Knickt die Regierung vor Erdoğan ein?

Fall Böhmermann Berlin will den Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung zügig prüfen

JA

Bewusst verletzend“ nannte Kanzlerin Merkel Jan Böhmermanns Schmähgedicht. Das ist in der Sache richtig und strategisch zunächst geschickt: Das Wort „bewusst“ schafft eine bequeme Distanz zu Böhmermann. Es bewegt den Sachverhalt weg vom sakrosankt Satirischen – hin zum individuell Justiziablen. Letzteres hat Merkel aber wohl nicht genug durchdacht. Indem sie Böhmermann öffentlich verurteilte, hat sie quasi abgesegnet, was die Türkei jetzt offiziell verlangt: Die Verfolgung eines Strafverfahrens gegen Böhmermann.

Die Bundesregierung ist nun in der unbequemen Position, eine politische Entscheidung zu einem juristischen Verfahren treffen zu müssen. Die Frage der Verfolgungsermächtigung führt in ein fieses Dilemma: Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie erscheint wie eine Anmaßung der Politik, über einen juristischen Sachverhalt zu urteilen. Das ist in Deutschland eigentlich lange vorbei. In der Türkei erlebt diese Haltung unter Erdoğan gerade ein unglückliches Revival.

Indem sie dessen Verständnis von Satire bedient und sich in der Folge der Ausübung eines völlig veralteten Gesetzes widmen muss, begibt sich die Bundesregierung auch hierzulande auf Erdoğans Niveau. Der wird ja gern mäßig elegant als „Kalif“ bezeichnet, um zu unterstreichen, dass er, nett gesagt, eine antiquierte Vorstellung von Moral und Demokratie hat. Dass ausgerechnet Deutschland einen Paragrafen hat, der seinem Verständnis von der Gottgleichheit eines Staatsoberhaupts derart entgegenkommt, dürfte Erdoğan freuen. Zumal die Bundesregierung mangels Praxis merklich Probleme hat, zu erklären, wie da denn überhaupt vorgegangen wird.

Für Merkel, die am Montag kratz­füßig eine zügige Prüfung des Anliegens ankündigen ließ, ist der Umgang mit der Causa Böhmermann der Gipfel der Peinlichkeit. Wäre die Meinungsfreiheit für die Kanzlerin tatsächlich „allerhöchstes Gut“, wie ihr Sprecher unermüdlich sagte, hätte sie sich besser gleich hinter Böhmermann gestellt – komme, was wolle.

JohANNA ROTH

NEIN

Eine Beleidigung deutscher Politiker sei „mit der europäischen Rechtskultur nicht zu vereinbaren“, ermahnte Otto Schily 2005 die Türkei. Nachdem er den Vertrieb der Zeitung Vakit aus der Türkei in Deutschland untersagt hatte, wurde der damalige Innenminister auf dessen Titelseite tagelang als Nazi-Wiedergänger denunziert und mit Hakenkreuz und Hitler-Bärtchen abgebildet. Schily drängte seinen türkischen Amtskollegen, gegen das islamistische Hetzblatt vorzugehen.

Nun stellt sich die Frage: Ist es Satire, wenn man den türkischen Präsidenten als „Ziegenficker“ tituliert und ihm perverse Sexualpraktiken andichtet? Oder ist das unverblümter Rassismus, der sich nur ein prominentes Ziel gesucht hat? Dabei geht es nur am Rande um Erdoğan. Es geht um die Frage: Sollte es erlaubt sein, ausländische Politiker im deutschen Fernsehen rassistisch zu beschimpfen – mit einem Augenzwinkern, damit es als Satire durchgeht? Oder gibt es Grenzen des guten Geschmacks, die auch für solche Politiker gelten, die es mit der Meinungsfreiheit nicht so genau nehmen?

Um solche Fragen zu klären gibt es Gerichte. Die Bundesregierung sollte deshalb einem Verfahren gegen Jan Böhmermann nicht im Weg stehen. Dem kann der TV-Satiriker ohnehin ganz gelassen entgegensehen. Denn selbst wenn er zu einer Strafe verurteilt werden würde, was noch lange nicht klar ist: Karrieretechnisch hat sich die bewusste Grenzverletzung für ihn schon jetzt ausgezahlt. Allenthalben wird die angebliche „Genialität“ seines Pippi-Kacka-Gedichts gelobt. Warum eigentlich?

Vor wenigen Tagen wurde ein Arbeitsloser zu 2.000 Euro Strafe verurteilt, weil er die Kanzlerin beleidigt hatte. Und wo war der Aufschrei, als Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit gegen den Rapper Bushido klagte, weil dieser ihn in seinem Song „Stress ohne Grund“ homophob beleidigt hatte? Bushido hat recht, wenn er auf Twitter Doppelmoral beklagt. „Ist man ein Böhmermann, ist es Kunst, ist man Rapper, landet es auf dem Index“.

Daniel Bax