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„Schmähkritik“ von Jan BöhmermannAngela Erdoğan ermittelt

Die „Schmähkritik“ des TV-Moderators am türkischen Präsidenten hat ein juristisches Nachspiel. Das ist auch das einzig Normale an der Affäre.

Haben sich gegenseitig auf dem Kieker: Böhmermann (l.) und Erdoğan Foto: dpa

Köln/Mainz | Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen einen 35-Jährigen aus dem Raum Köln. Dem Mann wird vorgeworfen, den türkischen Präsidenten beleidigt zu haben. 20 Anzeigen sollen bis Mittwoch erstattet worden sein. Würden sich die Vorwürfe bestätigen, drohen dem Beschuldigten bis zu drei Jahre Gefängnis. Wird ihm „verleumderische Absicht“ nachgewiesen, könnte er zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden. (taz)

Um weiteren Anzeigenschreibern mehr Freizeit zu verschaffen: Ja, Jan Böhmermann hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beleidigt. Das weiß die Staatsanwaltschaft, das weiß der Moderator; hat er schließlich selbst gesagt, als er sein Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ am vergangenen Donnerstag im „Neo Magazin Royale“ vorlas. „Das darf man nicht machen“, warnte er, während er über die Genitalien des Präsidenten reimte. „Das kann bestraft werden und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher.“

Dort sind wir mittlerweile angekommen: Das ZDF hat den Beitrag am Tag nach der Ausstrahlung gelöscht, die Mainzer Staatsanwaltschaft ermittelt, inzwischen auch gegen ZDF-Verantwortliche. „Das Ermittlungsverfahren wird wegen Verdachts des Verstoßes gegen § 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten) geführt“, teilte die Behörde mit. Zur Sicherung der Beweise wurde ein Mitschnitt der Sendung angefordert.

Was für Folgen das haben könnte? Das liegt in erster Linie an der türkischen Regierung, denn für eine Verfolgung muss laut Paragraf 104 a des Strafgesetzbuchs „ein Strafverlangen der ausländischen Regierung“ vorliegen. Das müsste von der Regierung oder der türkischen Botschaft in Deutschland kommen, liegt aber wohl (noch) nicht vor. Und die Bundesregierung müsste „die Ermächtigung zur Strafverfolgung“ erteilen. Die müsste das Auswärtige Amt aussprechen.

Schmähkritik ist strafbar

Das geht in einer internen juristischen Prüfung davon aus, dass Böhmermanns Schmähkritik-Gedicht tatsächlich strafbar sei. So meldete es der Tagesspiegel.Und auch die Bundeskanzlerin hat sich eingeschaltet. Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hatten telefoniert und „stimmten darin überein, dass es sich dabei um einen bewusst verletzenden Text handle“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Die Bundeskanzlerin verwies auf die Konsequenzen, die der ausstrahlende Sender bereits gezogen hat.“

Liegen der Kanzlerin Fragen der Medien­ethik und Presse­freiheit am Herzen? Eher nicht

Die Kanzlerin lässt durch ihren Sprecher öffentlich werden, dass sie in diesem Fall ganz bei der türkischen Regierung sei. Es scheint ihr also ein Anliegen zu sein, das deutlich zu machen (was Böhmermann schon selbst in seiner Sendung erkannt und gesagt und weswegen er das ganze Gedicht überhaupt verfasst hat, s. o.).

Liegen der Kanzlerin Fragen der Medienethik und Pressefreiheit am Herzen? Eher nicht. Als der Spiegel-Online-Korrespondent Hasnain Kazim vor wenigen Wochen die Türkei verlassen musste, weil ihn auch deutsche Behördenvertreter gewarnt haben sollen, dass die Situation sonst „eskalieren“ könnte (so zitiert Kazim den Behördenmitarbeiter), und aus Sorge sogar ein deutscher Diplomat den Reporter und dessen Familie zum Flughafen begleitete, hielt sich die Bundesregierung mit Statements zurück. Hinter verschlossenen Türen soll aber verhandelt worden sein. Kazim selbst glaubt, dass die Bundesregierung getan habe, was sie tun konnte. Nach außen getragen wurde nichts.

Das ist diesmal anders. Ja, die Staatsanwaltschaft muss auf Strafanzeigen reagieren. Und ja, dass das Gedicht Ärger geben könnte, wusste Böhmermann. Aber dass die Regierung ausgerechnet in diesem Fall die Klappe aufreißt, bestätigt das erschreckend devote Verhalten gegenüber der türkischen Regierung, seit diese zum wichtigsten Partner bei der Abschottung vor Flüchtlingen geworden ist.

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16 Kommentare

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  • Ich stimme mit dem Kommentar überein. Warum aber gibt es so gar keine Satire über Angela Erdogan? Man soll die beiden auslachen. Es ist doch so sehr zum Lachen, was die beiden Staatenlenker da miteinander treiben: "Menschenrechte? So was von gestern und unmodern! Schlagstock und Maulkorb haben viel mehr style!"

