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Trauerfeier für IS-AbtrünnigenEiner von uns

Mit einer interreligiösen Trauerfeier nimmt die Hamburger St.-Pauli-Kirche Abschied von Florent, der in der salafistischen Szene „Bilal“ genannt wurde.

Begehrte Gesprächspartner: Pastor Sieghard Wilm (M.) und Imam Abu Ahmad Jakobi (2.v.l.). Foto: Lena Kaiser

HAMBURG taz | Drinnen ist es noch still. Neben dem Porträtfoto von Florent N. brennen Kerzen. Draußen beantworten Pastor Sieghard Wilm und Imam Abu Ahmad Jakobi die Fragen von Dutzenden Journalisten: Warum macht die St.-Pauli-Kirche eine Trauerfeier für einen Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“?

„Sie kannten den Jungen doch, Herr Wilm“, sagt einer und fragt, warum man den Jungen nicht davon abhalten konnte, nach Syrien auszureisen, vor einem Jahr, um sich dem IS anzuschließen.

Es ist Freitagnachmittag, als die St.-Pauli-Kirche mit einer interreligiösen Trauerfeier des toten „Bilal“ gedenkt, so hieß Florent in der salafistischen Szene. Mit ihr in Kontakt gekommen war der in Kamerun geborene und auf St. Pauli aufgewachsene Junge damit als 14-Jähriger: Er konvertierte vom Christentum zum Islam, aus Sicht des Verfassungsschutzes radikalisierte er sich zunehmend – auch durch den Konsum von gewalttätigen Videos des IS.

Audiobotschaft als letztes Lebenszeichen

Im Mai vergangenen Jahres dann folgte er der Propaganda und reiste zusammen mit anderen nach Syrien aus, um sich dem bewaffneten Dschihad anzuschließen. Nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes war „Bilal“ einer von insgesamt 65 vorwiegend jüngeren Menschen, die seit 2012 aus Hamburg eine solche Reise antraten.

Das letzte Lebenszeichen war bald nach seiner Ausreise eine Audiobotschaft – darin warnte der inzwischen 17-Jährige andere davor, es ihm gleichzutun. Kurz darauf war er tot.

Sein Fall gehört in die Öffentlichkeit, davon ist neben dem Verfassungsschutz auch die St.-Pauli-Kirche überzeugt. „Für uns ist es wichtig, am heutigen Tag aufzuklären“, sagt Pastor Wilm. „Hier sind viele andere Jugendliche – es ist wichtig, dass sie gewarnt werden.“

Er beschreibt Florent N. als „fröhliches Kind“. Doch mit 14 habe er sich stark verändert. Irgendwann kam er nicht mehr ins Jugendhaus: Da waren ja auch Mädchen. Und das hatten ihm die Leute offenbar verboten, die inzwischen auf ihn aufpassten.

Umstrittene Trauerfeier

Dass die St.-Pauli-Kirche einem getöteten IS-Kämpfer eine Trauerfeier bereitet, ist umstritten. Pastor Wilm beeindruckt das nur wenig: Ihm ist es wichtig, dass Familie und Freunde einen Ort bekommen, wohin sie mit ihrer Trauer können: „Es ist das schlimmste, was einer Mutter passieren kann“, sagt er. „Für sie und seine Mitschüler ist es wichtig, Abschied nehmen zu können.“

Florent sei einen Irrweg gegangen, aber Schwarz-Weiß-Denken helfe nicht weiter. „Ich kann mir meine Toten nicht aussuchen“, sagt Wilm. Man wisse nicht, warum und wo er gestorben sei und ob sein Körper überhaupt je ein Grab gefunden hat. Umso wichtiger sei es, die Werke der Barmherzigkeit zu berücksichtigen: „Wir Leben in einem Land, in dem es Tradition ist, Menschen Würde zuzugestehen.“

Imam Jakobi unterstreicht, „Bilal“ sei ein guter und aufrichtiger Junge gewesen – ein Idealist. Eben das hätten „Demagogen“ erkannt und instrumentalisiert. „Womöglich hat ihn seine Audiobotschaft das Leben gekostet, andere hat sie aber geschützt“, sagt der Imam.

