taz-Serie (3): Indiens umkämpfte Moderne: Der Atemschützer
Wenn in Delhi im Sommer die Sonne scheint, ist es mit dem Smog besonders schlimm. Ein ehemaliger Nationalschwimmer kämpft dagegen an.
Aber Delhi ist keine normale Stadt. Und je heller der Tag ist, desto mehr sorgen sich Menschen wie Jai Dhar Gupta, die sich nicht täuschen lassen. „Im Sommer ist es am schlimmsten“, sagt er. Jetzt treffen besonders viele UV-Strahlen der Sonne auf die Kohlenwasserstoffe aus den Dieselmotoren der Lkws, den Müllverbrennungsanlagen, Fabrikschloten, Kohlekraftwerken und den Millionen kleinen Feuern, auf denen die Menschen in den Slums Reis und Linsen kochen. Bodenozon entsteht, Sommersmog genannt. „Unsichtbar, aber besonders gefährlich“, sagt Gupta.
Er ist ein großer Mann, 44 Jahre alt, im rosafarbenen Hemd, seine Firma liegt in einem Industriegebiet, tief im Süden Delhis. Es hat nicht mal Fenster, aber so hat die leise surrende Alukiste unter seinem Schreibtisch bessere Chancen, die Feinstaubpartikel einzufangen, bevor Gupta sie durch die Nase einzieht. „Sie gehen nur in den Körper rein, nie wieder raus,“ sagt er. Selbst Innenräume seien gefährlich. Kein Wind, der die Schadstoffe wegträgt.
Weltrekord in Delhi
25 Mikrogramm Feinstaubpartikel pro Kubikmeter Luft hält die Weltgesundheitsorganisation für gefährlich. In Delhi übersteigen die Werte an schlechten Tagen 700, Weltrekord, fast doppelt so hoch wie Peking. Schon jetzt fällt jedes zweite Kind in der Stadt beim Lungenfunktionstest durch. Forscher der University of Chicago glauben, dass Indiens Luft die Hälfte seiner Bevölkerung, also rund 660 Millionen Menschen, bereits jetzt mehr als drei Jahre ihres Lebens kostet.
Die langfristigen Folgen sind unerforscht. Die Verbrennung von Kohle und minderwertigem Diesel ist die Grundlage von Indiens Boom; der Aufstieg des Landes erkauft mit Umweltschäden in einer nicht ermessbaren Dimension. Kaum ein Ort ist davon so betroffen wie die Hauptstadt, und Gupta ist einer der Wenigen, der eine Idee hat, wie die wohl gut 17 Millionen Einwohner Delhis damit umgehen sollen.
Er importiert als Einziger Masken nach Indien, die die besonders gefährlichen Mikropartikel aus der Atemluft filtern. Eine kalifornische Firma hat die Technologie dafür entwickelt. Sie lässt die Masken in Korea nähen, die jetzt kistenweise in einem großen Raum neben Guptas Büro liegen, im Psychedelic-Muster, mit Außerirdischenfiguren oder Schottenkaro. Sie haben schwarze Gummizüge, um sie hinter den Ohren festzuschnallen, sehen aus wie Slips und erschweren das Atmen, aber ihre Membran soll 99,97 Prozent der tödlichen Staubteilchen mindestens sechs Monate lang aufhalten können.
Guru Prasad Singh, Verkäufer
Für Rikschafahrer zu teuer
An diesem Vormittag sitzen eine Handvoll Mitarbeiter hinter Bildschirmen, Anfang 2015 hat Gupta sein Importgeschäft aufgezogen. Zum Sortiment gehört auch ein kleines Messgerät, es sieht aus wie ein freundlicher, ICE-farbener Wecker, verströmt aber Beklemmung wie ein Geigerzähler. Das Display zeigt jetzt 71, das Dreifache des WHO-Grenzwerts. „Bei euch wäre das echt schlecht, aber hier gehen die Leute jetzt joggen“, sagt Gupta. Es sei der tägliche Mittagsknick: Die aufgeheizte Luft steigt auf und trägt die Partikel fort. „Dann kriegt sie woanders jemand ab.“ Er führt die Masken vor. „Wir wollen, dass alle Leute welche aufsetzen.“ Vor allem diejenigen, die ständig auf der Straße sind: Rikschafahrer, Händler, Verkehrspolizisten. „Die tragen Wegwerfmasken, nach ein paar Tagen sind die zu nichts mehr zu gebrauchen.“
Der Soziologe Ulrich Beck ist in den 80er Jahren berühmt geworden, als er behauptete, dass die Risiken der modernen Industriegesellschaft so fundamental sind, dass sie alle gleichermaßen treffen. „Smog ist demokratisch“, schrieb Beck. Guptas billigste Atemschutzmaske kostet umgerechnet 30 Euro, der kleine Luftverschmutzungsmesser 118 Euro, den Luftfilter verkauft er für 1.300 Euro. Für vier von fünf Indern unerschwinglich. Ab September will Gupta in einer eigenen Fabrik in Indien die Masken in Lizenz herstellen lassen. „Dann wird es billiger“, sagt er. Aber für Rikschafahrer wohl nicht billig genug.
