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Kommentar Rigaer Straße in BerlinRechtsbrecher in Uniform

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Mit dem Auftauchen der Gerichtsvollzieherin endete der Einsatz um das Hausprojekt. Polizisten mussten lange einstecken, weil ihre Chefs Fehler machten.

Wochenlang harrten Polizisten vor dem Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 aus Foto: dpa

D as war nun wirklich ein Novum: Da kommt eine Gerichtsvollzieherin zum besetzten Haus und lässt es räumen. Allerdings nicht von aufmüpfigen Hausbesetzern mit Hang zur antiquierten Parole, sondern von einer anderen Spezies, die in den letzten Wochen ebenfalls leichte Anarcho-Attitüden bewies und das Haus rechtswidrig besetzt hielt: die Berliner Polizei.

Was am Donnerstagnachmittag in der heiß umkämpften und symbolisch übermäßig aufgeladenen Rigaer Straße 94 vor sich ging, schrumpfte die Berliner Polizeibehörde vor den Augen der Öffentlichkeit auf Kleinstmaß. Normalerweise kommen Gerichtsvollzieher, die Vollstrecker der Justiz, mit Hilfe der Polizei zu umkämpften Orten, um gesprochenes Recht herzustellen.

In diesem Fall war es anders: Die Polizei war selbst zum Teil der Auseinandersetzung geworden, zum Rechtsbrecher in Uniform. Das zumindest war das – vorläufige – Ergebnis einer gerichtlichen Klärung. Die Vorgeschichte: Zuvor hatte die Berliner Polizei einen Bereich des Hauses, das teils von antikapitalistischen Aktivisten bewohnt und genutzt wird – ohne Räumungstitel geräumt. Anschließend kam es zu Ausschreitungen und Krawallen.

Dass die Polizei also am Donnerstag nicht an der Seite der Gerichtsvollzieherin stehen konnte, sondern dass diese mehr oder weniger dafür sorgte, den Hausnutzern der Rigaer Straße 94 wieder Zugang zu ihrem von der Polizei verstellten Gebäude zu verschaffen, brachte den Kern des Konflikts auf den Punkt: Kaum war die Gerichtsvollzieherin da, zog die Polizei ab. Dieser Umstand wird die Polizeibehörde und den Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) noch einiges kosten.

Erst durch die Polizeibesetzung der letzten Wochen konnte ein Fetisch um die Symbolik der „Rigaer94“ entstehen, der der Bedeutung des Hauses kaum entspricht. Das Haus steht mit seinen abgegriffenen Parolen vor allem für eine anachronistische Erzählung von Politik. Fakt ist aber: Weil ihre erklärten Gegner, immerhin staatliche Institutionen, unlauter und stümpferhaft vorgingen, konnten sich am Donnerstag vermummte Gestalten in Berlin-Friedrichshain in Siegerpose vor die Presse setzen – als seien sie die paramilitärische Volksarmee von Kolumbien. Diese Wiedergeburt eines vermeintlich autonomen Gestus, über den sich auch der Großteil der außerparlamentarischen Linken kaputt lacht, hat einen äußerst prominenten Geburtshelfer: Berlins Innensenator Frank Henkel.

Die Verunsicherung in der Berliner Polizeibehörde ist nun groß. Hunderte Beamte haben in den letzten Wochen saftig einstecken müssen dafür, dass ihre Vorgesetzten in einer solch delikaten politischen Angelegenheit so grundlegende handwerkliche Fehler machten. Sie wurden beschimpft, bespuckt und verletzt, weil ihre Führung sie in ein offenes Feld laufen ließ – ohne Flankenschutz und Rückendeckung. Das ist ein handwerklicher, rechtlicher, vor allem aber ein gravierender politischer Fehler, der nicht ohne Konsequenzen bleiben kann und wird.

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Martin Kaul
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2 Kommentare

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  • Ja, ein Kommentar darf auch etwas polemisch sein. Quatsch sollte man trotzdem nicht erzählen.

    Sowas wie "paramilitärische Volksarmee von Kolumbien" gibt es nicht.

    Zumindest mal bei Wikipedia gucken - auch wenn dies keine Recherchetool sein sollte.

    Solch erfundene Begrifflichkeiten zeugen von mangelndem Respekt einer Nation und/oder eines der längsten Kriege der Welt. Das ist auch in einem Kommentar nicht angemessen.

     

    Zur rudimentären Information bitte hier klicken: https://goo.gl/pYEc72

     

    Zitat aus Wikipedia:

     

    Beteiligte Parteien

     

    Die kolumbianische Polizei, die Streitkräfte Kolumbiens und der Inlandsgeheimdienst Departamento Administrativo de Seguridad (DAS)

    bis ca. 2006 die Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), ein Dachverband paramilitärischer Gruppierungen unterschiedlichen Ursprungs, und

    die Guerillagruppen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (FARC-EP) und Ejército de Liberación Nacional (ELN).

  • "Hunderte Beamte haben in den letzten Wochen saftig einstecken müssen dafür, dass ihre Vorgesetzten in einer solch delikaten politischen Angelegenheit so grundlegende handwerkliche Fehler machten. Sie wurden beschimpft, bespuckt und verletzt, weil ihre Führung sie in ein offenes Feld laufen ließ..."

     

    ...und die "linksautonome Szene" dies nur allzugern zum Anlaß für ihre beliebten Festspiele nahm.

     

    In diesem Fall kann man beide Seiten kaum entschuldigen!

     

    Btw, die Polizeiführung bzw. der Innensenator haben hier doch wohl wider besseres Wissen gehandelt. Anderenfalls wäre es fast noch schlimmer, soviel Dummheit in hohen Rängen...