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Wilko Zicht über Wahlbeteiligung„Die Liste der SPD war zu lang“

Wilko Zicht ist für die Grünen im Wahlrechtsausschuss. Im Interview spricht er über ungültige Stimmen, miese Wahlbeteiligung und Urnen im Einkaufszentrum

Bremer Musterstimmbücher von 2015 Foto: Jörg Sarbach/dpa
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Zicht, worum geht es im neuen Wahlrechtsausschuss?

Wilko Zicht: Wir wollen wahlorganisatorische Maßnahmen gegen sinkende Wahlbeteiligung finden. Zum anderen wollen wir Mängel im Wahlrecht beheben und damit das bremische Wahlrecht besser machen.

Welche Probleme gibt es?

Es soll diskutiert werden, ob eine landesweite Fünfprozent-Hürde eingeführt wird. Derzeit läuft das in Bremen und Bremerhaven noch getrennt. Außerdem geht es um die Stimmauszählungen, die in der Kritik standen.

Im Interview: 

40, Bürgerschaftsabgeordneter und innen- und drogenpolitischer Sprecher der Grünenfraktion. 2012 wurde aufgrund seiner erfolgreichen Verfassungsbeschwerde die Überhangmandatsregelung bei den Bundestagswahlen geändert. 2006 setzte er mit einem Entwurf für das Bremer Wahlrecht ein Volksbegehren in Gang. Er gestaltete das aktuelle Wahlrecht in Bremen und Hamburg mit.

Probleme traten zuletzt vor allem in Bremerhaven auf. Was ist da los?

Dort zählen Schüler die Wahlzettel aus. Das ist nicht grundsätzlich schlechter, nur sind das alle vier Jahre andere Schüler – und es wäre sinnvoller, erfahrene Kräfte dabei zu haben. Eine Mischung wäre wohl gut. Und weniger Zeitdruck bei der Auszählung.

In Bremen haben WählerInnen durch das stark personengebundene Wahlrecht mehr Einfluss darauf, wer tatsächlich im Landtag sitzt. Das geht einher mit komplizierteren Stimmzetteln, die wiederum mehr ungültige Stimmen verursachen. Wie kann man den Konflikt lösen?

Studien zeigen, dass die Wahlbeteiligung nicht vom Wahlsystem abhängt. Allerdings ist durch das neue System die Zahl der ungültigen Stimmen gestiegen – leider vor allem in prekären Stadtteilen. Die Schere, die sich ohnehin in der Wahlbeteiligung widerspiegelt, geht durch ungültige Stimmen noch weiter auseinander. Das ist nicht zufriedenstellend.

Der Ausschuss soll Regelungen diskutieren, die einen Teil der ungültigen Stimmen retten könnten. Was bringt das?

In Bremen liegen wir bei rund drei Prozent ungültigen Stimmen. Würde man Heilungsregeln anwenden, läge man bei etwa zwei Prozent. Das wäre ein vertretbares Maß.

Stattdessen soll wieder das Listenwahlrecht gestärkt werden. Warum?

Einige Parteien wollen wieder stärker selbst bestimmen können, wer gewählt wird. Auch die Grünen haben das so auf einer Landesmitgliederversammlung entschieden. Ich bin persönlich anderer Meinung, werde aber dem Auftrag der Mitglieder entsprechend handeln.

Was ist aus ihrer Sicht besser?

Ich halte eine gesunde Mischung für das Richtige. Wähler sollten direkten Einfluss darauf haben, wer ins Parlament kommt. Es ist allerdings auch legitim, dass die Parteien beurteilen sollen, wer für die Fraktionsarbeit hilfreich ist. Und wer nicht.

Die SPD hatte bei der Wahl im Mai 2015 eine Liste mit Frauenquote, durch das starke Personenwahlrecht sitzen nun jedoch zu zwei Dritteln Männer in der Bürgerschaft. Gleichstellungspolitisch ist doch nachvollziehbar, dass die SPD wieder die Liste will.

Der gesunkene Frauenanteil im Parlament ist ärgerlich. Doch die SPD stellt da einen Zusammenhang her, den es nicht gibt. In Hamburg, wo ein ähnliches Wahlrecht wie in Bremen gilt, haben bei den Sozialdemokraten gerade junge Leute und Frauen gut abgeschnitten. Die Liste der Bremer SPD war einfach zu lang. Auf den hinteren Plätzen standen männliche Kandidaten, bei denen absehbar war, dass sie über viele Personenstimmen in die Bürgerschaft kommen. Die haben den Frauen die Sitze weggenommen. Durch eine intelligentere Listenaufstellung könnte die SPD ihr Problem beheben.

Was raten Sie der SPD?

Eine kürzere Liste mit Kandidaten, die man für fähige Abgeordnete hält. Auch so kann man der Liste wieder Gewicht verleihen. Das rate ich auch uns Grünen.

Bleibt das Problem der Wahlbeteiligung. Wie löst man das?

Eine hohe Wahlbeteiligung gibt es nur, wenn die Wählerinnen und Wähler spüren, dass es einen Unterschied für sie macht, wie die Wahl ausgeht.

Haben WählerInnen durch das starke Personenwahlrecht nicht mehr Mitwirkungsmöglichkeiten?

Der Effekt gleicht sich aus. Auf Wähler, die aufgrund direkter Wahlmöglichkeiten eher wählen gehen, kommen genau so viele, die sich von dem komplizierteren Wahlrecht abgeschreckt fühlen. Mit Hilfe des Wahlrechts kann man da nur wenig herausholen. Wir reden von vielleicht zwei Prozentpunkten, wenn man etwa in der Briefwahlphase mehr Wahllokale anbietet – im Einkaufszentrum, in Schulen oder an anderen Orten, wo viele Leute sind.

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