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Professorin über akademisches Prekariat„Bestenfalls eine Kopierkarte“

Tausende HochschullehrerInnen unterrichten, ohne bezahlt zu werden. Ein Skandal, sagt die Philosophieprofessorin Theda Rehbock.

Wer die Lehrbefugnis einmal hat, muss jedes Semester unterrichten. Die Unis nützen das aus Foto: reuters
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Frau Reh­bock, Sie müs­sen wie Tau­sen­de an­de­re Hoch­schul­leh­re­rIn­nen un­ter­rich­ten, haben aber kei­nen An­spruch auf Be­zah­lung. Wie ist das mög­lich?

Theda Reh­bock: Ich war Pri­vat­do­zen­tin und bin au­ßer­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­so­rin. Ich habe also die Lehr­be­fug­nis, aber keine Pro­fes­so­ren­stel­le. Um die Lehr­be­fug­nis nicht zu ver­lie­ren, also re­gel­mä­ßig leh­ren zu kön­nen, muss ich auch leh­ren, und zwar wö­chent­lich zwei Stun­den im Se­mes­ter. Diese Lehr­ver­pflich­tung be­steht ohne An­spruch auf Ver­gü­tung. Das ist die so­ge­nann­te Ti­tel­leh­re. Ein­zi­ger Lohn ist die Auf­recht­er­hal­tung des Sta­tus und des Ti­tels als Pri­vat­do­zent.

Steht das so im Ge­setz?

Das ist von Bun­des­land zu Bun­des­land und von Uni zu Uni un­ter­schied­lich. In Bay­ern etwa steht das so im Hoch­schul­ge­setz. In Sach­sen nicht. Seit Kur­zem gibt es an der TU Dres­den eine Ord­nung zur Ver­lei­hung des Ti­tels „Pri­vat­do­zent“, in der steht: Wer nicht zwei Stun­den in der Woche lehrt, ver­liert den Titel. Damit ver­liert er den Sta­tus als Hoch­schul­leh­rer und die Aus­sicht, je auf eine haupt­amt­li­che Pro­fes­sur be­ru­fen zu wer­den. Ich als au­ßer­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­so­rin muss­te eine gleich lau­ten­de Ver­ein­ba­rung un­ter­zeich­nen: ohne An­spruch auf Ver­gü­tung – was na­tür­lich nicht heißt, dass eine Ver­gü­tung nicht mög­lich wäre.

Und warum zah­len die Unis nicht?

Die Uni gibt nicht mehr aus, als sie muss. Sie kann damit rech­nen, dass diese Lehre ohne Be­zah­lung statt­fin­det, und pro­fi­tiert davon. Warum soll­te sie Geld ver­pul­vern?

Wie viele Stun­den haben Sie schon um­sonst un­ter­rich­tet?

Ich habe die Ti­tel­leh­re glück­li­cher­wei­se oft ver­mei­den kön­nen, indem ich an einer an­de­ren Uni Lehr­auf­trä­ge oder be­fris­te­te Stel­len an­ge­nom­men habe. In die­sen Fäl­len kann man von der Ti­tel­leh­re ent­bun­den wer­den. Die Uni muss dem aber nicht zu­stim­men. Ich bin auf die Gnade des De­kans an­ge­wie­sen. Den­noch: Ich habe be­stimmt fünf Se­mes­ter Kurse an­ge­bo­ten, ohne dafür Geld zu be­kom­men. Wenn man das hoch­rech­net, sind das al­lein 150 Stun­den, die ich vor Stu­den­ten ge­stan­den habe. Da sind ja Vor­be­rei­tung, Sprech­stun­den oder das Kor­ri­gie­ren nicht mit ge­rech­net. Unter den Be­din­gun­gen der neuen Stu­di­en­gän­ge im Ba­che­lor und Mas­ter sind Prü­fungs­leis­tun­gen heute fes­ter Be­stand­teil von Lehr­ver­an­stal­tun­gen, auch dafür gibt es kei­ner­lei Ver­gü­tung.

Im Interview: Theda Rehbock

59, ist seit drei Jahren außerplanmäßige Professorin am Institut für Philosophie der Technischen Universität Dresden. Zuvor hat sie verschiedene Vertretungsstellen innegehabt, unter anderem in Marburg und Wien.

Haben Sie nie mit Ihrer Uni ver­han­delt?

In einem Fall habe ich einen Kurs in Me­di­zi­nethik ge­ge­ben, der stark nach­ge­fragt wurde. Dort konn­te man ihn als be­zahl­ten Lehr­auf­trag ab­rech­nen. So eine Fi­nan­zie­rung zu fin­den ist aber sehr müh­sam. Das Wohl­wol­len der In­sti­tu­te ist da be­grenzt, genau wie der fi­nan­zi­el­le Spiel­raum. Manch­mal be­kom­men Sie noch nicht mal ein ei­ge­nes Büro. Ich habe schon im Se­mi­nar­raum Sprech­stun­den ab­ge­hal­ten. Und als Pri­vat­do­zent muss man alles selbst ma­chen. Ein or­dent­li­cher Pro­fes­sor hat eine Se­kre­tä­rin, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter und stu­den­ti­sche Hilfs­kräf­te. Pri­vat­do­zen­ten be­kom­men bes­ten­falls eine Ko­pier­kar­te.

Was sagen denn haupt­amt­li­che Kol­le­gen oder die Ver­tre­ter der Uni­ver­si­tät, wenn Sie sie auf diese Un­ge­rech­tig­keit an­spre­chen?

