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Kommentar Soziale Kämpfe in FrankreichRadikal sein ist nicht alles

Kommentar von Richard Rother

Neidisch schaut so mancher deutsche Arbeitnehmer auf die radikalen Kollegen in Frankreich. Umgekehrt können Franzosen auch von Deutschen lernen.

Gewerkschafter blockieren den Eingang zu einem AKW Foto: dpa

W enn in Frankreich streikende Arbeiter oder protestierende Bauern handgreiflich werden, kriegen manche Linke in Deutschland feuchte Augen vor Rührung. Die trauen sich was, die Franzosen, denken sie. Wenn wir Deutsche nur halb so radikal wären wie die Franzosen, würde es uns – und Europa – besser gehen. An diesem Gedanken ist sicher etwas dran, aber es ist auch nur die halbe Wahrheit.

Dass viele Franzosen gegen die Arbeitsmarktreformen, eine Art Hartz IV à la française, auf die Straße gehen, ist ihr gutes Recht. Sie sehen, was Hartz IV in Deutschland angerichtet hat: mehr Druck auf Arbeitnehmer, mehr prekäre Beschäftigung, eine größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich.

Ob Streiks in Atomkraftwerken aber ein angemessenes Mittel des Protests sind, ist zweifelhaft. Solche Aktionen wirken bedrohlich, selbst wenn dadurch nur die Energieproduktion gedrosselt wird.

Auch in Deutschland gab es Widerstand gegen die Hartz-IV-Reform, aber er war lange nicht so radikal wie in Frankreich. Davor haben die Gewerkschaften zurückgeschreckt: erstens weil politische Streiks hierzulande verboten sind, und zweitens weil sie stets den Konsens mit den Regierungen und den Arbeitgebern suchen.

Trotzdem geht es dem durchschnittlichen Arbeitnehmer an der Seine nicht besser als dem am Rhein – im Gegenteil.

Immerhin haben es die Gewerkschaften später geschafft, die Reform ein bisschen zu reformieren – und den Mindestlohn durchzusetzen.

Der Mindestlohn wiederum gehört seit Langem zu Frankreich wie radikaler Sozialprotest. Trotzdem geht es dem durchschnittlichen Arbeitnehmer an der Seine nicht besser als dem am Rhein – im Gegenteil. Ein starres Festhalten am Status quo kann also in Frankreich nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Die Jugendarbeitslosigkeit, gerade unter Migranten, ist in Frankreich viel höher als in Deutschland. Wie gefährlich das ist, zeigt sich in den Banlieues: Wo Perspektivlosigkeit herrscht, haben Kriminelle und Terroristen es leicht, Nachwuchs zu rekrutieren.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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19 Kommentare

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  • Mh, Herr Rother,

    die Streiks in AKWs - wäre das nicht ein interessanter Weg des Ausstiegs Frankreichs aus der Atomenergie?

     

    Wo bleibt in deutschland das im Grundgesetz garantierte individuelle Recht auf Streik?

    Das gibt es in der Frz. Verfassung.

  • Selten so viel Pillepalle gelesen:

    "Auch in Deutschland gab es Widerstand gegen die Hartz-IV-Reform, aber er war lange nicht so radikal wie in Frankreich."

    Ja und was hat es gebracht? Richtig! Nix!

    "Immerhin haben es die Gewerkschaften später geschafft, die Reform ein bisschen zu reformieren – und den Mindestlohn durchzusetzen."

    Nach ganzen zehn Jahren???

    "Die Jugendarbeitslosigkeit, gerade unter Migranten, ist in Frankreich viel höher als in Deutschland."

    Die Migrantenzahl ist aber auch doppelt so hoch wie hier - mal abwarten...

    "Wo Perspektivlosigkeit herrscht, haben Kriminelle und Terroristen es leicht, Nachwuchs zu rekrutieren."

    Okay - wenigstens hier gehe ich einig..

  • Mal schauen, ob noch ein europäischer Frühling draus wird. Wenn auch Revolutionen in Arabien und im ehemaligen Ostblock von deutschen Journalisten und Politikern bejubelt werden: Revolutionen hierzulande hat man dann doch nicht soooo gern.....

  • Also bloss nichts machen, was tatsächlich Druck ausüben kann, verstehe ich die Botschaft richtig?

     

    Aber selbst, wenn man was Positives über dieses Gesetz sagen könnte (was man nicht kann): es wird von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt UND hat im Parlament keine Mehrheit. Es ist nur deswegen beschlossen worden, weil die Sozialdemokraten der Regierung nicht ihr Misstrauen ausgesprochen haben. D.h., dass dieser Protest gerade auch ein Protest gegen undemokratisches Handeln ist.

