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Arme Familien nicht entwurzeln

Studie über Kinderarmut warnt vor dramatischem Mangel an Sozialwohnungen in Hamburg. Bis 2009 entfällt für jede vierte Wohnung die öffentliche Preisbindung. Baubehörde kennt das Problem, sieht aber keinen Handlungsbedarf

Von Kaija Kutter

Die Versorgung armer Familien mit günstigem Wohnraum wird sich in Hamburg bis 2009 „gravierend verschlechtern“. Zu diesem Ergebnis kommt die Sozialwissenschaftlerin Ursel Becher in einer Untersuchung über Kinderarmut in Hamburg. Damit erhält der drohende Mangel im Sozialwohnungsbau, vor dem die rot-grüne Opposition in der Bürgerschaft bereits nachdrücklich gewarnt hat, auch noch eine familienpolitische Brisanz.

Becher bezieht sich auf die Daten des Statistischen Landesamtes, wonach es im Jahr 2003 in der Hansestadt noch 142.790 Sozialwohnungen gab. Bis 2009 wird diese Zahl demnach um 27,2 Prozent auf 103.882 schrumpfen. Dieser Rückgang verteilt sich unterschiedlich auf die Wohnquartiere: Extrem betroffen ist beispielsweise Stellingen, wo von 1.232 Sozialwohnungen nur noch 395 übrig bleiben, am Quartier Wegenkamp fallen gar sämtliche 268 Wohnungen aus der Sozialbindung. Ähnlich extrem ist die Lage in Eidelstedt, wo über 1.500 Wohnungen betroffen sind. In Billstedt sind fast 3.400 Familien betroffen, in Steilshoop noch mal fast 1500.

Es sei zwar nicht so rasch mit einem Anstieg der Mieten zu rechnen, wurde Ursel Becher von Experten versichert. Dennoch fürchtet die frühere Eimsbüttler Sozialdezernentin, dass in sanierten Gebieten die Mieten steigen und deshalb Familien weichen müssen. Da diese Familien auf dem Wohnungsmarkt „keine Chance“ haben, müsse verhindert werden, dass sie in Großsiedlungen am Stadtrand verdrängt werden. Denn vor allem für Kinder bedeute ein Umzug oft „Entwurzelung, Verlust von Freunden und Desintegration“.

Offen ist für die ehemalige Hochschuldozentin die Frage, ob auch für Arbeitslosengeld-II- und Sozialhilfeempfänger die höhere Miete gezahlt wird. Zudem seien, warnt sie, die sozialen und psychiatrischen Dienste personell nicht ausreichend ausgestattet, um Familien vor Wohnungsverlust zu schützen.

Kerstin Feddersen, Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, bestätigt die Zahlen: „Das Thema ist bekannt. Bis 2010 fallen in Hamburg 33.000 Wohnungen aus der Bindung.“ Dieses Phänomen gebe es aber schon seit Jahren: „Dabei zeigt sich, dass die Wohnungen günstig bleiben.“ Und wenn doch die Mieten steigen, werde dies für Sozialhilfeempfänger bezahlt. Ohnehin sei dies nur für maximal 20 Prozent in drei Jahren erlaubt, was bei einer Miete von vier Euro pro Quadratmeter 80 Cent mehr bedeute.

„80 Cent machen bei 50 Quadratmetern schon 40 Euro aus“, hält der SPD-Wohnungsbauexperte Jan Quast dagegen, der Bechers Sorgen teilt: „Wir bauen zu wenige Wohnungen und zu wenige günstige Wohnungen in Hamburg.“ Statt der nötigen 6.000 bis 8.000 würden im Jahr nur knapp 4.000 Wohneinheiten fertig. Die Leidtragenden seien alle Menschen mit kleinem Geldbeutel, wie Verkäuferinnen.

Der Sozialwohnungsbau insgesamt habe schon unter Rot-Grün nicht ausgereicht, um den Wegfall der Sozialbindungen auszugleichen. Er sei aber unter der CDU-Regierung noch weiter auf zuletzt 965 Sozialwohnungen in 2004 geschrumpft. Ab 2005 gelte ein neues Prinzip: Für rund vier Millionen Euro kaufe die Stadt „Bindungen“ für bestehende Wohnungen. Dies „könnte positiv sein“, sagt Quast, reiche aber in der Summe nicht aus.

Ursache sei, so der SPD-Politiker, dass der Gesamtetat für Wohnungsbauförderung im Jahr 2005 vom Senat um 50 Millionen auf 103 Millionen Euro gekürzt wurde. Vom verbliebenen Geld würden überwiegend Modernisierungen und die Bildung von Wohneigentum durch Kredite unterstützt, sodass für die Förderung des Mietwohnungsbaus zu wenig bleibe.

Ursel Becher fordert deshalb von Hamburgs Behörden einen ressortübergreifenden „Masterplan“, der zeigt, wie in Zukunft für benachteiligte Gruppen „ausreichend Wohnraum“ in „sozial stabilen Bewohnerstrukturen“ entsteht. Bekommen Familien ausreichend große und günstige Wohnung, darauf stieß sie in ihrer Untersuchung, könnte dies die Lage gar so entspannen, dass teure „Hilfen zur Erziehung“ verkürzt oder überflüssig werden.

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