Das wird oft nicht als un­ge­recht ge­se­hen, das ist immer so ge­we­sen. Das heißt: immer so seit 1970. Davor gab es das Hö­rer­geld, das Pri­vat­do­zen­ten seit dem 19. Jahr­hun­dert er­hal­ten haben. Das Sys­tem wurde aber ab­ge­schafft. Der immer schon als arm und mit­tel­los be­kann­te Pri­vat­do­zent ist seit­dem noch ärmer und mit­tel­lo­ser. Man geht ein­fach davon aus, dass er In­ter­es­se daran hat, re­gel­mä­ßig leh­ren zu kön­nen, um seine Kar­rie­re­chan­cen zu er­hal­ten.

In Re­gens­burg wurde ein Pri­vat­do­zent als „Trink­geld­pro­fes­sor“ be­kannt, weil er in einem Café ar­bei­ten muss. Kön­nen Sie von Ihrer Lehre leben?

Gott sei Dank ja, zwar nicht immer, aber weit­ge­hend. Ich habe re­gel­mä­ßig an an­de­ren Orten be­fris­te­te Pro­fes­sur­ver­tre­tun­gen, Gast­pro­fes­su­ren oder be­zahl­te Lehr­auf­trä­ge er­hal­ten. Dar­aus ent­steht aber ein an­de­res Di­lem­ma. Be­wirbt man sich um sol­che Stel­len und ist mehr an an­de­ren Unis tätig, hat man Schwie­rig­kei­ten, an sei­ner ei­ge­nen zum au­ßer­plan­mä­ßi­gen Pro­fes­sor er­nannt zu wer­den. Man ist ja nie da, das wird nicht gern ge­se­hen, ob­wohl man sich auf die­sen be­zahl­ten Stel­len in hö­he­rem Maße für die au­ßer­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­sur qua­li­fi­ziert. Ich möch­te mich aber nicht zum Null­ta­rif aus­beu­ten las­sen, son­dern qua­li­fi­zier­te Lehre mit hohem Ein­satz an­bie­ten kön­nen.

Ihr Re­gens­bur­ger Kol­le­ge hat bei der Ti­tel­leh­re von staat­li­cher Er­pres­sung ge­spro­chen. Schlie­ßen Sie sich dem Ur­teil an?

Auf jeden Fall. Wer nicht lehrt, ver­liert die Mög­lich­keit, sich auf Stel­len zu be­wer­ben. Das ist eine Nö­ti­gung zur un­ent­gelt­li­chen Be­rufs­aus­übung.

Ver­mis­sen Sie die So­li­da­ri­tät der Kol­le­gIn­nen, die das schon hin­ter sich haben?

Das eine ist die rhe­to­risch be­kun­de­te So­li­da­ri­tät. Da gibt es viele, die die ak­tu­el­le Si­tua­ti­on wort­reich als skan­da­lös be­schrei­ben. Das an­de­re ist dann der Um­gang mit­ein­an­der in den In­sti­tu­ten. Man­che Pro­fes­so­ren be­geg­nen einem auf Au­gen­hö­he. An­de­re las­sen einen schon spü­ren, dass sie höher ste­hen. Noch was an­de­res ist, ob sich je­mand dann noch für die­ses An­lie­gen aktiv en­ga­giert. Da wird der Per­so­nen­kreis immer klei­ner. Viel­fach hört man: Man muss sich halt an­stren­gen, dann kriegt man eine Pro­fes­sur.

Es gibt doch Tau­sen­de Pri­vat­do­zen­ten und au­ßer­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­so­rIn­nen. Warum or­ga­ni­sie­ren sie sich nicht?

Es gibt bis­her nur die seit Jahr­zehn­ten ak­ti­ve In­itia­ti­ve Ber­li­ner Pri­vat­do­zen­ten. Die Deut­sche Ge­sell­schaft für Phi­lo­so­phie hat aber jetzt eine wich­ti­ge In­itia­ti­ve er­grif­fen und ein Ver­net­zungs­tref­fen or­ga­ni­siert, an dem ich teil­ge­nom­men habe. Da waren auch Ver­tre­ter vom Deut­schen Hoch­schul­ver­band und von der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft, die uns in recht­li­chen und an­de­ren Fra­gen be­ra­ten und eben­falls be­gin­nen, aktiv zu wer­den. Der­zeit ar­bei­ten wir eine Reihe von For­de­run­gen aus.

Las­sen Sie mich raten: Ab­schaf­fung der Ti­tel­leh­re …

Nein, nicht un­be­dingt. Aber in der jet­zi­gen Form ohne Ver­gü­tung und fast ohne Rech­te: ja! So­lan­ge es die Ha­bi­li­ta­ti­on gibt, gibt es auch Pri­vat­do­zen­ten und au­ßer­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­so­ren, deren Si­tua­ti­on man nicht igno­rie­ren kann. An­de­re Kon­zep­te wie die Ju­ni­or­pro­fes­sur haben sich in Deutsch­land bis­her nicht durch­ge­setzt.

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3 Kommentare

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  • Schlimm. Bis zum Privatdozententum hat man ja eh schon Hunderte unbezahlte Überstunden gemacht, beim Promovieren und beim Habilitieren. Nur für die wenigsten, die es auf C- und W-Professuren schaffen, zahlt sich das dann vielleicht mal aus.

     

    Man sollte sich in Deutschland den Weg in die Uni als Arbeitsplatz sehr gut überlegen.

  • Greift hier nicht zumindest der Mindestlohn?

    • @insLot:

      Nein.

       

      Daher Augen auf bei der Berufswahl!