: „Ein Präparator ist ein Illusionist“
NATURKUNDEMUSEUM Am Arbeitsplatz von Robert Stein sitzt ein Ara auf einem Ast, als würde er jeden Moment losfliegen. Auf die Präparation von Vögeln hat sich Stein spezialisiert. Er liebt es, der Natur mit seiner Arbeit möglichst nahe zu kommen
■ Der Mensch: Robert Stein, 32, Sohn eines Ingenieurs und einer Ingenieurin, wuchs in Brandenburg an der Havel auf. Er ist der jüngste von 16 Präparatoren am Berliner Naturkundemuseum. Robert Stein, in dessen Familie es einen Ururgroßvater gegeben haben soll, der Gerber war, ist Hobbyornithologe, verheiratet, Vater eines Kindes, und wohnt im Kreis Potsdam-Mittelmark.
■ Ausbildung und Beruf: Stein absolvierte eine dreijährige Ausbildung an der Berufsfachschule in Bochum zum präparationstechnischen Assistenten, der einzigen Ausbildungsstätte für diesen Beruf in Deutschland. Er machte ein zweijähriges Volontariat im Naturkundemuseum in Münster. Seit 2005 arbeitet er im Berliner Naturkundemuseum. Dort gehört er zu den fünf Präparatoren, die sich mit Wirbeltieren beschäftigen.
■ Der Preisträger: Robert Stein wurde mit seinen Präparaten zweimal Vize-Europameister und dreimal Weltmeister, zuletzt im Februar dieses Jahres. Da gewann er mit einem präparierten afrikanischen Sperbergeier und einem neuseeländischen Kea die „World Taxidermy Championship“.
INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN FOTOS PIERO CHIUSSI
taz: Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Robert Stein: Ich glaube, ich hatte keinen. Aber der Wunsch, Präparator zu werden, war relativ früh da.
Was hat Ihr Interesse an toten Tieren geweckt?
Seit meinem sechsten Lebensjahr habe ich in einem Naturschutzzentrum mitgearbeitet. Dort hatte ich auch Umgang mit Präparaten. Die haben mich fasziniert und ich wollte wissen, wie das funktioniert. Mit 15, 16 Jahren hatte ich das erste Mal Kontakt mit einem Präparator, der uns zeigte, wie man einen Vogel präpariert und ein Säugetier. Seitdem war mein Berufswunsch klar.
Was macht für Sie den Reiz aus, tote Tiere wie echt aussehen zu lassen?
Der Reiz liegt darin, die Natur, die ja vergänglich ist, für immer zu erhalten, und zwar möglichst so, dass der Betrachter denkt, das Tier wäre lebendig und würde gleich wegspringen. Es wird einem nie gelingen, die Natur zu kopieren, da das Tier ja tot ist. Aber es geht darum, die Illusion zu vermitteln, dass ein Tier lebendig sei.
Also ist ein Präparator auch ein Illusionist?
Ein bisschen schon. Es gibt eine Anekdote von Präparatoren, die eine Taube präpariert und aufs Fensterbrett gesetzt haben, und die Kollegen wollten die Taube verscheuchen. Da weiß man, man hat alles richtig gemacht.
Was für Eigenschaften sollte ein Präparator unbedingt haben?
Er muss für den Beruf brennen! Und sich für die Natur begeistern. Ein Präparator muss Geschick und Handfertigkeiten haben. Wir müssen die Tiere zerlegen, deshalb muss man auch die Anatomie kennen. Und man braucht Ahnung von Farben, weil spezielle Hautstellen wie Schnäbel und Füße bei Vögeln oder die violetten Hintern bei den Mandrill-Affen verblassen, sobald sie nicht mehr durchblutet werden. Man muss zudem mit Werkstoffen umgehen können, mit Epoxid-Harzen, Abgussmaterialien, Polyurethan-Schäumen und Chemikalien.
Man hat den Eindruck, man könnte bei Ihnen in der Werkstatt vom Boden essen, so sauber ist es. Wie kommt es, dass es überhaupt nicht riecht?
Wenn wir zur Langen Nacht der Museen Führungen machen, sind viele Besucher baff, wie steril es ist.
Wie kommt das?
