: Geschäfte und Geschichte
INSELBESUCH Prora, die gewaltige Ferienanlage auf Rügen, die die Nazis errichtet haben, ist zum begehrten Investitionsobjekt geworden. Jetzt soll auch der letzte Gebäudekomplex veräußert werden. Gegen den großen Ausverkauf formiert sich Widerstand
aus binz Anna Mendoza
Rügen im April. Es gibt sicher Jahre, in denen das Wetter besser ist. An diesem Tag schneit es. Dann kommt die Sonne raus und scheint auf die weißen Fassaden der Häuser, Hotels und Ferienanlagen. Es ist nicht viel los auf den sauberen Wegen zwischen dem üblichen Rossmann, den unvermeidlichen Lidl- und Edeka-Filialen und den vielen Antiquitätengeschäften. Es ist alles sehr ordentlich, nur der Charme der 90er Jahre, in denen die meisten Geschäfte saniert worden sind, wirkt ein wenig verstaubt. Eines dieser Geschäfte ist eine Bäckerei in der Bahnhofstraße. Sie wird betrieben von Andreas Horn, der noch zwei weitere Läden in Binz mit seinen Backwaren bestückt. Er erzählt über seine Familie, seinen Großvater, der auch schon Bäcker war, über die Geschichte von Binz und ganz viel über Prora.
Der Ortsteil im Norden von Binz ist ein geschichtsträchtiger Ort. Jenes gewaltige Nazi-Projekt der Organisation „Kraft durch Freude“, das für 20.000 Urlauber ausgelegt war, ist weit über die Grenzen der Insel hinaus bekannt. Der Koloss, der zwischen 1936 und 1939 errichtet worden und nie ganz fertiggestellt worden ist, wirkt bis heute in seiner Größe bedrückend. Bäcker Horn hat ein anderes Wort dafür. „Prora ist sagenhaft“, sagt er.
An dem finsteren Eindruck können auch die Gebäudeteile nichts ändern, die mittlerweile saniert sind. Eigentumswohnungen, Ferienanlagen und ein Hotel wirken so, als wollten sie die Geschichte des Ortes vergessen machen. Das befürchtet jedenfalls Andreas Horn. Er ist einer jener Rüganer, die gegen den Verkauf des letzten Teils des 4,5 Kilometer langen Gebäudekomplexes an Investoren ist. Er hat Angst davor, dass die Geschichte von Prora in Vergessenheit gerät. „Da gibt es ja nicht nur die Nazi-Geschichte, es gibt ja auch die DDR-Geschichte, die Geschichte der Nationalen Volksarmee.“ Und dann geht es ihm auch um die Zukunft von Binz als Urlaubsort. Von Massentourismus hält er nichts.
Er erinnert daran, wie sich Binz als Urlaubsort entwickelt hat. „Die ganzen Hotels sind alle mit Fördermitteln entstanden, es ist viel investiert worden, da darf jetzt kein Billigtourismus entstehen“, sagt er. Er selbst betreibt ein Café in einem der sanierten Gebäudeteile und hat akzeptiert, dass sich der Tourismus weiterentwickeln muss, auch wenn er sich fast schon wehmütig an die Nachwendejahre erinnert. Da ist auch er immer an die wenig bevölkerten Strände von Prora gefahren. Es sei schon in Ordnung, wenn investiert werde, aber irgendwo müsse Schluss sein.
Der Koloss von Rügen ist in fünf Blocks eingeteilt. Bis auf den nördlichsten, Block 5, sind alle Gebäudeteile verkauft. Nun wird auf der Insel darüber gestritten, diesen letzten Block in öffentlichem Eigentum zu belassen. Am Montag soll der Kreistag Vorpommern-Rügen in Stralsund über eine Beschlussvorlage abstimmen, mit der der Verkauf von Block fünf erlaubt werden soll. Eine Online-Petition, die unter anderem von dem Historiker Stefan Wolter getragen wird, hat beinahe 15.000 Unterschriften gegen den Verkauf gesammelt. Seit vergangener Woche sammelt zudem das „Bündnis für Rügen“ Unterschriften, um einen Bürgerentscheid für den Erhalt von Block 5 in öffentlichem Besitz zu erwirken.
Auch für Torsten Schäfer vom Bündnis für Rügen steht der Erhalt des Blocks als Geschichtsort im Vordergrund. Und zum Thema Massentourismus findet er markige Worte: „Die Nazis hatten die Idee für die Erholung der Massen, dann kam die NVA und jetzt soll wieder verwirklicht werden, was die Nazis wollten.“
Heute befindet sich in Block 5 eine Jugendherberge. Die soll, so geht es aus dem Antrag, der im Kreistag zur Abstimmung steht, hervor, erhalten bleiben. Es ist der einzige Teil des Blocks, der zugänglich ist. Der Rest ist eine gewaltige Ruine, die mit Bauzäunen abgeriegelt ist. Fenster haben die Gebäudeteile schon lange nicht mehr und auch einige Mauern sind eingestürzt. Der klamme Kreis will für die Sanierung kein Geld zur Verfügung stellen. Und auch die Erhaltung der bestehenden Erinnerungsorte in Prora soll möglichst gar nichts kosten.
