Nach den Anschlägen in Brüssel: In der Gefahrenzone
Reaktionen in Berlin: Politiker sehen bei Ernstfall Defizite bei der Polizei. Deren Ausstattung sei nicht mehr zeitgemäß.
„Ich habe einfach Glück gehabt.“ Matthias Kollatz-Ahnen sagt diesen Satz zu Beginn der Pressekonferenz, die wie jeden Dienstag nach der Senatssitzung stattfindet. Eigentlich soll der SPD-Finanzsenator über die Ausbildung im öffentlichen Dienst berichten. Doch es ist kein Tag wie jeder für Kollatz-Ahnen. „Ich war am Montagabend zu einem Vortrag in Brüssel und bin heute Morgen um 6.25 Uhr zurückgeflogen“, sagt er mit belegter Stimme. „Wenn ich etwas später dran gewesen wäre, säße ich vielleicht jetzt nicht hier.“
Die beiden Attentate auf den Flughafen und die Metrostation Maelbeek in der belgischen Hauptstadt lösen in Berlin Betroffenheit aus. Um 8.22 Uhr lief am Dienstag die erste Eilmeldung über einen Anschlag vom Ticker. Eine Schrecksekunde nicht nur für den Finanzsenator, sondern auch die elf Mitarbeiter der Berliner Landesvertretung in Brüssel, die nur fünf Gehminuten von der betroffenen Metrostation entfernt ist. Sie blieben unverletzt, wie Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) mitteilen ließ. Müller betonte, die Berliner Polizei tue alles, um solche Anschläge zu verhindern.
Doch ist alles auch genug? Als im September 2015 der in Spandau lebende Rafik Y. seine elektronische Fußfessel löste, dauerte es 40 Minuten, bis die Polizei eintraf, erinnert der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber. „Die Beamten kamen dann mit einem Streifenwagen.“ Das Ergebnis: Y. wurde erschossen, eine Beamtin durch einen Messerstich von Y. und einen Streifschuss ihres Kollegen verletzt. „Da hätte man ein SEK hinschicken müssen“, sagt Schreiber der taz. „Man muss aufpassen, dass man einer Lage nicht hinterherläuft.“
Wäre Berlin für einen Ernstfall wie jetzt in Brüssel gerüstet? Würden die Einsatzkräfte reichen, über die der Krisenstab aus Feuerwehr, Regierendem Bürgermeister, Innensenator und Polizeipräsident verfügen könnte?
Nicht nur der SPD-Abgeordnete Schreiber ist sich da nicht so sicher. Auch die Opposition. „Wir dürfen zwar nicht in Panik verfallen“, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux. „Aber wir müssen wissen, dass die Ausstattung der Polizei nicht zeitgemäß ist.“ Lux verweist auf den maroden Schießstand oder fehlende Schutzwesten, die auch vor halbautomatischen Waffen schützen. Eine Aufstockung der Stellen beim SEK hält er für geboten. „Wenn wir mehrere Einsatzorte haben und dann vielleicht noch eine Geiselnahme dazukommt, stoßen wir schnell an die Grenzen“, so Lux.
Innensenator Frank Henkel (CDU) spricht von „barbarischem Terror“. Auch in Berlin habe man es mit einer „unverändert sehr ernstzunehmenden Sicherheitslage“ zu tun. Das Sicherheitsniveau sei in der Hauptstadt aber bereits sehr hoch. Die behördlichen Maßnahmen seien bereits nach den Anschlägen von Paris angepasst worden. Auch der Regierende Bürgermeister versichert: „Der Senat, die Polizei und die zuständigen Behörden tun alles, um solche verbrecherischen Akte in unserer Stadt zu verhindern.“
Sein SPD-Kollege Schreiber geht noch weiter. Er regt an, Antiterroreinheiten wie die auf Bundesebene gegründete BFE Plus auch in den Ländern zu schaffen. „Wir brauchen Spezialisten, die mit islamistischen Terroristen umgehen können“, so Schreiber.
Und was ist mit den Berlinerinnen und Berlinern? „In den Gefahrenzonen würden Feuerwehr und Polizei Informationen mit Lautsprecherwagen verbreiten“, sagt ein Sprecher der Innenverwaltung. Über die Feuerwehr könnten digitale Warnsysteme ausgelöst werden, an die auch die meisten Radiosender angeschlossen sind.
Unterdessen hat Innensenator Frank Henkel für den Mittwoch in Berlin Trauerbeflaggung für alle öffentlichen Gebäude angeordnet. Die brandenburgische Landesregierung teilte mit, dass sie ihre Landesvertretung in Brüssel bis kommenden Dienstag geschlossen habe.
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