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Kommentar Innenpolitik TürkeiEin bisschen Entspannung

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Einiges deutet darauf hin, dass Erdoğan innenpolitisch mehr den Konsens sucht. Zugleich arbeitet er weiter am Ausbau seiner Machtposition.

So ganz kommt Erdoğan (rechts) an Staatsgründer Atatürk (links) noch nicht vorbei Foto: ap

D er türkische Präsident Erdoğan scheint erste Entspannungssignale zu senden: Er werde alle Beleidigungsklagen gegen Politiker, Journalisten Schriftsteller und sonstige Kritiker zurückziehen, erklärte er während einer Großveranstaltung zum Gedenken der getöteten Zivilisten während des Putschversuches. Dies sei ein Zeichen der Anerkennung des gesamtgesellschaftlichen Widerstandes gegen die Putschisten.

Ist das der Zynismus eines Diktators oder tatsächlich ein Signal, dass Erdoğan bereit sein könnte mitzuhelfen, die tiefen Gräben innerhalb der türkischen Gesellschaft langsam wieder zuzuschütten? Es hat außer dieser Ankündigung noch andere Signale gegeben, die darauf hindeuten könnten. Zunächst hatten alle Parteien im Parlament gemeinsam den Putsch verurteilt, dann gab es ein Treffen Erdogans mit den Parteiführern der Opposition, allerdings unter Ausschluss der kurdisch-linken HDP.

Es gab eine erlaubte Großdemonstration der sozialdemokratischen CHP auf dem seit Jahren für Demos gesperrten Taksim-Platz in Istanbul, der Sonntag eine weitere in Izmir folgen soll. Und während der allerorten inszenierten Pro-Erdoğan-Demos werden immer wieder auch Atatürk-Bilder geschwenkt und kemalistische Hymnen angestimmt. Außerdem sind die beiden Hürriyet-Journalisten Bülent Mumay und Arda Akin, die sicher nichts mit der Gülen-Bewegung zu tun haben, aus der Haft entlassen worden.

Versucht sich Erdoğan also tatsächlich an einem neuen innenpolitischen Konsens? Ja und Nein. Erdoğan geht im Moment tatsächlich ein wenig auf das traditionelle kemalistische Lager zu. Die meisten Verhaftungen, Entlassungen und Schließungen von Medienanstalten zielen erst einmal auf die Gülen-Bewegung im weitesten Sinne. Bekannte linke Publikationen sind noch nicht betroffen.

Doch gleichzeitig nutzt Erdoğan die Post-Putschversuch-Situation, um immer mehr Macht an sich zu ziehen. Das Militär, die Geheimdienste und die Polizei sollen direkt seiner Kontrolle unterstellt werden, mit dem Ausnahmezustand baut er seine Macht aus, um per Dekret zu regieren.

Bei dem Treffen mit den beiden anderen Parteichefs wurde zwar beschlossen, einige Verfassungsänderungen gemeinsamen durchzuführen und insgesamt einen Neustart in der Debatte zu wagen, doch an Erdoğans Erwartung einer Präsidialverfassung hat sich nichts geändert. Und in der wichtigen Kurdenfrage bleibt Erdoğan so unversöhnlich wie in den letzten 12 Monaten.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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4 Kommentare

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  • Erdogan Präsidialverfassung ist nichts anderes als das Ende einer wie auch immer bisher beständigen Pseudo-Demokratie zu einer echten Diktatur mit sporadischen Wahlen, in denen dann der Gewinner immer feststeht. Damit so ein System überhaupt entstehen kann, müssen alle liberalen Elemente verschrottet werden. Zuerst gehts Journalisten und Juristen an die Wäsche, weil die unabhängige, nicht so einfach angreifbare Positionen inne haben. Das wäre also schon gewschafft. Dann die Militärklasse der Türkei - eine Institution, die seit den Gazi bzw. Selcuken besteht - auch sie muss zerlegt werden, damit keine Institution mit Eigenständigkeit sich dem Willen des Führers widersetzen kann. Schon Hitler gab sich nach der Machtergreifung kleinlaut und versuchte Ängste und Konflikte zu beschwichtigen, um sie im nächsten Schritt umso heftiger durchzuführen.

    • @Andreas_2020:

      Präsident Erdogan mit Adolf Hitler gleich zusetzten ist eine bodenlose Frechheit, die ihres gleichen sucht. Ihr Vergleich ist nicht nur eine Frechheit gegenüber diesem stolzen Volk der Türken, sondern auch gegenüber den millionen von Opfern des Holocaust, die sie versuchen zu relativieren, indem Sie Erdogan mit Adolf Hitler vergleichen. Zu Erinnerung, Adolf Hitler war der Ausgangspunkt für die weltweite Aggression mit 60 Mio. Toten am Ende.

      • @Nico Frank:

        Also ich habe keineswegs vorgehabt, den Holocaust mit Erdogan und Hitler zu bagatellisieren. Das tut mir leid, dass Sie diesen Eindruck haben. Mir geht es darum zu zeigen, wie es abläuft, wenn eine 'Machtergreifung' abläuft und da kenne ich mich bei anderen Diktaturen nicht so gut aus, dass mir ein anderes Beispiel eingefallen ist. Im Übrigen unterdrückt die Türkei seit 1938/39 Kurden systematisch und nachhaltig, wenn Erdogan auch kein Hitler ist, die Taten gegen Minderheiten sprechen eindeutig gegen eine nette Türkei, ob nun Demokratie oder Diktatur - die Liste der Opfer ist schon extrem lang und das Leid entsprechend. Übrigens war Hitler ein Verehrer von Atatürk - so rum war das damals.

      • @Nico Frank:

        Na, ich lese bei @Andreas_2020 "Schon Hitler gab sich nach der Machtergreifung kleinlaut und versuchte Ängste und Konflikte zu beschwichtigen, um sie im nächsten Schritt umso heftiger durchzuführen." Und diesen Vergleich zur Machtergreifung finde ich in Ordnung.

         

        Was in der Türkei nach einer möglichen Machtergreifung durch den Präsidenten Erdogan geschieht, sprich wie sich das "stolze Volk der Türken" verhält und was der Diktator dann noch so macht, steht noch in den Sternen und anders beschreibt es @Andreas_2020 auch nicht.

         

        Ein Vergleich beim Vorgehen eine Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln ist gerechtfertigt. Das hat meiner Ansicht nach nichts mit "Relativierung des Holocausts" zu tun.

         

        Und übrigens: Ein "stolzes" deutsches Volk hatte und hat D auch... (siehe "besorgte Bürger" etc.)