Symptom einer kalten Gesellschaft

Der Fall des „Bilal“ sei kein Unfall, sondern ein Symptom einer kalten Gesellschaft, in der junge Menschen keinen Halt fänden: Die aber „kommen nicht von einem anderen Planeten“, sagt der Imam, „es sind unsere Kinder“.

Es gibt viele offene Fragen: Woher weiß man etwa, dass der nun Geehrte wirklich nicht mehr lebt? Der IS verschicke keine Sterbeurkunden, sagt Marco Haase, Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes. Dass der Junge tot sei, halte man aber für „sehr sicher“.

Pastor Wilm aber weiß von einer „Todesnachricht“ zu berichten, vom IS an die Familie gerichtet. „Das lässt einen gruseln und schaudern“, sagt er: Dann müsse die Terrormiliz ja auch hier über eine entsprechende „Struktur“ verfügen.

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3 Kommentare

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  • Florent/Bilal hat(te) eine Familie und die braucht ihre Trauer, nicht eine öffenltiche Debatte, was in einer Kirche geschehen darf oder was nicht. Schließlich ging es nur darum und die Freunde von ihm, die ja immer noch St. Pauli wohnen und vielleicht auch noch Kontakt zur Kirche haben. Vielleicht ist es sogar gut so, damit jeder sieht, dass diese Irren vom IS auch direkt aus der Nachbarschaft kommen können. Ob Bilal/Florent ein guter Mensch war, das würde ich aber mal offen lassen, schließlich hat der IS mit seiner Brutalität nie hinter dem Berg gehalten. DIe haben das Gemetzel ja offensiv über Medien gezeigt und sogar darüber Sympathien bei jungen Menschen erreicht, was sonderbar sein soll, verbietet auch der Islam Mord und Gewalt - die Opfer des IS sind aber zu 95 Prozent auch Muslime. Das hätte er vielleicht schon verstehen können. Für die Eltern bleibt er aber der Sohn und das muss auch so sein, vielleicht hat der Gottesdienst ihnen geholfen.

  • Warum ist diese interreligiöse Trauerfeier umstritten? Ein junger Mensch ist gestorben. Er wird betrauert.

  • Herzliches Beileid zunächst einmal.







    Was mir seit Beginn des Syrien-Konflikts sauer aufstößt ist, dass im Zusammenhang mit IS kaum das Wort "Völkermord" in den Mund genommen wird, aber das ist es und das sollte man sich in diesem Fall vor Augen führen. Nazi-Vergleiche sind immer unschön, aber wir sollten nicht vergessen, dass der IS gezielt Menschen anderen Glaubens vernichtet - inklusive weiteren Verbrechen wie Missbrauch, Zwangsarbeit, Verstümmelungen etc. Der Umgang mit Jesiden, Christen, Schiiten, Atheisten und allen anderen Abweichlern von der IS-Ideologie ist vergleichbar mit dem Umgang der Nazis mit den Juden. Vergesst das nicht! Unter dem Gesichtspunkt fällt es mir persönlich schwer, Verständnis für eine solche Trauerfeier aufzubringen. Auch die Berichterstattung stört mich. Denn wenn ich fünf Menschen töte und dabei von der Polizei erschossen werde: Würdet ihr dann über meine "Trauerfeier" berichten? In meinen Augen ist die taz hier einer als Trauerfeier getarnten Veranstaltung aufgesessen. Hier soll medial wirksam das Verständnis der Religionen untereinander demonstriert werden. Aber löst das etwas an den Problemen? Ich möchte dem Imam keine fundamentalistische Lesart des Islam unterstellen, aber er wäre gut beraten, zunächst vor der eigenen Haustür zu kehren. Eine solche Inszenierung für einen Beteiligten am Völkermord verschleppt die Problemen und inszeniert sie als Problem der Allgemeinheit. Es ist aber nicht das Problem der überwiegend atheistischen Allgemeinheit, sondern ein Problem der überwiegend konservativen Lesarten des Islam, die nicht gewillt sind, den Faschisten Einhalt zu gebieten.

     

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