piwik no script img

Raubüberfälle während „Pokémon Go“Die Realität ballert zurück

Ein Pokémon-Spiel per App lässt die kleinen virtuellen Tierchen in der Umgebung auftauchen. Das lockt Gauner an – und die sind real.

Immer dem Glumanda nach, aber aufpassen, dass nicht am Ende jemand das Handy zockt Foto: dpa

„Gotta catch 'em all!“ hieß es Ende der 90er, als Pokémon hierzulande riesig wurde. Zeichentrickserie, Gameboy-, N64- und sogar als Kartenspiel. Wer etwas auf sich und etwas weniger auf soziale Kontakte hielt, wurde „Pokétrainer“. Die Polizei in den USA hat nun vier junge Männer festgenommen, die Spieler eines neuen Pokémon Spiels beraubt haben.

Pokémon sind kleine bunte Fantasie-Tiere, die in freier Natur gefangen und in faustgroßen Bällen aufbewahrt werden. Sie existieren, um gegen andere Pokémon zu kämpfen, als Sport. A Fistful of Cockfighting sozusagen.

Durch die Verknüpfung der Spiele auf verschiedenen Konsolen nahmen die kleinen süßen bis mächtigen Viecher einen immer größeren Teil der Freizeit der Kinder ein. So konnte man im Gameboy-Spiel Pokémon fangen und trainieren und dann auf dem N64 im „Pokémon Stadium“ gegen die anderer Spieler antreten lassen.

Heute nun ist die Technik endlich so weit, dass Nintendo, der Konzern hinter dem Ganzen, einen weiteren Schritt vom Virtuellen in die Realität machen kann. „Augmented Reality“ heißt das Konzept: Die Wahrnehmung der Realität wird mithilfe von Technik virtuell aufgehübscht.

Das Spiel heißt „Pokémon Go“ und ist eine App für Android- und IOS-Betriebssysteme. Konkret heißt das, dass Spielern angezeigt wird, wo sich Pokémons in ihrer Umgebung aufhalten, wenn sie sich diese durch die Handykamera angucken.

Seitdem das Spiel letzten Mittwoch in den USA, Australien und Neuseeland veröffentlicht wurde, haben es bereits 2.000.000 Spieler heruntergeladen.

Funktioniert auch per Smartwatch

Das Konzept ist schnell erklärt, man kennt es auch bereits aus ähnlichen Spielen, zum Beispiel Ingress. Das erste was Spieler nach dem Herunterladen der App tun, ist ihren eigenen Avatar zu erstellen. Danach können sie das Spiel öffnen. Die Spieler können darüber hinaus sehen, wie ihre Avatare sich auf der Karte bewegen, die mit Google-Maps verbunden ist und über GPS die reale Position in der virtuellen Welt zeigt. Auf der Karte sehen sie, wo sich Pokémons aufhalten, die sie fangen können. Das geht, indem sie einen „PokéBall“ auf sie werfen, der dann auch später ihr Zuhause werden soll.

Die Spielmechanik erinnert ein wenig an „Angry Birds“, nur dass es eben Bälle und keine Vögel sind, die man schleudert. Auf der GPS-Karte können die Spieler auch sehen, wo sie hingehen müssen, um in der realen Welt gegen die Pokémons anderer Leute zu kämpfen. Die Spieler sind dabei nicht in der Lage, jegliche Fortschritte zu erzielen, wenn sie sich nicht wirklich bewegen. Außerdem müssen sie an bestimmten Orten, die bereits auf der Karte markiert wurden, mit anderen Spielern kommunizieren.

Außerdem hat Nintendo auch eine Smartwatch veröffentlicht, mit der man „Pokémon Go“ spielen kann. Sie leuchtet und summt, wenn man sich einem Pokémon nähert. So ist man nicht die ganze Zeit gezwungen, sein Handy in der Hand zu halten. „Techinsider“ zufolge soll das nächste Feature des Spiels darin bestehen, dass man seine Pokémon auch mit anderen Spielern, Freunden und Fremden, tauschen kann, was dazu führen soll, dass Spieler noch mehr miteinander interagieren – virtuell wie real.

Wasserleichen und Schusswaffen

Pokémon hat eine riesige Fanbase. Immerhin kann man davon ausgehen, dass die meisten Menschen, die 1999 zwischen 5 und 15 Jahre alt waren, Pokémon kennen. Der Wunsch, den man sich damals wohl kaum einzugestehen traute, kann damit heute in Erfüllung gehen: Selbst Pokémon jagen und fangen zu gehen, auf offener Straße die eigenen Pokémon mit denen von anderen Menschen kämpfen zu lassen. Die Vorstellung, im Park plötzlich ein Pikachu treffen zu können, wird also sicherlich vielen ein Anreiz sein, das Handy in die Hand zu nehmen und auf Pokémon-Streifzug zu gehen.

Dass dabei nicht nur erfreuliche Dinge geschehen, zeigt ein Fall vom Freitag. Ein Spieler wurde durch das Spiel zu einer Wasserleiche gelockt. Das störte ihn allerdings nicht wirklich, hatte er doch kurz die Hoffnung genießen können, ein Wasserpokémon zu fangen.

Ein Spieler wurde durch das Spiel zu einer Wasserleiche gelockt.

In den USA haben sich vier junge Männer nun ein Mittel überlegt, wie sie die Liebe dieser Pokémon-Fans, das blinde Vertrauen in das Gute der bunten Pokémon-Welt für ihre Zwecke nutzen können. Und wie sie dabei die Virtualisierung der Realität in die kalte, rohe Realität zurückholen können.

Sie haben „Pokémon Go“-Spieler an abgelegenen Orten aufgelauert und mit vorgehaltener Waffe überfallen. Was genau sie erbeutet haben, hat die Polizei nicht bekanntgeben wollen. Man kann aber davon ausgehen, dass Handys, auf denen man „Pokémon Go“ spielen kann, nicht billig sind.

Zwei Millionen potenzielle Opfer

Zwei Millionen Spieler, das bedeutet zwei Millionen potenzieller Opfer. Der Wert von Nintendo-Aktien wächst dabei seit Mittwoch kontinuierlich, die Spieler werden immer mehr, sodass nun bereits eine geplante Expansion in weitere Betriebssysteme verschoben wurde, um die eigenen Kapazitäten nicht zu sprengen.

Die Polizei legt den Spielern und deren Eltern trotzdem nah, ihre Umwelt im Auge zu behalten, während sie sich in der Pokémon-Version der Realität bewegen. Immerhin kann man das Spiel auch in Gegenden spielen, die vom IS kontrolliert werden. Und auch die rein virtuelle Welt der Pokémon ist nicht ganz sicher. Eine Version des Spiels wurde bereits gehackt und verbreitet nun Viren.

Die Räuber, Betrüger und Schädlinge lauern überall, um den angehenden Pokétrainern das Leben schwer zu machen. Schade, dass die ihre blitzeschleudernden Pikachus nicht gegen bewaffnete Räuber oder Schadsoftware einsetzen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 8G
    87905 (Profil gelöscht)

    Eine Expansion in weitere Betriebssysteme? Soso interessant.

    „Journalismus Online“