in das Stadtbild einfügen. „Wir definieren den städtebaulichen Rahmen“, stellt Borgmann klar. Ein Investor, der zu viel und zu hoch bauen wollte, sei schon abgeblitzt: „Wir können uns jetzt aussuchen, was zu uns passt.“
Für Tourismus-Minister Meyer ist Eckernförde auch deshalb ein Vorzeigeprojekt. „Hier ist es beispielhaft gelungen, bei der städtebaulichen Entwicklung die Interessen der Bevölkerung, der Wirtschaft und des Tourismus in Einklang zu bringen“, glaubt er. Huber vom Bürger-Forum sieht das vollkommen anders. „Wir brauchen Alleinstellungsmerkmale“, findet er, ohne ein fertiges Konzept dafür in der Tasche zu haben. „Aber einfach zu sagen, kommt mal her, latscht durch unsere Einkaufszone und gebt Geld aus – das ist doch nicht nachhaltig.“
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