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EMtaz: Die Absurdität des EM-ModusLasst doch das Los entscheiden!

Kommentar von Ronny Müller

Bei der Europameisterschaft scheidet die Türkei vorm Fernseher aus. Schuld ist der unfaire Modus – und Italien. Höchste Zeit für neue Kriterien.

Macht eine gute Figur am Losbecken: Michel Platini Foto: Imago / Michi Ishijima

D er Euphorie folgte der Kater. Noch am Dienstagabend feierten tausende Türken auf den Straßen deutscher Großstädte den 2:0-Sieg ihrer Mannschhaft gegen Tschechien, als wäre das Team gerade Europameister geworden: Böllerknallen durchzuckte die Nacht, mit Fahnen geschmückte Autos fuhren hupend durch Berlin-Neukölln und anderswo. Ein Erreichen des Achtelfinals war schon zu diesem Zeitpunkt unsicher. Ausgeschieden ist die Türkei jedoch erst 24 Stunden später – vorm Fernseher.

Der Ire Robbie Brady traf fünf Minuten vor Schluss gegen Italien, brachte eine ganze Insel in Ekstase – und schoss die Türken ins Aus. Die können nun gleich auf zwei Dinge sauer sein: den komplizierten Turniermodus und die italienische Mannschaft.

Die war bereits vor dem letzten Gruppenspiel als Gruppensieger für die nächste Runde qualifiziert. Trainer Antonio Conte wechselte daraufhin munter durch. Aus der Elf, die gegen Schweden gewann, standen zu Spielbeginn gegen Irland nur Barzagli, Bonucci und Florenzi auf dem Rasen. Zwar hat sich die B-Elf ganz ordentlich geschlagen, dennoch wäre einfallslosen Iren ein Erfolg gegen Buffon, de Rossi und Co. wohl noch schwerer gefallen.

Noch ärgerlicher sind allerdings die Quervergleiche, die unter den Gruppendritten gezogen wurden. Schon die Idee, Mannschaften miteinander zu vergleichen, die nicht gegeneinander gespielt haben, ist bescheuert. Nach dieser Logik ist Paris St. Germain besser als der FC Barcelona und Real Madrid, weil es in ihrer Liga 96 Punkte geholt hat, Barcelona und Madrid nur 91 bzw. 90. Der Vergleich hinkt? Eben.

Inkonsequent ist auch die Wahl der Kriterien, die über Wohl und Wehe entscheiden. Innerhalb der Gruppen hat die Tordifferenz nur untergeordnete Bedeutung, wichtiger ist der direkte Vergleich – der Grund für Italiens vorzeitigen Gruppensieg. Unter den Gruppendritten schließlich sind die Tore entscheidend. Die Nordiren dürfen auch deswegen noch einmal ran, weil sie im Gegensatz zu Albanien und der Türkei ein ausgeglichenes Torverhältnis haben. Ihre unattraktive Mauertaktik wird damit noch belohnt. Danke, Uefa.

Verkleinern, vergrößern, Relegation?

Doch wie lässt sich das Dilemma lösen? Eine Verkleinerung der EM zurück auf 16 Mannschaften wäre angesichts gähnender Langeweile bei vielen Vorrundenspielen sinnvoll. Damit würde sich die Uefa allerdings eingestehen, dass die Erweiterung ein Fehler war, ein Unding.

Auch das andere Extrem wurde bereits gefordert: Eine EM mit 32 Mannschaften. Aber wer will das sehen – Viertelfinalspiele Montenegro gegen Finnland? Ist Nordirland gegen Wales nicht schon genug?

Die sportlich fairste Lösung wären Relegationsspiele unter den Gruppendritten um den Einzug ins Achtelfinale. Angesichts des engen Zeitplans einer EM und der ohnehin schon hohen Belastung für die Sportler ist das aber wenig praktikabel.

Nein, der Losentscheid muss her! Das hat zwar mit Sport nichts zu tun, bietet aber immerhin gleiche Voraussetzungen für alle.

Fehlt nur noch eine Losfee. Dafür kann es – auf Lebenszeit – nur einen geben: Michel Platini.

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14 Kommentare

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  • Nur mal eine Lösung aus dem Stegreif für das Problem:

     

    24 Teams sind 8 Gruppen mit 3 Teams. Davon kommen 2 ins Achtelfinale.

     

    Bedeutet für alle Teams ein Vorrundenspiel weniger und für die 16 Teams im Achtelfinale ein Finalspiel mehr als bei der EM 2012, als nur 16 Teams teilnehmen und die Finalrunde mit dem Viertelfinale startete.

    • @mister-ede:

      Weil bislang keiner geantwortet hat:

       

      Ungerade Anzahlen von Teams in Gruppen (also etwa hier: 3) funktionieren prinzipiell nicht im Hinblick auf das letzte Spiel bzw. einen Parallelmodus - Folge ist die "Schande von Gijon" und vergleichbare Anstiege von Taktikplänkeleien.

       

      Dasselbe Problem ergibt sich für ungünstige Gruppenzahlen (wie etwa derzeit, wenn keine binäre Reduktion ohne Rest stattfinden kann und deshalb irgendwelche - immer irgendwo obskuren - Drittplatzregeln angewendet werden müssen).

       

      Deshalb ist alles zwischen 16 und 32 immer ein prinzipielles Gewürge - oder im Falle von Relegationsspielen ein deutliches Mehr an Aufwand bzw. ein zuschauerungünstiges Anwachsen der Zahl von Parallelspielen (also z.B. 3 Parallelspiele anstatt der ohnehin schon ungünstigen 2).

  • Ich finde diesen Flaggennationalismus sowieso extrem unangenehm und bin aus meiner Wohnsituation glücklich, dass der Spuk vorbei ist.