Dass Investoren sich um das historische Erbe kümmern werden, kann sich Bäcker Andreas Horn nicht vorstellen. „Der Investor will nur Geld rausschlagen“, sagt er und sieht die öffentliche Hand in der Pflicht. Neben Museen kann er sich ein „Ostseegymnasium“ auf dem Gelände vorstellen, sogar eine „Ostseeuniversität“.
Derzeit befinden sich die Museen, die an die Geschichte Proras erinnern, in Block 3. Da ist zum einen das Dokumentationszentrum Prora, das mit seiner Dauerausstellung „MACHTUrlaub“ an die NS-Zeit und die Pläne für völkischen Gemeinschaftsurlaub erinnert. Der Trägerverein der Ausstellung kann mit öffentlichen Mitteln arbeiten. Doch Block 3 ist längst verkauft. Das Dokumentationszentrum braucht in absehbarer Zeit einen neuen Ort.
Nicht anders geht es dem privaten Ausstellungshaus, das sich neben dem Dokumentationszenrum etabliert hat. Darin befindet sich ein „NVA-Museum“, das mit einer gehörigen Portion Ostalgie Uniformen, Stockbetten und Kantinenmöbel aus jener Zeit ausstellt, in der Prora als Kaserne und Offiziersschule genutzt worden ist. Bäcker Horn hat gewiss recht, wenn er meint, dass auch die DDR-Geschichte Proras einen Erinnerungsort braucht. Um an die Geschichte des Heeres von Bausoldaten, jener Männer, die zu DDR-Zeiten den Dienst an der Waffe verweigert haben, zu erinnern, bräuchte es allerdings mehr als eine Militariasammlung, so wie sie das „NVA-Museum“ liefert.
Bäcker Horn kann sich vorstellen, dass da, wo sich die Jugendherberge befindet, ein geeigneter Ort ist. Doch das ist nur ein kleiner Teil jenes Blocks 5, der nun an Investoren verkauft werden soll. Der nördlichste Teil von Proras Koloss ist eine Ruinenlandschaft, die so leicht gewiss nicht saniert werden kann. Der Block wurde nach dem Krieg von den Sowjets teilweise gesprengt.
Wie aufwändig die Sanierung des Betonungetüms sein kann, lässt sich gut an Block 1 beobachten. Dort wird gerade an der Fassade, die zur Ostsee hin weist, gearbeitet. Der rückwärtige Teil des Gebäudes sieht noch aus wie ein Haus, das gerade zum Abriss vorbereitet wird. Ein Bauarbeiter erzählt, dass die Arbeiten eigentlich in einem Monat abgeschlossen sein sollten. Jetzt rechnet er mit der Fertigstellung erst für Ende 2017.
Vor Block 3 läuft derweil eine Maklerin über das Gelände. Sie zeigt einer Interessentin den Komplex. Im Gebäude befindet sich das Büro einer Immobiliengesellschaft, die für Wohnungen im „Haus Lido“ mit dem Spruch wirbt: „Internationale Berühmtheit direkt an der Strandpromenade“. Das Haus Lido soll Teil einer luxuriösen Anlage werden, die sich als „Meeressinfonie“ bezeichnet. So klingt die Maklerprosa von Rügen: „Die Meeresinfonie lädt Sie ein, Dirigent zu werden.“
Es werden Geschäfte gemacht in Prora. Das war lange Zeit nicht so. Bäcker Andreas Horn erinnert daran, dass 20 Jahre lang kein ernstzunehmender Interessent für die ehemalige Kraft-durch-Freude-Anlage aufzutreiben war. Heute ist Prora in beinahe aller Munde auf Rügen.
Torsten Schäfer vom Bündnis für Rügen ist sich sicher, dass die Diskussionen über die Zukunft von Block 5 nicht am Montag beendet sein werden, wenn der Kreistag über den Verkauf abstimmt. Sein Verein sammelt weiter Unterschriften für einen Bürgerentscheid. Er geht davon aus, dass Prora auch ein Thema im bevorstehenden Wahlkampf für den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns sein wird. Der wird am 4. September neu gewählt.
Bis vor Block 5 die Bagger anrücken, wird es noch eine Weile dauern. Wer im Sommer einen ruhigen Platz am Strand sucht, könnte in der Nähe der Ruinen fündig werden.
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