     

    Und klar, in einem Land, in dem unter Sarkozy und Macron die Arbeiterrechte bereits aufgeweicht wurden, das in einer Währungsunion gefangen ist, in dem die grösste Volkswirtschaft durch Lohndrückerei einen unaufholbaren Vorsprung bzgl. Exporten aufgebaut hat, und in dem die Regierung darauf besteht, die Binnennachfrage abzuwürgen, in dem ist die Arbeitslosigkeit beträchtlich.

    Allerdings wird weiteres Abwürgen ebendieser Binnennachfrage nur zu Arbeitslosenquoten wie in Spanien und Griechenland führen - wie genau hilft das den Banlieues?

  • Neoliberales Gewäsch hier. Würde eine Reform dafür sorgen wollen, dass solcher Schwachsinn aus den Zeitungen verschwindet, ha, da riefen die Journalisten sogleich zu den Barrikden.

  • Herr Rother hat auch noch nie einen Schraubenzieher in der Hand gehabt.

  • "Auch in Deutschland gab es Widerstand gegen die Hartz-IV-Reform, aber er war lange nicht so radikal wie in Frankreich."

     

    Deswegen hat er auch nichts bewirkt. Und der (noch zu niedrige) Mindestlohn war sowieso fällig, mit oder ohne Hartz4.

  • Ich wünsche den Franzosen viel Erfolg.

    Wir sollten allerdings klarstellen, dass wenn es wirklich wahr ist (und nicht nur eine pöhse pöhse Verschwörung von "Neoliberalen") und ihre Sozialkassen zusammenbrechen....

     

    ... es ihr Problem ist und wir unsere Kohle benutzen um hier die Probleme zu lösen und nicht in Frankreich.

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Na ja, ich weiss nicht, was Sie als Verschwörung wahrnehmen, aber die frz. Sozialkassen, genauso wie deutsche Renten, z.B., könnten ohne die geringstens Probleme alles auszahlen, wenn die EZB verpflichtet wäre, nach Bedarf der diversen Regierungen Euros zur Verfügung zu stellen.

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Die Sozialkassen müssen nur mit Geld bestückt werden. Z.B. solches, das man sonst für neoimperialistische Kriege oder für Kohle- Agrar- Banken- und Atomsubvention verschleudert.

       

      Es kann nicht sein, dass im Zeitalter höchster industrieller Produktivität den Arbeitern immer weniger zugestanden wird. Das ist nicht logisch und müßte sogar Volkswirtschaftlern einleuchten.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Es tut mit leid hier widersprechen zu müssen, "Chef"!:

        Es ist nämlich durchaus logisch den Arbeitern sowenig Lohn und Rechte zuzugestehen wie auch immer möglich ist - und zwar auch in Zeiten höchster Produktivität.

        Das mag nicht unsere Logik sein, aber es ist nun mal die Logik der Profitmaximierung, also die der Betriebswirtschaftler, die des Kapitalismus.

        Volkswirtschaftler sehen das sicher anders, aber die stehn ja bekanntlich auf der roten Liste für bedrohte Arten.

  • "In Frankreich gehen seit Monaten tausende Menschen auf die Straße. Auslöser ist eine Reform des Arbeitsgesetzes ähnlich der Agenda2010 in Deutschland. Die Folgen des Gesetzes würden die Rechte der Arbeitnehmer drastisch einschränken, um einen flexibleren Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

     

    Auf Kosten der Arbeitnehmer kann die Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden am Tag erhöht werden, auch die wöchentliche maximale Arbeitszeit steigt somit von 35 auf bis zu 46 Stunden. Zudem verschlechtert sich der Kündigungsschutz, vor allem in finanzieller Hinsicht. Bisher jährliche Tarifverhandlungen können mit diesem Gesetz nur noch alle drei Jahre stattfinden. Trotz massiver Proteste, die im April 2016 laut Gewerkschaften bis zu 1.000.000 Menschen in ganz Frankreich vereinigten und die daraufhin mehrmals die Woche, fast täglich demonstrierten, entschied die Regierung dennoch am 10. Mai den Paragraphen 49.3 der Verfassung zu verwenden, um ohne Abstimmung im Parlament das Gesetz durchzusetzen. Noch 2006 sagte der heutige Präsident Hollande, dass dieser Paragraph eine Verneinung der Demokratie ist. Aus den Protesten entstanden die nächtliche Platzbesetzerbewegung nuit debout, die Abend für Abend die Missstände diskutieren. Lasst uns gemeinsam unsere Solidarität ausdrücken und geschlossen für eine gerechtere Welt einstehen.

     

    Kommt zu unserer Demonstration am 28. Mai um 17 Uhr zum Oranienplatz mit anschließender Kundgebung am Pariser Platz. Bringt eure Freundinnen und Freunde mit und lasst Nationalfahnen zuhause."

    • @Anarchie-Jetzt:

      Bitte Herr Rother - als SozialpartnerGeschaftler&HartzIV-Apologet - Ihr Einsatz!