Wenn Gupta erzählt, wie er zu dem kam, was er jetzt tut, dann klingt es wie eine der Gründungsgeschichten, mit denen Start-ups ihr Image aufpinseln. Er war einst Nationalschwimmer, als er älter wurde, stieg er um auf Marathonlauf. Im Oktober 2013 haute es ihn nach dem Training um. Er bekam keine Luft mehr, Flüssigkeit lief ihm aus Ohren und Nase, er lief eine Woche nicht mehr, zwei Wochen, aber in der Nacht kroch ihm die Nasenflüssigkeit in die Lunge. Er konnte nicht schlafen, seine Augen tränten. „Die Leute dachten, ich weine.“
Die Ärzte glaubten, Gupta leide an einer Allergie. Erst nach einem Jahr traf er eine Angestellte der US-Botschaft. Die US-Regierung hatte Delhi gerade wegen der stark steigenden Luftverschmutzung als besonders gefährlich klassifiziert und den Botschaftsangestellten Atemschutzmasken gegeben. Die Frau trug so eine und berichtete Gupta von Bodenozon und Mikropartikeln. „Ich hatte noch nie davon gehört.“ Er bestellte die Maske in Kalifornien. Danach konnte er wieder schlafen und mit Maske wieder laufen.
Talkshow-Tour im Winter
Die Staubteilchen, die in den kalten Monaten die Luft von Indiens Hauptstadt Delhi vergilben, sind vergleichsweise harmlos. Sie sind groß genug, um eingefangen zu werden von den Härchen in den Atemwegen. Aber sie sind auch groß genug, um sich zu verklumpen, bis das menschliche Auge sie sieht. Deshalb war der letzte Winter die Zeit, in der Gupta durch Talkshows tingeln konnte; die Zeit, als noch Journalisten zu den Kundgebungen seiner Kampagne für saubere Luft kamen und der Innenminister ihn als Berater in seine neue „Task Force Saubere Luft“ aufnahm.
Aber jetzt ist Sommer und der Smog nicht sichtbar. Die Regierung hat seit Januar zweimal für je zehn Tage angeordnet, dass Autofahrer ihre Pkws nur jeden zweiten Tag benutzen dürfen. Reiner Aktionismus, findet Gupta. „Das bringt nur ein bis zwei Prozent.“ Ihm schwebt vor, mit den Diesel- und Autosteuern sauberen Brennstoff an die Armen zu verteilen, die Müllverbrennung zu verbieten und die Industrie zum Einbau wirksamer Filter zu verdonnern. Aber die Task Force tut nichts, und der Twitter-Account seiner Kampagne hat nur 76 Follower.
Schon bald wird Indien der bevölkerungsreichste Staat der Erde sein. Doch Wachstum und soziale Entwicklung klaffen auseinander; der Megastaat leidet unter enormen Widersprüchen: Nirgendwo entkommen mehr Menschen der Armut, nirgendwo leiden mehr Menschen an Hunger. Der Wirtschaftsboom ist mit gigantischen Umweltschäden erkauft. In einer vierteiligen Serie blicken wir auf Indiens schwierigen Weg in die Zukunft. Hier geht es zu Teil 1: „Der Fabrikant“ und Teil 2: „Der Missionar“.
Das Tor von Indien östlich des Regierungsviertels ist das Wahrzeichen Delhis. In der Nähe liegt das noble Geschäftsviertel Khan Market. In den Cafés gibt es WLAN und Blaubeermuffins für umgerechnet 4,50 Euro, aber die Ausländer, die hierherkommen, sind solche Preise von zu Hause gewöhnt, und die Inder, die samstags hier bummeln, freuen sich, ihr Geld unter Ihresgleichen auszugeben.
Der Laden ist leer
In einer kleinen Quergasse liegt ein Laden, in den kein Auto passen würde, aber der Platz reicht für einen von Guptas Luftfiltern. Auf einem Sims steht einer der Feinstaubmesser, und jetzt, um 10 Uhr früh, zeigt er „93“ an. Am Morgen ist Guru Prasad Singh hergefahren, er hat das kleine Tor aufgeschlossen, das Licht eingeschaltet und den Staub von den glänzenden schwarzen Plastikköpfen mit den Atemschutzmasken in den Regalen gewischt. Er ist der Verkäufer in Guptas bislang einzigem Geschäft.
Singh ist Anfang 30, er trägt eine Apple-Uhr, ein schwarzes Polohemd und eine Brosche um den Hals, die den Hindu-Gott Vishnu zeigt. Bis vor Kurzem hat er bei der Computerfirma Dell gearbeitet, in einem unbelüfteten Raum voller Rechner und Drucker. Dann wurde Singhs Sohn geboren, und er fragte sich, wie viele Jahre ihm mit ihm bleiben würden, wenn sich sein Leben nur an Orten mit vergifteter Luft abspielt. Als er Gupta in einer Talkshow sah, bestellte er Masken für sich, seine Frau und seine Eltern. Und fragte Gupta nach einem Job.
„Das Problem ist das Bewusstsein“, sagt er. „Die Gebildeten wissen, was los ist, aber die Menschen hier sind sehr passiv, sie verdrängen.“ Singh heuerte bei Gupta als Vertreter an, er stellte die Masken beim Chef der Verkehrspolizei vor, in Fitnessstudios und in den Gängen von Einkaufszentren. „Die Leute sagen ja, ja, aber dann kaufen sie doch keine.“ Die Kunden sind Ausländer: Diplomaten, NGO-Mitarbeiter, entsandte Arbeiter.
Ab und an schlendern Menschen vorbei, sie nehmen das Ei mit dem Smogwert in die Hand und drehen die Preisschilder an den Masken um. Manche setzen sich zum Spaß die Variante aus Leder auf, die für Motorradfahrer gedacht ist, aber wie aus dem Fetischladen aussieht. Bis 14.30 Uhr hat Singh eine Maske verkauft. Das Display auf dem Smogmesser zeigt 150 an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln