portrait: Erst Freund, dann Todfeind
Der Mann ist 75 Jahre alt, hat Herzprobleme und Diabetes und verlässt so gut wie nie sein Haus – außer zu Besuchen im nächstgelegenen Krankenhaus. Er lebt rund 150 Kilometer von New York entfernt auf einem Anwesen nahe der Kleinstadt Saylorsburg in Pennsylvania. Seit 1999 ist Fethullah Gülen Oberhaupt der nach ihm benannten islamischen Gülen-Sekte in den USA. Damals setzte er sich ab, weil das Militär ihn wegen umstürzlerischer Pläne beschuldigte – knapp vier Jahre bevor die AKP Recep Tayyip Erdoğans an die Regierung kam.
Dennoch ist der ältere Herr nicht von aller Welt abgeschnitten. Er dirigiert aus seinem Exil eine weltweite Bewegung, die Tausende Schulen, Universitäten, Banken, Medienhäuser und Industrieholdings kontrolliert und eine Anhängerschar aufweist, über deren Zahl man allerdings nichts weiß.
Seine Karriere begann Gülen als kleiner Prediger im konservativen Nordosten der Türkei, in Erzerum. In der Küstenmetropole Izmir wurde er dann als Theologe bekannt, der sich in der Tradition alter islamischer Orden des Osmanischen Reichs sah. Daneben hatte Gülen ein durchaus modernes Programm. Schon früh verkündete er, Bildung sei der Schlüssel zum Erfolg. Er richtete Privatschulen ein, an denen für die Aufnahme an Universitäten gebüffelt wurde. Gleichzeitig bekamen Schüler Einführungen in die Gedankenwelt des „Scheichs“.
Gülen wollte, da hat Erdoğan ganz recht, dass seine Anhänger gute Abschlüsse machen, um im Staatsdienst Schlüsselpositionen zu besetzen. Als die kritischen Journalisten Ahmet Şık und Nedim Şener 2011 das Buch „Die Armee des Imam“ planten, in dem sie ihre Recherchen über die Unterwanderung von Polizei und Justiz durch die GülenLeute vorlegen wollten, wurden sie verhaftet.
Da waren Erdoğan und Gülen noch Partner. Vor allem Gülens Leute in der Justiz hatten Erdoğan 2007/2008 bei seiner ersten Säuberungsaktion gegen die Armee geholfen, indem sie Generäle mit fiktiven Beweisen vor Sondergerichten anklagten.
Der Bruch kam 2013, als die Gülen-Bewegung Erdoğan zu mächtig wurde und diese im Gegenzug Korruptionsvorwürfe gegen Erdoğans Familie und Weggefährten öffentlich machte. Seitdem sind die beiden Todfeinde. Dass Gülen genügend Anhänger in der Armee für den Putschversuch platzieren konnte, wird von den meisten Kennern aber stark bezweifelt. Jürgen Gottschlich
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