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Die große Emotion und der einfache Tipp

HISTORIE Erinnerung an elf Jahre Preisverleihung, an alltägliches Engagement, an Vorbilder und an einen guten Rat

Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik lässt sich auch ­anhand der Preis­träger erzählen

von Andreas Rüttenauer

Im Berliner Centrum Judaicum hat alles angefangen. Dort wurde der taz Panter Preis zum ersten Mal verliehen. Aufgeregt waren damals nicht nur die, die sich um die Organisation gekümmert hatten, sondern vor allem die zwei Preisträger, die die Jury als Träger auserkoren hatte. Es waren zwei Jugendliche aus Berlin, Sinan und Saithan. Die feierliche Stimmung, der donnernde Applaus und 5.000 Euro Preisgeld überforderten die Jugendlichen sichtlich.

Dass sie Mut haben, mithin preiswürdig waren, haben sie bewiesen, als sie ihre Gesichter für einen Postkartenaktion des Berliner Vereins MaDonna ­Mädchenkult.Ur e. V. zur Verfügung gestellt haben. „Ehre heißt, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“, stand auf den Karten, die der Verein vor allem in dem Viertel verteilt hat, in dem die Deutschkurdin Hatun Sürücü Opfer eines brutalen Ehrenmordes geworden war. Später gab es noch Ärger mit dem Verein, der gern mehr vom Preisgeld abbekommen hätte als die 1.000 Euro für einen Nachdruck der Karten in türkischer und arabischer Sprache. Und dann waren da noch die ­Väter der Jungs, die Anspruch auf das Geld für ihre Söhne einforderten. Sie begann fulminant, die Geschichte des taz Panter Preises, und holprig. Ein gefeierter, aber schwieriger Auftakt.

Ebenso unvergessen wie die Premiere ist bei allen, die dabei sein durften, auch die Preisverleihung des Jahres 2013. Der Applaus war für die Gewinner jenes Jahres so herzlich, wie er nur sein konnte. Das war Inge Hannemann, die im Jobcenter in Hamburg gearbeitet hat – bis sie von ihrer Arbeit suspendiert wurde, weil sie das Hartz-IV-System öffentlich kritisiert und vor allem die harte Sanktionen für vermeintliche Sozialschmarotzer lauthals angeprangert hatte. Der Preis der Jury ging an das antirassistische Netzwerk „Welcome2Europe“, dessen Aktivisten mit einem Kleintransporter durch Griechenland fuhren, um Menschen ohne Papiere zu helfen.

Ihnen gehörte der Applaus, die Emotionen aber gehörten den Flüchtlingen, die auf dem Oranienplatz in Berlin ein Protestcamp bezogen hatten. Sie nutzten die Bühne des Deutschen Theaters, wo die Preisverleihung eine neue Heimat gefunden hatte, um ihre Situation mit drastischen Worten zu beschreiben. Der aus West­afrika stammende Bashir Zakariyar griff sich das Mikrofon und sagte, noch ehe eine Frage an ihn gerichtet worden war: „Wenn diese Veranstaltung zu Ende ist, werden alle, die hier im Publikum sitzen, nach Hause ­gehen. Wir nicht. Wir können nur zurück auf die Straße.“ Ein Satz, der noch lange nachhallte an diesem Abend, genauso wie die Geschichte eines anderen Aktivisten aus dem mittlerweile aufgelösten Camp. ­Patras Bwansi aus Uganda war vor der Preisverleihung ein ­Ausweisungsbescheid zugegangen.

Wer dabei war bei den Preisverleihungen der vergangenen Jahre und sich an sie erinnert, der wird innerlich noch einmal eine Reise machen durch all die Themen, die das Land und vor allem die Engagierten in diesem Land bewegt haben. Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik in den vergangenen gut zehn Jahren lässt sich auch anhand der Preisträger des taz Panter Preises erzählen.

Es gab Nominierte, die sich für Geflüchtete in der vermeintlich so konservativen Provinz einsetzen, die Männergesprächsgruppen für Migranten organisieren, die sich gegen Fracking starkmachen, die gegen die miesen Arbeitsbedingungen für Migrant*innen in der Fleischindustrie angehen oder sich in einem schwierigen Umfeld gegen Rassismus in den Fankurven von Fußballstadien einsetzen.

Auch jene, die am Ende keinen Preis gewannen, haben sich als wahre Vorbilder präsentiert. „Da geht was“, mögen sich viele im Publikum bei der Vorstellung der Nominierten gesagt haben.

Und manchmal haben die Preisträger ganz einfach Tipps parat, wie man etwas ändern kann, ohne gleich einen Teil seiner Freizeit für ein Anliegen zu opfern. Der Rat, den der Verein Digitalcourage e. V., Preisträger von 2014, dem Publikum auf die Frage, wie man sich im Kleinen vor Überwachung durch Informationstechnologie schützen kann, auf den Weg gegeben hat, ist alles andere als schwer zu befolgen: „Bar zahlen!“, lautete der, und so manch Beobachter im Publikum wird sich an die Nase gefasst haben und seitdem nicht mehr in jedes Lesegerät seine Bankkarte gesteckt haben. Er kann wirken, der taz Panter Preis.

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