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Kommentar zu rot-grünem Polizeischutz in HamburgVorgeschobene Begründungen

Der Hamburger Senat hält den martialischen Polizeieinsatz vor zwei Wochen in der Hafenstraße für gerechtfertigt. Die Begründung überzeugt nicht.

Sind Stromkabel die neuen Klobürsten? Widerstandssymbol zu Zeiten des Gefahrengebiets 2014. Foto: dpa

Hamburg taz | Es ist ein Vorgehen, wie es das Oberverwaltungsgericht bereits als „verfassungswidrig“ bezeichnet hat: Die Polizei beurteilt eine Lage unabhängig von objektiven Faktoren, lässt allerlei diffuse, nicht überprüfbare Gefahrenszenarien einfließen – und begründet dann die eigene Maßnahme mit den teils heftigen Reaktionen darauf. So war es bei der Einrichtung des polizeilichen „Gefahrengebiets“, so ist es auch jetzt bei der angeblichen Drogenbekämpfung am Hafen.

Das ist der Kern der Senatsantwort auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider (Linke). Demnach sollte mit dem martialischen Polizeieinsatz in der Hafenstraße eine Durchsuchung zwecks Beschlagnahme eines Stromkabels durchgesetzt werden. Da ist dann die Rede von „polizeilichen Lageerkenntnissen“, die es angeblich erwarten ließen, eine größere Zahl von Personen anzutreffen, gegen die Maßnahmen der Strafverfolgung erforderlich sein würden. Auch sei mit „Solidarisierungseffekten“ zu rechnen gewesen.

Wieso eigentlich, könnte man fragen: Wenn das eigentliche Ziel ein bloßes Stromkabel war, mit dem irgendeine Art der Beihilfe zum Drogenhandel geleistet worden sein soll. Und dann der Zeitpunkt: Zehn Wochen alt war der Durchsuchungsbeschluss, und nicht erst seit der Gründung der „Task Force Drogen“ der Polizei kontrolliert die alltäglich mutmaßlicher Drogendealer – längst nicht nur am Hafen.

Andere Einsatzlagen, sagt der Senat, hätten einer früheren Durchsuchung entgegengestanden. Das aber wäre wirklich ein Offenbarungseid: „Task Force“ heißt nun mal „schnelle Eingreiftruppe“ – und dann soll es zweieinhalb Monate dauern, diese Beschlagnahmung hinzubekommen?

Nein, hier ging es um etwas ganz anderes. Da wollte jemand ausloten, inwieweit die heutige Bewohnerschaft der Hafenstraße auf repressive Maßnahmen reagiert. Anders gesagt: Wie viel die Polizei sich herausnehmen kann, bis es wieder knallt an der ehemals umkämpften Häuserzeile. Und dann? Das nächste, noch größere Gefahrengebiet?

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4 Kommentare

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  • 8G
    889 (Profil gelöscht)

    "Da ist dann die Rede von „polizeilichen Lageerkenntnissen“, die es angeblich erwarten ließen, eine größere Zahl von Personen anzutreffen, gegen die Maßnahmen der Strafverfolgung erforderlich sein würden. "

     

    Kann man wohl übersetzen mit: Wo Leute mit bunten Haaren wohnen, wird sich schon ein Jointstummel finden.

  • Da zeigt sich eigentlich nur die preußische Gründlichkeit in ihrer Perfektionierung. Und Perfektionierung gibt es eben nicht nur bei sinnvollen Dingen (die eher die Ausnahme sind), sondern vor allem auch bei unsinnigen Dingen und der Ignoranz des Rechts.

  • 2G
    2284 (Profil gelöscht)

    Was von den Kosten des gesamten Polizeieinsatzes alles Konstruktives geleistet werden könnte.

    Klar, die Polizisten sind sowieso beschäftigt und müssen bezahlt werden, aber sowas beinhaltet immer auch Überstunden und vor allem auch massiven Stress für die Beamten. Ich kann mir gut vorstellen, dass diverse von denen mit einer etwas anderen Vorstellung in den Polizeidienst gegangen sind, als Menschen auf Gtrund ihrer Hautfarbe zu kontrollieren, Privatwohnungen unter fadenscheinigen Begründungen zu stürmen und sich dafür zurecht anpöbeln zu lassen.

    Das alles führt zu langfristigen Folgen,wie Überlastung, Burnout etc. was dann eben doch wieder viel Geld kosten: Und wozu?

    Damit der beschissene Kiez, der sowieso schon von Touris und Massenveranstaltungen überlaufen ist, noch weisser und sauberer und somit in der Verwertungslogik attraktiver wird.

    Na herzlichen Glückwunsch, gibt ja sonst keine Probleme.

    Die linke Szene sollte langsam mal nachdenken, sich einfach aus dem überteuerten kackloch Hamburg zurückzuziehen und sich irgendwo einzurichten, wo die Mieten günstiger und die innenpolitik noch kein kompletter Scherz ist (also nicht Berlin :-) ). Sollen der Senat und deren Investorenfreunde dann mal schauen, wie sie ohne die ganzen Zecken das spanennde Erlebnis Schanze verkaufen wollen. Da bleibt ohne linke Kultur nämlich nur ein Ort zurück, der ungefähr als das Pendant zu Wohlfühl Deutschpop ala Revolverheld gesehen werden kann. Schicke Ästhetik udn sonst dieselbe Speißerscheisse wie schon 1950. Und das hält doch keine*r lange aus.

    • @2284 (Profil gelöscht):

      Ihren Ratschlag an die linke Szene, das spießige HH zu verlassen, wird niemand so sehr begrüßen wie "die Spießer". Ob aber umgekehrt die linke Szene Freude hätte an einem fiktiven Ort ohne "die Spießer", "rassistische Repression", "Polizeiwillkür", "Verwertungslogiken" & Co? No Feindbild no Fun. Aber Ihrer Auffassung, dass sich das "Widerständige" als Imagefaktor klasse vermarkten lässt, stimme ich zu. Hamburg Marketing würde ganz sicher was fehlen ohne die Bilder von Revolutionsromantik à la Rote Flora und Hafenstraße.