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gottschalk sagtParasiten und andere Ärsche

Ich habe gerade mal den Report „Vorrang für die Anständigen – gegen Missbrauch, ‚Abzocke‘, und Selbstbedienung im Sozialstaat“ aus dem Hause Wolfgang Clements überflogen. Sie wissen schon, jenen Bericht, in dem von „Parasiten“ die Rede ist. Das Papier ist auf August diesen Jahres datiert, um in der Öffentlichkeit bemerkt zu werden, musste es erstmal vergangenen Montag zum Bild-Artikel mit dem Titel „Die üblen Tricks der Hartz-IV-Schmarotzer“ zusammengekürzt werden. Am Donnerstag regte sich die taz-nrw pflicht- und erwartungsgemäß und auch völlig zurecht darüber auf. Ich hätte als Redakteur genauso gehandelt und dem Autor die Aufgabe gestellt: „Finde jemanden, der Nazi sagt!“

Der Autor war gut, Gesprächspartner Thomas Münch sagte es gleich zweimal, 100 Punkte. Die Überschrift „Clements rassistischer Abgang“, war auch nicht schlecht, „Nazi-Wolle gegen Hartz-IV-Parasiten“ in großen, fetten Buchstaben hätte mir noch besser gefallen, hätte aber vermutlich für rechtliche Verwicklungen gesorgt.

In der Tat handelt der Bericht des Bundesministeriums von menschlichem Elend. Da sind einmal die Ermittler der Arbeitsagentur, die sich fremder Leute Bettkuhlen und Wäschekörbe angucken. Zwei Bettkuhlen in einem Bett sprechen für eine eheähnliche Gemeinschaft. Prüfen sie auch, ob die Bettkuhlen noch warm sind? Ob es nach Männerfürzen riecht, wo ein Mann im Antrag nicht angegeben war? Auch der gemischtgeschlechtliche Wäschekorb sagt viel aus, vor allem über den, der ihn ohne Scham durchsucht.

Dann sind da noch die AutorInnen des Berichts. Eine wohl freie Journalistin verfasste ihn in Zusammenarbeit mit der ministeriellen Pressestelle, wo in der Regel ja auch Journalisten arbeiten. Es wurde fröhlich drauflos geschrieben, als bräuchten sie dringend Arbeitsnachweise für eine Bewerbung bei der ‚Nationalzeitung‘.

„Biologen verwenden für ‚Organismen‘ die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben‘, übereinstimmend die Bezeichnung ‚Parasiten‘. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen.“ Ja stimmt, mehr als unstatthaft, und warum schreiben sie es dann? Weil sie noch einen draufsetzen: „Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.“ Also schlimmer.

Autoren, die nicht moralisch völlig verkommen sind, verwenden für Kollegen, die zeitweise oder dauerhaft auf Kosten des Steuerzahlers und zur Befriedigung ihrer Konsumbedürfnisse sowie ihres kleinen opportunistischen Egos eifrig jeden faschistoiden Mist schreiben, übereinstimmend die Bezeichnung „Arsch“. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus der Anatomie auf den ganzen Menschen zu übertragen, schließlich gibt es auch sehr schöne Ärsche.

So, jetzt habe ich mich aber genug aufgeregt, und ich bin ja nicht der Einzige, was doch etwas beruhigend ist. Ich würd‘ mal sagen: Bärbel Höhn, die Wohfahrtsverbände und ich sind ganz schön sauer.

Spätestens, wenn sich hierzulande keiner mehr über solche Texte aufregt, und wenn das Wetter so bleibt, werde ich „Sansibar-Gottschalk“ und gebe meine Stütze im sonnigen Süden aus. Dort kann man mit 345 Euro sogar ganz gut über die Runden kommen. Ich schreibe dann von dort meine Kolumne: „Neues vom Schnorchel-Schmarotzer.“

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz nrw

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