      (Hartzens Peter & GazPromGerd sind ja in Paris Schaugelaufen - Aber dagegen ist Obiges ja 3.Potenz du neoliberal!)

      Nich verzagen - vorher mal a politic -

      Ulrike Herrmann fragen;)

       

      (ps & wie bei Herrn Balmer -

      Zwischenruf - "Wasser auf die FN-Mühlen?)

      &

      Nehmen wir die taz doch beim Wort -

      "Radikal sein - ist nicht alles -

      Aber ohne radikal - ist alles nix!"

  • Hartz4 führte zu einer Segregation unter Arbeitslosen, zu einer Art Zweiklassengesellschaft. Mit dem Resultat, dass für viele Arbeitslose HArtz4 zur Falle wird, aus der man sich kaum befreien. Abgesehen vom Stigma der Gesellschaft.

    In Frankreich gibt es etwas ähnliches, den "RSA", eine Grundsicherung für Arbeitslose ohne die Zwänge, die Hartz4 oktroyiert. Frankreich kann sich ein solches Gesetz gar nicht leisten, es würde zu einem Hartz4-"light" werden; allein infolge der Wohnungsnot in Frankreich kann keine Unterkunft und deren Kostenübernahme garantiert werden, so wie es die Hartzgesetze stipulieren.

     

    Es geht in Richtung noch mehr Spaltung der Gesellschaft, der neoliberale Unternehmer-und Investorentrend wird immer deutlicher.

    • @Sysyphos:

      Herr Rother als nicht Betroffener kann das nicht beurteilen.

  • Also der Schluss ist eines Redakteurs für Wirtschaft nicht würdig. Ich glaube der Autor hat noch nicht gehört, dass der Arbeitsmarkt kein Kartoffelmarkt ist. Sinkende Löhne bedeuten eben NICHT, dass die Beschäftigung steigt, sondern durch den sinkenden Konsum stagniert die Beschäftigung im allerbesten Fall. Das deutsche Modell ist eben nicht, dass hierzulande mehr Jobs geschaffen wurden, sondern wir haben unsere Arbeitslosigkeit durch die Handelsbilanzüberschüsse EXPORTIERT.

    Das musste Frankreich auch ganz stark merken. Durch die Agenda 2010 hat Deutschland sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Frankreich von über 20% erschlichen. Frankreich hält sich nach wie vor sehr genau an die Zielinflation von 1,9% - diese wurde ja makabererweise mal so festgelegt, weil es die Deutsche Inflation war.

    Das blöde ist, dass es in die Katastrophe führt, wenn Frankreich das deutsche Modell übernimmt, denn (und das kann sich der Autor mit seinen Wirtschaftskenntnissen bestimmt auch ausmalen) ein Europa, dass sich gegenseitig im Lohnrückhalt überbietet, das kann nur in eine tiefe Rezession führen. Nicht Frankreich muss bescheidener werden, sondern Deutschland muss viel, viel unbescheidener werden. Dafür brauchen wir satte Lohnsteigerungen, bis der künstliche Wettbewerbsvorteil zu Frankreich durch den Euro wieder ausgeglichen ist. Andersherum geht es nicht und führt höchstens in ein Europa, das zerbricht.

    • @Touché:

      Hach ja, das ließt sich ja wie der Traum von einem Neoklassisisten, nur das diesmal halt das rauskommt, was Ihnen gefällt.

       

      Ihr Ergebnis kommt halt nur heraus, wenn Binnenkonsum 1:1 vergleichbar ist mit Exportkonsum (ist er für Deutschland nicht für Frankreich auch nicht), wenn Binneneinkommen 1:1 versteuert wird wie Einkommen aus Ausfuhren (beim Deutschen Steueraufkommen, guter Witz) und dann betrachten wir nur Deutschland und Frankreich isoliert im Weltmarkt, ja macht Sinn.

  • Eine derartig perspektivlose Verwässerung und seichte Verfuschelung des Themas, eine implizite Glorifizierung des Status quo, wie hier durch Herrn Rother vorgenommen, ward schon lange nicht mehr gesehen.

    • @Ulrich Frank:

      Volle Zustimmung, Ulrich Frank. Die widerständigen Franzosen will Herr Rother nicht so richtig offensichtlich abschreiben, aber wie sie sich verhalten sollen, ist dann doch klar: neoliberale Politik hinnehmen und Jahre später ein paar homöopatische Verbesserungen bejubeln. Vorbild Deutschland.

       

      Rother sollte sich bei der FAZ bewerben, die stehen auf solche Leute.

       

      Es ist das immergleiche Problem bei der taz: Ulrike Herrman ist unter den Wirtschaftsredakteuren lesenswert, bei vielen anderen zeigt sich, dass sie das Kind neoliberaler Sozialisation sind und keinen Schimmer haben.