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Die Vision von einem öffentlichen Raum

Diskurs Ein ehemaliger Grenzstreifen, von Anwohnern eigenmächtig begrünt, von der Immobilien-wirtschaft begehrt: Die erste Ausgabe der „Berliner Hefte zur Geschichte und Gegenwart der Stadt“ widmet sich der „Mauerpark-Affäre“

Der Mauerpark: in einer Guerilla-Aktion besetzter Grenzstreifen, mit traditionell beliebter Blickrichtung. Nach Westen Foto: Stephanie Kloss

von Sophie Jung

Eine plane Freifläche mit losen Birken, eine kopfsteingepflasterte Achse, ein paar Büsche – der Berliner Mauerpark ist seltsam. So wenig Parkanlage. So wendezeitlich unentschieden. Das hat einen Grund, denn um dieses bereits kultige Brachland entlang des ehemaligen Grenzstreifens, auf dessen großen Schaukeln man hedonistisch zwischen Ex-Ost und Ex-West schunkeln kann, wurde bis vor

Kurzem noch debattiert. Sein Status war lange unklar.

Der Mauerpark ist das Resultat einer Guerilla-Aktion. Von beiden Seiten der Stadt kamen die Bewohner nach dem Fall der Mauer und begrünten eigenmächtig den ehemaligen Grenzstreifen. Von Gesundbrunnen bis zum Nordbahnhof wollten sie ein grünes Band durch die Stadt ziehen.

Thomas Flierl, von 2002 bis 2006 Kultur- und Wissenschaftssenator, sagt dazu: „Diese öffentliche Aneignung des Niemandslands erschien als der beste Weg, die Teilung der Stadt zu überwinden … Die demokratische Idee des Mauerparks beruht auf einem Ausgleich zwischen einer radikalen Individualität und einem dafür neu zu konstituierenden öffentlichen Raum.“

Dieses schöne Zitat von Flierl findet sich in einer Publikation mit dem Titel „Die Mauerpark-Affäre“, neben historischen Aufnahmen von Baumpflanzaktionen und gestürmten Wachtürmen. Sie ist die erste einer geplanten Reihe, genannt „Berliner Hefte zur Geschichte und Gegenwart der Stadt“, initiiert von sieben Berliner Künstlern und Publizisten. Ihre Programmatik ist klar: Die Hefte sollen kein nostalgisches Bilderbuch sein, sondern Aktion.

Die Herausgeber wollen damit in stadtpolitische Debatten eingreifen und kritisch intervenieren. Ganz in Schwarzweiß gehalten, mit dicht gesetztem Schriftsatz und Infografiken, fügt sich die erste Ausgabe ästhetisch in eine Tradition linker Aufklärungsschriften ein. Auch hinter dem Mauerpark verbirgt sich eine politische Affäre. Die beiden Autoren beziehungsweise Redakteure der ersten Ausgabe, Heimo Lattner und Judith Laub, sehen in der sogar „die Grenzen der repräsentativen Demokratie“ erreicht.

Wie es so weit kommen konnte, ist schwer zu entwirren. Das bürokratische Chaos der Nachwendezeit, die überhitzten Hauptstadtbestrebungen des Senats und die starke Triebkraft der Immobilienwirtschaft vermengten sich über die Jahre zu einem Gemisch, das den Plan der Guerilleros von einem Kilometer langen Grüngürtel zu ein paar Hektar wilden Park gestutzt hat.

Lattner und Laub listen in einer Chronologie die Schicksalsdaten des Mauerparks auf: Da steht der 1. April 1990, an dem Teilnehmer einer Demo das Niemandsland eigenhändig bepflanzen. Und der schizophrene Juni 1993, in dem der Bezirk Prenzlauer Berg einerseits sieben der besetzten Hektar zu offiziellem Parkgebiet umwandelt und andererseits den Bau der kritisierten Max-Schmeling-Halle, heute ein Relikt der gescheiterten Bewerbung Berlins für Olympia 2000, zulässt. Auch Helmut Kohls „Mauergrundstücksgesetz“ von 1996 wird wachgerufen. Nur vordergründig sicherte es anspruchsberechtigten Ostberlinern den Erwerb von Flächen entlang der Bernauer Straße zu, begünstigte aber die spekulative Bebauung des Terrains.

Insbesondere um einen Grundstücksinhaber gruppieren sich die Daten der Chronologie: die Vivico Real Estate GmbH. Als Tochterfirma der Bahn lag ein großes Gleisgelände in ihrem Besitz. Ein ganzes Geflecht an wandernden Grundstücksbesitzern und politischen Entscheidungsträgern wickelt sich um die Vivico, überwuchert von Protesten der Bürger und „Schreiduellen“ bei Bezirksverhandlungen.

Grob gefasst: Die Eigentümer wollen teures Bauland, keine unlukrativen Grünflächen, den zuständigen Bezirken Mitte und Pankow fehlt Geld, und sie greifen in den zwanzig Jahre andauernden Verhandlungen immer wieder auf den Deal „Bewilligung Bauland gegen Übereignung Parkgebiet“ zurück.

Die vertraglichen Verbindlichkeiten wachsen, die Wohnungsnot schwelt, der Druck wächst. Am 8. Oktober 2015 greift letztlich der Senat ein und beschließt einen Bebauungsplan zugunsten des Projektentwicklers Grothe: Der Norden des Geländes wird mit 490 Wohnungen bebaut, im Süden erhält der Park ein Stück dazu. Im Heft ist das Protokoll dieser Schicksalssitzung abgedruckt.

Dieser Tag wird das Gesicht des Parks bestimmen. Die einstigen radikalen Visionen für das Terrain werden bald von Architektur überbaut sein. Dass es aber einmal alternative Erzählungen um den Mauerpark gegeben hat, das dokumentiert dieses Heft.

Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #1: „Die Mauerpark-Affäre“. 96 Seiten, 27 Abbildungen
, 7 Euro. Erhältlich über www.books­peopleplaces.com und bei der Präsentation des Heftes am 18. Juli, 19 Uhr, im Books People Places, Kulmer Str. 20a

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