Der Beruf ist sehr, sehr sauber. Die Tiere, die wir bekommen, unterliegen vielen hygienischen Auflagen. Die Häute sind so bearbeitet, dass kein Fleisch, Blut oder Fett dran ist, also kann auch nichts stinken, und Motten und Fraßinsekten wurden unschädlich gemacht.
Sie haben hier einen weißen Wolf in Arbeit, der ziemlich lädiert aussieht. Was hat es mit ihm auf sich?
Das ist ein arktischer Wolf aus dem Berliner Zoo. Er ist eine Dauerleihgabe an das Technikmuseum, das eine Ausstellung über VW und Wolfsburg macht und deshalb einen Wolf präsentieren will. Er wurde von Artgenossen eliminiert.
Wurde er totgebissen?
Ja. Über dem linken Auge hat er eine Wunde, die genäht werden muss. Auch das rechte Ohr ist zerfetzt. Außerdem gibt es Blutergüsse unter dem Fell von den Bisswunden.
Wie gehen Sie bei der Arbeit an dem Wolf vor?
Die Knochen werden entfleischt, sauber gemacht, mit Draht stabilisiert und in die Position gebracht, in der er stehen oder sitzen soll. Wenn das Gerüst fertig ist, wird Ton darauf modelliert, so dass jeder Muskel unter der Haut zu sehen ist. Bei dem Wolf ist das nicht so ersichtlich, weil er sehr lange Haare hat. Dann wird eine Gipsform genommen und mit einem weißgelblichen harten Polyurethan-Schaum ausgefüllt. So entsteht die sogenannte Positivform. Über die wird die Haut gezogen und zugenäht, die Augen werden eingesetzt, die sind meist aus Glas oder mittlerweile auch aus Acryl. Die Ohren werden nachmodelliert, das Fell gerichtet, und das Tier dann getrocknet.
Was war das erste Tier, das Sie präpariert haben?
Ein Mäusebussard. Das war ein Übungsstück in dem Naturschutzzentrum, in dem ich als Jugendlicher war. Der ist aber voll in die Hose gegangen.
Inwiefern?
Ich habe damals gemerkt, dass es einfacher aussieht, als es ist. Das Abhäuten ist noch ganz einfach, aber dem Tier eine natürliche Haltung und ein natürliches Aussehen zu geben, ist ziemlich schwierig. Da bedarf es viel Übung.
Wie viele Tiere haben Sie bisher präpariert?
Oh, puh. Als ich noch in der Ausbildung war, habe ich noch mitgezählt, jetzt nicht mehr. Ich schätze mal, dass es insgesamt 4.000 oder 5.000 Tiere sein werden.
Sie sagen das so nüchtern. Für einen 32-Jährigen klingt das beeindruckend.
Es gibt Präparatoren, die sehr viel mehr machen. Wer zum Beispiel privat arbeitet, hat viel mehr Aufträge. Wir müssen im Museum auch Tätigkeiten verrichten, die privatwirtschaftliche Präparatoren nicht machen müssen, wie Ausstellungen auf- und abbauen.
Sie sind der jüngste Präparator des Naturkundemuseums und haben Anfang dieses Jahres zum dritten Mal bei der Weltmeisterschaft der Präparatoren, der „World Taxidermy Championship“, die in Salzburg stattfand, gewonnen. Mit einem afrikanischen Sperbergeier holten Sie den Titel „Master of Masters“. In der Kategorie „Kleine Vögel“ gewannen Sie mit einem kletternden neuseeländischen Kea. Was bedeuten diese Siege für Sie?
Sie zeigen mir, dass die Arbeit, die ich mache, eine hohe Qualität hat und dass ich mit meinen Präparaten auch andere Menschen begeistern kann. Aber trotz der vielen Erfolge lerne ich jedes Mal dazu. Es werden Seminare abgehalten, es trifft sich die Crème de la Crème und man bekommt Fehler aufgezeigt, an die man so vielleicht noch nicht gedacht hat.
Zum Beispiel?