  • Ich denke, es läuft alles so, wie es sich Böhmermann dachte. Mauscheleien mit Autokraten, Ratlosigkeit im Umgang mit Satire, Grenzgang der Auslegung der hiesigen Rechtslage. Der Zeitpunkt dafür( Flüchtlingsabkommen mit Türkei), ist genial gewählt und ich möchte gern wissen, wie die französische Regierung und Justiz mit Charlie Hebdo umgegangen wäre, würden ähnliche Verbindlichkeiten mit islamist. Regierungen bestehen.

  • Charlie Hebdo darf mit seiner Satire weit unter die Gürtellinie gehen, warum soll dan das ZDF das nicht dürfen? Nur, weil´s dem Türken nicht gefällt?

    Zum Glück hatte ich den Beitrag gesehen und fand ihn toll!!!

    • @Nichtwählerin:

      (...) weil´s dem Türken nicht gefällt...(...)

       

      DEM Russen, DEM Deutschen, DEM Juden?

       

      "(...)weil's ERDOGAN nicht gefällt" wäre meiner Ansicht nach besser.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Bin schon auf die Urteilsbegründung gespannt. Eine "Schmähkritik" vorgetragen in einer "Satiresendung" und mit "Beispielen", was man nicht sagen darf. Der Kontext dürfte wohl nicht ganz unerheblich sein.

    Wenn das Urteil zu Gunsten von Böhmermann ausfällt, ob Erdogan dann auch von Frau Merkel verlangt, den Richter zu bestrafen? Devot genug ist sie ja mittlerweile, um ihn auch diesen Gefallen zu tun.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wer wissen will, wie weit Satire gehen darf (bz. sollte), dem sei die legendäre Entscheidung des US-Supreme Court Hustler vs. Falwell aus dem Jahre 1988 (!) empfohlen.

    In der November-Ausgabe des Jahres 1983 brachte das (Porno-)-Magazin Hustler eine Parodie über Jerry Falwell, einen sehr einflussreichen stockkonservativen evangelikalen Fernsehprediger. In einem gefälschten Interview sprach Falwell über „sein erstes Mal“: Angeblich hatte er Inzest mit seiner Mutter in einem Toilettenhäuschen, während er betrunken war. Falwell verklagte daraufhin das Magazin wegen psychischer Belastungen auf 45 Millionen US-Dollar Schadenersatz. Larry Flynt, der Herausgeber des Magazins, wehrte sich gegen die Klage. Schließlich entschied der US-Supreme Court (unter Vorsitz des ebenfalls sehr konservativen Präsidenten Rehnquist) für Flynt und den Hustler. Das Urteil wurde damit begründet, dass der erste Zusatzartikel und die darin garantierte Meinungsfreiheit wichtiger seien als der vermeintliche Schaden, den öffentliche Personen durch psychischen Stress infolge von Parodien hätten. Gleiche Masstäbe würde die US-Justiz auch hier ziehen. Erdogan ist eine Figur des öffentlichen Lebens. Niemand glaubt, was Böhmermann behauptet.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Schön, damit hätten wir geklärt, wie so etwas in den USA ablaufen KANN. Das sagt uns über Deutschland...gar nichts. Und das ist auch gut so, oder möchtest du gerne amerikanische Verhältnisse, wo die sexuelle Ausrichtung Thema in Wahlkämpfen ist und die Talkshows vor allem grob beleidigend und stillos sind?

  • Ich mag die Art Sarkasmus Böhmermanns nicht. Aber das war politisch medial gut durchdacht und ich hoffe die Mehrheit erkennt die Peinlichkeit, das Merkel sich in die Schulhofpöbelei einmischt, aber das Ermorden der Pressefreiheit der einen Seite schweigend (im Verhältnis) hin nimmt. Hat da jemand ein Lieblingskind oder kuscht vor dem Rektor.

  • Voll normal. Respekt - Alder!

    "…„Das darf man nicht machen“, warnte er, während er über die Genitalien des Präsidenten reimte. „Das kann bestraft werden und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher.“…"

     

    Aber das stimmt doch auch -

    Die Beleidigung von Organen ist strafbar.

    Normal.

    Als Berufsjugendlicher aus dem Raum Köln

    Muß er das wissen.

    Normal.

    • @Lowandorder:

      "Alter Sack" wäre demnach "strafbar".?

       

      Em Levve nit. ;-)))))

      • @Eilige Intuition:

        Wie heißt es so schön bei

        Kasper-Ohm und ik by John Brinkmann

        "In die Fixigkeit - warst du mich über

        In die Richtigkeit war ich dich über!";))

    • @Lowandorder:

      Wollen Sie Erdogan auf sein Organ reduzieren?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Wäre das nicht eher eine Vergrößerung?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Nö ich doch nicht …aber böswilliges - Na ok - ataktisches Lesen - hilft -;)

        (im übrigen - welches¿!)