  • Das Los soll die Antwort auf den Ärger von zwei ausgeschiedenen Nationen sein...das ist also sportjournalistischer Sachverstand? Absurder kann ein Kommentar nicht sein.

  • Ich wüßte nicht mehr zu sagen, warum ich über den Modus noch verärgert sein sollte.

     

    1. Gruppenphase ist in einem Turnier eh immer so 'ne Sache für sich. Gab immer schon die großen taktischen Schlauköpfe, wird's auch immer geben. Andererseits mit Kaltstart in eine KO-Phase scheint mir persönlich mindestens unfair gegenüber den Spielern eines Mannschaftssports - irgendwie müssen die sich ja nun mal im scharfen Modus einfinden in eine Mannschaft.

     

    2. Relegation der besten Dritten wäre eine sportliche Lösung bei 17 bis 31 Teilnehmern. Hab' ich nichts gegen, gibts eben noch mal Spiele zusätzlich, bei denen es "um etwas" geht. Ansonsten kann es auch eine Ausscheidesystem nach Punkten und sonstigen Kriterien sein. Mit Teams wie Türkei oder vglb. habe ich hierbei nicht das allergeringste Mitleid - es war ja in den drei Spielen nicht verboten zu gewinnen. Ham se nich, Pech für sie.

     

    3. Das Ergebnis der Gruppenphase ist höchst angenehm. Die ganzen schönen Pfade, bei denen sich die "Favoriten" möglichst lange "geplant" aus dem Weg gehen - alles aus Team-Blödheit Makulatur. Endlich. Prima. Alles gut.

  • Das einzige Problem ist die Höherbewertung des direkten Vergleiches. Dass hat schon bei der EM 2012 einiges durcheinander gewirbelt. Einerseits ist es gut, andererseits kann eine Mannschaft ein Spiel dadurch ruhig mal wegschenken und sich auf das Nächste Konzentrieren. Im Vergleich der 3. sind natürlich die Mannschaften im Vorteil, die drei mal unentschieden gespielt haben und nicht die mit dem einen Sieg. Wenn das Torverhältnis aber wie bei der WM als erstes über den Platz entscheiden würde, hätte Italien voll Spielen müssen und das Problem wäre gelöst.

  • Relegationsspiele unter den Gruppendritten könnte man im aktuellen Zeitplan unterbringen, wenn man die finalen Gruppenspiele der Gruppen A und B am gleichen Tag hätte stattfinden lassen (19. Juni). Dadurch wäre diese Runde (finale Gruppenspiele) einen Tag früher zu Ende gewesen (20. Juni statt 21. Juni) und mit mindestens drei Tagen Pause hätte man die vier schlechteren Gruppendritten am 24. Juni "über Kreuz" (also 3. Gruppendritter gegen 6. Gruppendritter und 4. Gruppendritter gegen 5. Gruppendritter) antreten lassen können (die beiden besten Gruppendritten als direkt qualifizierte Teams für das Achtelfinale).

     

    Die beiden Achtelfinalspiele mit den Siegern aus den Partien der Gruppendritten hätte man im Spielplan auf den letzten Tag der Achtelfinalspiele (28. Juni) gelegt, das hätte auch hier für die notwendige Regeneration ausgereicht.

  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    Keine Spiele nur losen oder Bingo.

  • Zu viele Mannschaften, zu viele Spiele. Alles nur zur Gewinnmaximierung. 16 Teams sind mehr als genug.

  • Für den Modus sind zu allerletzt die SpielerInnen verantwortlich

  • Die Vorrunde war wirklich extrem öde. Meiner Meinung nach liegt´s an dieser Erweiterung auf 24 Mannschaften, die nur dazu dient, noch ein Achtefinale rauszuschinden.. Aber dadurch wird nur das Turnier wie ein Kaugummi endlos in die Länge gezogen.

    Den Modus mit den Drittplazierten finde ich weniger ungerecht als daß Italien und Spanien (ein potenzielles Endspiel) schon in der nächsten Runde aufeinander treffen. Auf dem Ast der deutschen Mannschaft tummeln sich die guten Mannschaften und knocken sich aus, während es auf dem andern Ast ein Underdog locker ins Finale schaffen kann. Wer´s mag.

    • @scaspener:

      Die vermeintlich ungleiche Aufteilung der Teams für den weiteren turnierverlauf ergab sich aber unabhängig von der Zahl der Teilnehmer. Spanien und England haben es eben "verpasst", ihre jeweilige Gruppe als Erster abzuschliessen. Dadurch sind sie als Gruppenzweite auf die Hälfte mit den Gruppenersten Deutschland, Frankreich und Italien "gewechselt".

       

      Wales, Ungarn, Island und Nord-Irland mögen nicht die "große Tradition" im europäischen Fußball haben, dass sie aktuell in der Lage sind, den Favoriten in ihren Gruppen das eine oder andere Bein zu stellen, spricht aber für ihre Qualität.

       

      Mich persönlich freut der Last-Minute-Erfolg der Iren. Dass die Italiener als bereits feststehender Gruppensieger durchwechseln mußten, um einerseits Stammpersonal vor Verletzungen und möglichen Sperren in einem Spiel ohne sportlichen Wert zu schützen, andererseits Spielern aus der zweiten Reihe eine Chance zu geben, sich zu präsentieren, war vollkommen logisch und wäre ungeachtet von Teilnehmerzahlen und Platzierungsregeln für nachfolgende Gruppenmitglieder so gekommen.

  • Oder gleich die Gruppenphase abschaffen und eine große K.O.-Phase draus machen. Hilft auch bei der Spannung...

  • "Ist Nordirland gegen Wales nicht schon genug?" - Ich empfehle, die taz-Artikel über die walisische Mannschaft zu lesen.