Man ist oft geneigt, einem Vogel ins Gesicht zu schauen. Von einer Blickrichtung sieht er dann meist gut aus. Die Juroren zeigen einem aber, dass es wichtig ist, auch einmal von einer völlig anderen Richtung auf das Präparat zu schauen, und dann sieht man plötzlich die Fehler. Man wird im Laufe der Zeit sehr mäkelig.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich heute Präparate von vor zehn Jahren betrachte, bei denen ich überzeugt war, dass die gut waren, frage ich mich manchmal, was ich da gemacht habe. Aber man entwickelt sich weiter, achtet auf noch mehr Feinheiten, studiert die Tiere noch mehr. Diesen hohen Standard zu halten, ist sehr, sehr schwierig, weil die anderen Kollegen auch immer besser werden.
Wie groß ist denn die Konkurrenz?
Bei der letzten Weltmeisterschaft sind 120 Präparatoren mit 410 Präparaten angetreten. Es werden natürlich nicht Mäuse mit Elefanten verglichen, sondern es gibt verschiedene Kategorien, und es wird zwischen Anfängern und Profis unterschieden. Eines meiner Präparate, der australische Kea, wurde nicht nur Sieger der Kategorie „Kleine Vögel“, sondern zusätzlich noch „Best of Show“.
Was hat es mit dieser Kategorie auf sich?
Das heißt, dass das Präparat von allen ausgestellten Präparaten das allerallerbeste ist. Es gibt in Amerika eine Präparatorenzeitschrift, Breakthrough, der Herausgeber hat die Weltmeisterschaft ins Leben gerufen, und da ein Titelbild zu kriegen, wie ich eins hatte, ist für jeden Präparator ein Highlight.
Und was verbirgt sich hinter einer weiteren Kategorie, dem „Master of Masters“?
Da dürfen nur ehemalige Weltmeister teilnehmen und diese Kategorie wird von allen Teilnehmern bewertet.
Was kann nach solchen Erfolgen jetzt noch kommen?
Das erste Mal habe ich 2004 an der Europameisterschaft teilgenommen, als ich noch ein ganz kleines Licht war und zu den großen Präparatoren hochgeschaut habe. Jetzt kommen die großen Präparatoren zu mir.
Was ist das für ein Gefühl?
Großartig! Wenn man bei einer Preisverleihung den eigenen Namen hört, fällt der ganze Druck der letzten Wochen von einem ab. Das ist wohl ähnlich wie im Sport, wenn Sportler etwa bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen.
Nochmal die Frage: Was kann jetzt noch kommen?
Ich wurde schon gefragt, ob ich in die Jury will.
Und, wollen Sie?
Noch bin ich nicht so weit und ich will auch weiter selbst teilnehmen. Wenn wir die Präparate nach den Meisterschaften Museumsbesuchern präsentieren, ist es schön zu sehen, wenn unsere Arbeit gewürdigt wird – im Unterschied zu einem Bussard, der verdreckt in einer Kneipe hängt. Von diesem Image wollen wir weg. Wir zeigen, dass Präparation nichts Ekliges ist, sondern etwas sehr Ästhetisches.
Was ist der Unterschied zwischen ausstopfen und präparieren?
Ausstopfen ist ein Begriff, der sich in den Köpfen vieler Menschen immer noch hält. Ein Präparat ist immer ein ausgestopftes Tier. Aber wir wollen das Wort gar nicht hören, weil eben nicht ausgestopft wird. Früher wurde Heu oder Holzwolle reingestopft, aber unsere Tiere sind präpariert. Wir bilden ihre Körper anatomisch exakt nach.
Wenn Sie sich lange mit einem Tier beschäftigen, bauen Sie da eine Art Beziehung auf?
Für mich ist das ein Werkstück. Das ist vielleicht zu vergleichen mit jemandem, der in der Pathologie arbeitet und nicht die Lebensläufe der Toten kennt. Allerdings ist es schon so, dass man dem Tier seine eigene Handschrift verleiht, wie ein Bildhauer, der eine Büste macht.
Was macht Ihre Handschrift aus?
Ich selber finde, dass ich keine eigene Handschrift habe. Vermutlich könnten andere Kollegen das besser beurteilen.
Denken Sie viel über Vergänglichkeit und Tod nach?
Klar, alles ist vergänglich, obwohl wir mit den Präparaten dagegenwirken. Aber auch die Präparate sind vergänglich, irgendwann. Man macht sich schon manchmal Gedanken, was irgendwann mit einem selbst passieren wird. Man darf das aber nicht so nah an sich heranlassen und muss abschalten können.
Was machen Sie am liebsten, nachdem Sie einen Tag mit toten Lebewesen verbracht haben?
Ich empfinde das gar nicht so. Aber ich gehe generell sehr oft in die Natur, um Vögel zu beobachten. Die Hauptschiene bei mir sind Vögel, weil ich die sehr gerne mache. Sie faszinieren mich seit meiner Kindheit.
Worin liegt für Sie diese Faszination?
Sie können sich in die Luft erheben und sind teilweise sehr bunt. Ich bin außerdem Hobbyornithologe und mache Zählungen für den Naturschutzbund und Vogelwarten. Aber seit ich Vater bin, komme ich nicht mehr so oft dazu.
Wie sieht die Ausbildung eines Präparators aus?
Der Beruf ist in Deutschland nicht mehr anerkannt. Es gibt in Bochum eine Schule, an der man zum Präparationstechnischen Assistenten ausgebildet wird die ich auch durchlaufen habe. In der Schule werden zehn Leute pro Jahrgang ausgebildet, aber die wenigsten bekommen eine Stelle. Es ist ein kleines Manko, dass es an der Schule zu wenig Praxis gibt. In letzter Zeit wird diskutiert, ob die Museen nicht wieder selber ausbilden.
Wieso ist der Beruf des Präparators nicht mehr anerkannt?
Zu DDR-Zeiten wurde ausgebildet, aber in der Bundesrepublik gab es nichts Adäquates und deshalb wurde das gestrichen.
Muss ein präpariertes Tier nach einigen Jahren „überholt“ werden?
Es kommt darauf an, wie es untergebracht ist. Bei 18 Grad fliegen keine Schadinsekten. Wenn es sauber und staubgeschützt untergebracht und vor Sonnenstrahlen geschützt ist, kann ein Präparat mehrere hundert Jahre haltbar sein. Auch die Beleuchtung ist wichtig. Bei zu viel Licht verblassen die Farben.
Welchen Stellenwert haben die Präparate im Naturkundemuseum?
Wir können den Besuchern mit den Präparaten biologische Zusammenhänge zeigen, so dass sie mit offenen Augen durch die Landschaft gehen. Viele Kinder haben kaum noch einen Bezug zur Tierwelt. Deshalb ist es wichtig, möglichst vernünftige Präparate herzustellen und keine reißerischen Sachen zu machen.
Meinen Sie mit reißerisch auch den Rummel um Eisbär Knut aus dem Berliner Zoo, der zu einem internationalen Medienphänomen wurde und im vergangenen Jahr an einer Hirnerkrankung gestorben ist? Würden Sie den gerne präparieren?
Da ich mich auf Vogelpräparation spezialisiert habe, ist es für mich nicht unbedingt reizvoll, einen Eisbären zu präparieren. Eine Dermoplastik eines so großen Säugetieres anzufertigen ist außerdem ein langwieriger Prozess. Das größte Problem allerdings ist, dass der Bär so populär war.
Wieso ist das ein Problem?
Da der Eisbär so bekannt war, kennen viele seine Bewegungen und Mimik, fast wie bei einem Haustier. Die Schwierigkeit würde darin liegen, das Präparat so zu gestalten, dass es von allen als Knut erkannt wird.
Gibt es ein Tier, das Sie unbedingt einmal präparieren wollen?
Ja, einen Albatros. Mit der größten Flügelspannbreite ist er ein interessantes Tier und wäre eine schöne Herausforderung. Aber dafür muss man erst mal einen bekommen.
Haben Sie Tierpräparate zuhause?
Nein. Ich habe ja jeden Tag Präparate um mich herum.
Haben Sie Haustiere?
Auch nicht. Eine Voliere mit Vögeln wäre was Schönes, aber eine Wohnung ist keine adäquate Unterbringungsmöglichkeit.
Wenn Sie ein Haustier hätten, würden Sie es nach seinem Tod präparieren?
Nein. Ich hatte mal einen Hund, aber den habe ich vergraben.
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